Georg Etscheit / 14.05.2022 / 10:00 / Foto: PIxabay / 30 / Seite ausdrucken

Auftrittsverbot für Teufelsgeiger

Lorenz Nasturica-Herschcowici ist dienstältester Konzertmeister der Münchner Philharmoniker. Nun will ihm die Stadt München Auftritte in Russland verbieten. Eine bizarre und hämische Diskussion wurde losgetreten.

Mit seiner weißen Lockenmähne und der ausladenden Gestalt ist Lorenz Nasturica-Herschcowici eine auffallende Erscheinung bei den Münchner Philharmonikern. Wie kein anderer verkörpert er die von dem Dirigenten Sergiu Celibidache begründete Klangkultur des Orchesters, das er in den 80er Jahren vor allem mit seinen Bruckner-Exerzitien zu Weltruhm führte. Celibidache war es, der den gebürtigen Rumänen entdeckte und in sein Orchester nach München holte, wo er seit 1992 als Erster Konzertmeister den Ton angibt. Mittlerweile ist Nasturica-Herschcowici dienstältester Konzertmeister der Philharmoniker.

Die Süddeutsche Zeitung titulierte ihn einmal als „in Leben und Spielen beeindruckendes Gesamtkunstwerk eines Teufelsgeigers“. Wie es sich für einen Musiker seines Kalibers gehört (er hätte jederzeit auch eine Solistenkarriere anstreben können), spielt Nasturica-Herschcowici auf einer Meistergeige von Antonio Stradivari, der „Rodewald“ von 1713, einer privaten Leihgabe.

Und wie es sich für Musiker seines Formates ebenfalls gehört, begnügt er sich nicht mit seiner Konzertmeisterposition, sondern arbeitet mit diversen anderen Ensembles zusammen, wobei pure Freude am Musizieren, künstlerisches Sendungsbewusstsein, aber – wie sollte es anders sein – auch Geld ein Rolle spielen können. So leitet er seit 2004 das Kammerorchester der Münchner Philharmoniker und seit 2014 das Mariinsky Stradivarius Ensemble des St. Petersburger Mariinsky-Theaters, Wirkungsstätte von Waleri Gergiew, dem wegen seiner Nähe zu Russlands Präsidenten Wladimir Putin geschassten Chefdirigenten der Münchner Philharmoniker. Außerdem ist Nasturica-Herschcowici erster Gastkonzertmeister des Mariinsky-Theaters.

Idealtypischer Brückenbauer zwischen Ost und West

Diese grenzübergreifenden künstlerischen Aktivitäten wären vor wenigen Monaten noch als vorbildlich gewürdigt worden, Nasturica-Herschcowici mit seiner bewegten Biografie zwischen den Kulturen als idealtypischer Brückenbauer zwischen Ost und West, was man so sagt bei Sonntagsreden. Doch seit sich Deutschland im Konflikt Russlands mit der Ukraine immer stärker als Kriegspartei begreift, wird nur noch abschätzig von „Nebenjobs“ geschrieben, die obendrein „dem Ruf des Orchesters zu schaden“ drohten. Ist Nasturica-Herschcowici ein musikalischer Landesverräter?

Den Skandal nach dem Skandal, der fristlosen Kündigung Gergiews Anfang März, hatte die Münchner Abendzeitung losgetreten. Das Blatt hatte Informationen und Fotos ausgegraben, die belegten, dass Nasturica-Herschcowici auch nach der Auflösung von Gergiews Vertrag weiter durch Russland toure. „Politisch heikel“ sei ein Auftritt am 12. März gewesen, zusammen mit dem geächteten Gergiew im neuen Moskauer Konzertsaal im Sarjadja-Park, „nicht einmal zwei Wochen“ nach dem euphemistisch als „Trennung der Münchner Philharmoniker von ihrem Chefdirigenten“ bezeichneten Fußtritt. Dabei sei auch das klangprächtige „Große Tor von Kiew“ gespielt worden, das Finalstück von Modest Mussorgskys „Bilder einer Ausstellung“.

Im Subtext wird insinuiert, dass die Wahl ausgerechnet diese Stückes, eines Evergreens des russischen Repertoires, gewissermaßen eine vorweggenommene (musikalische) Eroberung der ukrainischen Hauptstadt dargestellt habe. Und wer dabei mitwirke, wenn auch nur mit dem Geigenbogen, mache sich gewissermaßen der Kollaboration schuldig. Außerdem warf die Münchner Abendzeitung Nasturica vor, beim Ukraine-Solidaritätskonzert der drei großen Münchner Orchester vier Tage vor dem Moskauer Termin, „unsichtbar“ geblieben zu sein. Er habe, so das Blatt hämisch, wohl Besseres zu tun gehabt. Allerdings blieben auch viele andere Musiker der drei Klangkörper „unsichtbar“ – zusammengenommen kommen die Münchner Philharmoniker, das Bayerische Staatsorchester und das Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks auf 384 Planstellen. Da wäre es auf dem Podium der neuen Isarphilharmonie sehr eng geworden.

Kryptische Stellungnahme

Um die Geschichte zu Ende zu erzählen: Zunächst hieß es bei den Philharmonikern, man habe den Fall von Nasturica-Herschcowicis russischen Nebentätigkeiten juristisch geprüft, er sei „wasserdicht“, dem Konzertmeister sei nichts vorzuwerfen. Inwieweit diese Tätigkeiten ethisch vertretbar seien, müsse „jeder, der sie ausübt, vor sich selbst verantworten“. Leider sind bis heute weder Nasturica-Herschcowici noch sein Münchner Agent zu einer persönlichen Stellungnahme bereit, aber man darf annehmen, dass Nasturica nicht zu jenen gehörte, die besonders glücklich waren über den Rausschmiss des russischen Maestros.

