Henryk M. Broder / 20.12.2006 / 22:02 / 0 / Seite ausdrucken

Auge um Auge, Sein oder Nichtsein, Eskalation in der Wiege des Beamtentums

Inzwischen hat es sich bis in die tiefste deutsche Provinz herumgesprochen, dass es im Nahen Osten nicht so friedlich zugeht wie auf den Weihnachtsmärkten in Hammelburg, Gerolzhofen und Kitzingen. Was freilich die Bürger von Kitzingen, Gerolzhofen und Hammelburg nicht von der Aufgabe befreit, sich Sorgen um den Frieden im Nahen Osten zu machen, denn erstens steht dort die “Wiege des Christentums” und zweitens ist “die Eskalation der Gewalt” nicht nur für die Israelis und die Palästinenser “verheerend”, sie gibt auch “dem Radikalismus weiter Auftrieb”, schreibt ein Leitartikler namens Folker Quack in der “Mainpost”, Zeitung für Unterfranken.
Wir verkneifen uns eine sehr naheliegende Häme (“No jokes about names, please!”), wie auch den inzwischen abgenutzten Hinweis auf Darfur, wo nicht einmal die Wiege des frankischen Sauerbraten stand, weswegen es halb so schlimm ist, wenn Afrikaner andere Afrikaner massakrieren, da dies zu keiner Eskalation der Gewalt führt, deren Folgen auch in Schweinfurt und Gemünden den Menschen die Lust auf eine Flasche “Escherndorfer Lump Silvaner Spätlese trocken” verderben könnten. Vor allem, wenn ihnen bewusst wird, dass die Israelis “nach der alttestamentarischen Devise ‘Auge um Auge, Zahn um Zahn’” handeln, statt sich ein Beispiel an den Franken zu nehmen und “Bocksbeutel um Bocksbeutel” zu. Hier der Text des Kollegen Quack vom 18.12., eine absolut prototypische Anhäufung von Banalitäten, Platitüden und aggressiverAhnungslosigkeit.

= Im Nahen Osten droht ein verheerender Bürgerkrieg. “Es geht um Sein oder Nichtsein”, sagte am
Wochenende ein Vertreter der gemäßigten Palästinenser-Partei Fatah.
“Die nächsten Tage und Wochen sind für den gesamten Nahost-Frie-densprozess entscheidend,” das
sagte der britische Premier Tony Blair. Und es stimmt - doch die Weichen stehen leider nicht in
Richtung Frieden.

Eine Eskalation der Gewalt ist aber nicht nur für Israelis und Palästinenser verheerend. Sie gibt dem
Radikalismus weiter Auftrieb - nicht nur im Gaza-Streifen und im Westjordanland, auch in Syrien, im
Libanon und im Iran - ja letztlich in der ganzen islamischen Welt.
Und damit wird auch unser Frieden wieder ein Stück weniger sicher.
Deshalb müssen die Nachrichten so sehr beunruhigen, die kurz vor Weihnachten ausgerechnet aus der
Region kommen, in der die Wiege der Christentums steht.

Ausgelöst wurden die blutigen Unruhen von dem gemäßigten Palästinenser-Präsident Mahmud
Abbas. Er schlug Neuwahlen vor, nachdem es ihm nicht gelungen war, die radikale Hamas zu einer
Koalitionsregierung mit seiner gemäßigten Fatah zu bewegen. Die Hamas hatte vor einem knappen
Jahr zwar die Wahlen gewonnen, der folgende internationale Finanzboykott aber stürzte die Palästinen-
ser-Gebiete ins Chaos. Der Palästinenser-Staat hängt nun einmal amTropf der internationalen Gemein-
schaft. Die aber wollte keine Regierung einer Bewegung unterstützen, die zuvor offen dem israelischen
Staat den Krieg erklärt hatte. Das öffentliche Leben brach in der Folge zusammen, weil weder Polizisten,
noch Krankenschwestern oder Lehrer ihr Gehalt bekamen.

Es ist müßig nach Schuldigen für die aktuelle Situation zu suchen. Sind es die USA und die Europäi-
sche Union, weil sie die Gelder strichen und damit die Palästinenser-Gebiete sehenden Auges ins Chaos
stürzten? Haben die Israelis mit ihrem unseligen Mauerbau an der Grenze zum Westjordanland und
mit dem Libanon-Krieg die Situation bewusst eskalieren lassen? Ist Mahmud Abbas am Ende doch
mehr am Machterhalt seiner Fatah-Bewegung interessiert als an einer Regierung, die die Palästinenser
hinter sich scharen könnte?

