Matthias Heitmann, Gastautor / 23.02.2022 / 16:00 / Foto: Alx / 39 / Seite ausdrucken

Aufstand gegen die Angstapostel

Längst geht es um viel mehr als die Impfpflicht: Gegenwärtig entscheidet sich, wie wir als Gesellschaft künftig mit Ängsten umgehen wollen. Die alten politischen Schubladen sind da wenig hilfreich.

Seit zwei Jahren werden wir fortwährend auf eine neue Normalität eingestimmt und darauf, dass nichts mehr so sein werde, wie es war. Aber geht es dann mal in Richtung politischer Analyse, da hat man plötzlich den Eindruck, in eine zutiefst veraltete Normalität zurückgebeamt zu werden. Da wird plötzlich wie selbstverständlich davon gesprochen, dass die Gesellschaft politisch extrem polarisiert und in links und rechts aufgeteilt sei, ganz so als hätte es den Untergang des real existierenden Sozialismus vor 30 Jahren nie gegeben.

Damals Menschen hinsichtlich links und rechts zu verorten, lag nahe. Der ideologische Frontverlauf im Kalten Krieg prägte die politische Kultur und das Denken der Menschen. Doch diese Begriffe haben längst ihre ursprüngliche Prägung verloren und bedeuten heute etwas ganz anderes. Es scheint, als überlebten diese Ideologien als leere Begriffe, in die der Zeitgeist beständig neue Inhalte hineinfüllt, um diese irgendwie greifbar und verständlich zu machen. Aber warum ist das so? Es scheint, als gäbe es kein neues Begriffssystem, um die moderne Welt zu fassen und begreifen. Und es ist verrückt, was in Ermangelung sinnvoller moderner Zuschreibungen heute als links und was als rechts bezeichnet wird.

Die Linke hat sich einen neuen Feind ausgesucht

Linkssein bedeutet heute: gegen den Untergang ankämpfen, Katastrophen beschwören, Ängste betonen, um dadurch die trägen Massen aufzuwecken, die ja angeblich schuld sind. Revolution mittels Panik. Linke sind heute die Warner und Mahner. Sie betonen ihre Angst vor allen möglichen Veränderungen, ihr Angriffspunkt ist aber immer: Otto Normalverbraucher, also der Kerl, der weiterhin Auto fährt, der immer noch seine Wohnung heizt, Fußball schaut und darauf bedacht ist, Fleisch zu einem günstigen Preis zu erwerben. Wenn man so will, hat sich die Linke einen neuen Feind ausgesucht, und dieser Feind ist witzigerweise genau die gesellschaftliche Gruppe, für die die Linke einst zu kämpfen vorgab: die Liga der kleinen Frauen und Männer, die Arbeiterklasse.

Besonders deutlich wird dieses klare Freund-Feind-Schema im Lichte der heutigen gesellschaftlichen Proteste. In erster Linie sind dies Proteste gegen die staatlichen Corona-Maßnahmen. Und ich meine nicht nur die deutschen Spaziergänger. Ich meine die Proteste in vielen europäischen Staaten, und ich meine auch die kanadischen Truckfahrer. Spannend ist aber, dass Leute, die gegen staatliche Zwangsmaßnahmen aufbegehren, heute geradezu instinktiv als rechts eingestuft werden. Den LKW-Fahrern in Kanada wird eine Nähe zu den Trumpschen Kapitolstürmern unterstellt. Und auch hierzulande ist es für aufrechte Mitglieder der kulturellen Elite klar: Spaziergänger sind potenziell rechts.

Gegen die autoritären Zwangsmaßnahmen der staatlichen Angstpolitik zu sein, ist also rechts. Diese zu verteidigen gegen den dummen Pöbel, der nur egoistisch seine Freiheiten wiederhaben will, ist hingegen anständig, vernünftig, aufgeklärt und korrekt. Demonstrieren ist rechts, daheimbleiben ist links. Mit einer Ausnahme natürlich: Wenn Pubertierende oder Kind gebliebene Erwachsene freitags gegen den Klimawandel auf die Straße gehen, dann sind die natürlich nicht rechts, sondern links. Und warum: Na klar, weil es ist die pure Angst ist, die sie auf die Straßen treibt.