Als andere Medien auf den Casus ansprangen, grätschte die Stadt München dazwischen und verbreitete folgende, kryptische Stellungnahme:

„Durch die jüngste Berichterstattung über die Tätigkeiten von Herrn Nasturica für das Mariinsky-Orchester haben sich arbeitsrechtlich neu zu bewertende Rahmenbedingungen ergeben. Wir haben den Fall daher nochmalig einer rechtlichen Prüfung unterzogen, mit dem Ergebnis, dass wir Herrn Nasturica die angezeigten Nebentätigkeiten im Zusammenhang mit dem Mariinsky-Orchester untersagt haben.“

„Nie so schwarz-weiß wie gerne dargestellt“

Man wüsste allzu gerne, wie die Rechtsabteilung der Landeshauptstadt ihren Meinungsumschwung en détail begründet. Auf jeden Fall dürfte Nasturica-Herschcowici der erste deutsche Künstler sein, der quasi mit einem Auftrittsverbot in Russland belegt wird, denn bislang waren es ja nur russische Künstler, die hierzulande gecancelt wurden, wenn sie nicht bereit waren, sich von Putins Angriffskrieg und seinem Regime öffentlich loszusagen. Schlechte Zeiten für potenzielle Brückenbauer. Doch gibt es nicht schon genug verbrannte Erde in diesem Krieg? Soll auch auf dem Feld der Kultur tabula rasa gemacht werden?

Gerade sagte der Schauspieler Klaus Maria Brandauer in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung auf die Frage, ob man russische Künstler zu Positionen gegen Putin drängen solle:

„Ich möchte nicht über Künstler oder Menschen urteilen müssen, deren konkrete persönliche Beweggründe ich nicht kenne. Das schnelle Urteil kann sich auch hier als vorschnell herausstellen. Anna Netrebko ist eine fantastische Sängerin, mit Valery Gergiew habe ich schon gearbeitet, sowohl in Graz als auch in München, er ist ein großartiger Dirigent. Ob es aus Staatsraison nötig ist, mit ihnen nicht mehr zusammenzuarbeiten, ich weiß es nicht. Aber ich erinnere mich daran, dass wir im Kalten Krieg gegenüber Künstlern aus dem Ostblock in dieser Hinsicht nicht so fordernd waren, damals war die Kultur eine Brücke, manchmal die einzige. Und auch damals konnten wir sicher nicht alle Zusammenhänge überblicken, denn die Welt war nie so schwarz-weiß, wie sie gern dargestellt wird.“

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Dirk Kern / 14.05.2022

Das Verhalten der Münchner Kulturschickeria verursacht mir große Abscheu und Ekel. Mit diesen Schranzen konnte und kann man wunderbar Diktaturen aller Art betreiben. Mir ist nicht bekannt, dass die russische Regierung ihren Künstlern ebenfalls Auftritte im feindlichen Ausland untersagt.

Dan Guttman / 14.05.2022

@Gerhard Schmidt….aber die Musik klingt nach echter Gesinnungsüberprüfung freier, reiner, demokratischer, klimaneutraler, gerndermäßiger…Die Worte von Brandauer haben es in sich: „ Ob es aus Staatsraison nötig ist, mit ihnen nicht mehr zusammenzuarbeiten, ich weiß es nicht.“ Untertäniger, feiger, widerlicher hätte es sich auch im Dritten Reich nicht angehört. Wenn aus Staatsraison die Entfernung des Jude, des Russen, des Sonstwas nötig ist….Wo sind wir gelandet, wenn das unter Verteidigung der Werte von Freiheit und Demokratie läuft? Gnade uns Gtt.

Bertram Axmann / 14.05.2022

Die Stadt München sollte sich besser um die Stadt an sich kümmern. Da gibt es genug zu tun. Ich stimme Herrn Brandauer zu. Kunst kann eine Brücke sein. Neben der Kunst ist es oft auch der Sport, der Brücken bauen kann. Aber NEIN! Unsere Politik will Brücken lieber sprengen bzw. erst gar nicht bauen lassen, anstatt sie zu bauen und dann auch darüber zu gehen.

Ludwig.Luhmann / 14.05.2022

Da Putin nicht nur kein Nazi ist, sondern sogar Nazis aller Alters- und Geschlechtsklassen täglich massenweise im Bruderland eliminieren lässt, ist es wirklich unerhört, diesen Geiger so zu behandeln, als ob er bei einer Art Hitler oder Stalin spielen würde. Auch die Russen haben das Recht, einen leibhaftigen Teufelsgeiger zu genießen! Oder reicht Putin etwa nach “Sulphurrr”?

Rainer Nicolaisen / 14.05.2022

Schon lange regieren hier kulturlose Gesellen; Helmut Schmidt konnte noch ein Mozartsches Klavierkonzert spielen- und seither?..

Anke Müller / 14.05.2022

Da stellen sich gerade selbst welche “Armutszeugnisse” aus. Ich hätte nie gedacht, dass solches nach der Nazizeit in Deutschland wieder möglich sein würde. Zumal das sicher nur die Spitze des Eisbergs ist. Andere, weniger Bekannte, hat man schon lange sang- und klanglos untergehen lassen. Pfui Teufel.

Bernhard Maxara / 14.05.2022

International renommierte reproduzierende Künstler sollten eine Plattform mit dem Ziel gründen, dieses Land der ewig pubertierenden Moralapostel und Gesinnungsschnüffler nicht mehr mit Auftritten zu beehren.

Franz Klar / 14.05.2022

Wer in die Diktatur juckelt , dort fidelt und rubelt , parfümiert den Misthaufen .

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