Fragen, die schwer zu beantworten sind, die sich der Westen aber überhaupt erst einmal stellen muss.
Sollte es nicht zu denken geben, dass in der arabisch-muslimischen Welt jeder auf Dauer verliert, der
mit dem Westen, vor allem mit den USA oder Israel paktiert? Was hat es Abbas denn gebracht, dass er der
Wunschkandidat der Israelis und der Amerikaner für die Nachfolge Jassir Arafats war? Er hat kaum
Rückhalt bei seinen Landleuten, die die sich zunehmend radikalisieren.

Kein Mensch kann dies gut heißen, aber wir müssen versuchen, die Ursachen der Entwicklung zu-
mindest zu verstehen. Zwischen 40 und 50 Prozent Arbeitslosigkeit unter den Palästinensern. Ein zu-
sammengebrochenes Gesundheitsund Sicherheitswesen. Bauern können ihre Erzeugnisse nicht mehr in
Israel verkaufen, weil die Mauer, die auf ihren Äckern gebaut wurde, ihnen den Zugang zu den Märkten
verwehrt.

Natürlich haben die Israelis gute Gründe, sich besser zu schützen, nachdem der Tausch “Land gegen
Frieden” nicht funktionierte und ausgerechnet von dem gegebenen Land Raketen auf israelische Häuser
abgefeuert wurden. Aber muss hier wirklich stets nach der alttestamentarischen Devise “Auge um Auge,
Zahn um Zahn” gehandelt werden? Dies wird nur zur Radikalisierung immer weiterer Bevölkerungschich-
ten führen. Gerade jetzt vor Weihnachten, sollte der Westen auch über andere Strategien nachdenken
- und sie den Israelis genauso nachdrücklich empfehlen, wie die bisherigen den Palästinensern. =

Amen. Und hier ein Leserbrief des Würzburger Neurologen Dr. Martin Klein an die “Mainpost”:

= In seinem Leitartikel vom 18. Dezember 2006 in der Main-Post fragt
Folker Quack:
“Haben die Israelis mit ihrem unseligen Mauerbau an der Grenze zum
Westjordanland und mit dem Libanon-Krieg die Situation bewusst
eskalieren lassen?”
Offenbar!  Den palästinensischen Selbstmordattentätern, die
unschuldige Zivilisten in Israel, gerne auch Kinder, in die Luft
sprengen wird durch “die Mauer” ja der Heldentod und schlimmer - das
versprochene Paradies verwehrt, so dass an die sofortige Inbesitznahme der
schönsten Jungfrauen mit tiefschwarzen Augen im siebten Himmel nicht mehr zu
denken ist. Was aber kann es unseligeres geben, als anderen Menschen die
Seligkeit vorzuenthalten? Der Autor bemängelt auch, dass die Israelis zwar
Gründe hätten, sich zu schützen, aber : ” Muss hier wirklich stets nach der
alttestamentarischen Devise “Auge um Auge, Zahn um Zahn” gehandelt
werden?
Nun muss ich zugeben, dass ich die Main-Post zuletzt nicht immer
vollständig gelesen habe. Mir sind wohl alle Berichte über israelische
Selbstmordattentäter, die sich in Gaza, Hebron, Ramallah oder Jenin in
Cafés, Bussen oder Kindergärten in die Luft gesprengt hätten,
entgangen, wie auch die Mitteilungen, dass anschließend die Angehörigen
der Täter Jubelfeiern veranstaltet hätten. Im übrigen sollte einleuchten, dass
“Auge um Auge, Zahn um Zahn” (praktisch immer in die Debatte geworfen,
um Feindschaft gegen Israel oder das Judentum zu verbreiten) auch
bedeutet, dass auch der größte Übeltäter davor geschützt ist, ein
schlimmeres Schicksal zu erleiden, als er es selbst seinen Opfern zugemutet hat
(Israel ist übrigens ein säkularer Staat, der das Prinzip “Auge um
Auge”...nicht anwendet). Natürlich kenne ich den Einwand, der lautet: Man wird doch
wohl noch Israel freundschaftlich kritisieren dürfen, ohne gleich ...? Darf
man. Aber wer Freunde hat, die solche Artikel schreiben, braucht keine
Feinde mehr.
Dr. Martin Klein =

Und hier noch ein Text aus der Jugendausgabe der “National-Zeitung”, junge Welt, die noch einen Schritt weiter geht und einen Bürgerkrieg in Palästina für “unvermeidbar”  hält, denn: “Die westlichen Sanktionen treffen das Heer der Beamten an seiner empfindlichsten Stelle.” Ein schönes Bild, über das sogar Genosse Achilles schmunzeln müßte, wenn Werner Pirker nicht der Urheber wäre.

http://www.jungewelt.de/2006/12-21/035.php

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