Angstmärsche gegen die Freiheit des kleinen Mannes

Vielleicht ist das heute der entscheidende Unterschied zwischen den Kategorien links und rechts: der Umgang mit der Angst. Wer heute mit Angst Politik macht oder ihr folgt, wer sich aus Angst an immer sonderlichere Regeln hält und das eigene Leben und das seiner Mitmenschen erzwungenen Schutzmaßnahmen unterordnen will, der ist links. Wer Veränderungen aus Angst will, für den sind diese immer verbunden mit Einschränkungen dessen, was die anderen bislang als Freiheit und Selbstverständlichkeit verstanden haben. Fridays for Future sind keine Demos für die Zukunft, sondern Angstmärsche gegen die Freiheit des kleinen Mannes.

Diejenigen aber, die sich für Freiheit einsetzen, die gelten heute als rechts. Was nicht nur eine Beleidigung für die hunderttausenden von Menschen in aller Welt ist, sondern auch den Begriff rechts ad absurdum führt. Denn Politik aus Angst vor Veränderungen zu machen, das ist gerade nicht fortschrittlich, sondern der Kern konservativer rechter Politik. Ein bisschen spürt man das heute bei der AfD: Die hängt sich zwar nicht so sehr an die Angst vor Viren, schürt dafür aber Ängste vor Migranten und vor allem, was ihnen fremd erscheint, um dann selbst als Mutmacher aufzutreten, oder als Auffanglager für politische Inlandsflüchtlinge.

Ich habe aufgehört, Menschen danach zu beurteilen, ob sie sich als links oder rechts verstehen. Ich frage auch gar nicht danach, es ist völlig irrelevant – übrigens genauso wie die Frage, ob jemand geimpft ist oder nicht. Mich interessiert einzig und allein, ob jemand sein Handeln von Ängsten leiten lässt oder vom Streben nach Freiheit und Selbstbestimmung – und zwar nicht nur für einen selbst, sondern auch für die Anderen. Gerade deswegen sind die aktuellen Proteste gegen die Corona-Politik so interessant: Wer da alles mitläuft … Sie halten sich nicht an das alte Links-Rechts-Denken, und so sehr Politik und Medien auch versuchen, die Marschierenden zu diffamieren und wieder in die alten Lager zurückzudrängen, es klappt nicht.

Es geht bei den Protesten schon lange um mehr als nur um die Impfpflicht. Es geht darum, wie wir als Individuen und auch als Gesellschaft künftig mit Ängsten, aber auch mit Möglichkeiten umgehen wollen. Die Spaziergänge sind insofern auch Proteste gegen unsere Angstkultur.

Angst ist nicht nur ein schlechter Ratgeber, wie es so schön heißt. Angst ist das einzige Herrschaftsinstrument, mit dem die Beherrschten sich selbst maßregeln, um dann ihre Herrscher um Hilfe anzuflehen. Die Kultur der Angst, in der wir alle leben, ist eine Kultur der Selbstgeißelung und der menschlichen Selbstverachtung. Gegen diese Angstkultur zu rebellieren, ist richtig. Und je schärfer gegen diese Proteste gefeuert wird, desto deutlicher wird es, dass es höchste Zeit ist für einen Aufstand gegen die Angstapostel.

Dieser Beitrag erschien zuerst bei Novo-Argumente.

Foto: Alx

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Leserpost

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S.Buch / 23.02.2022

Nun ja, vielleicht sollte man etwas mehr differenzieren: Es gibt begründete und unbegründete Ängste. Die Angstapostel bedienen sich immer in der zweiten Kategorie und befeuern die Apokalypse. Und ja, es sind die, die eine bestimmte politische Agenda verfolgen, nämlich die linksgrüne, die auf Totalitarismus hinausläuft.

Rainer Niersberger / 23.02.2022

Eine kleine Korrektur bei grundsaetzlich er Zustimmung zur Rechts/Linkseinordnung : Ich bin gegen die Immigration von Muslimen aus archaischen Gesellschaften und Strukturen. Angst habe ich nicht, generell eher wenig. Wir sollten die Migrationskritik oder die Ablehnung einer bestimmten Form der kulturellen Bereicherung nicht simplifizieren und auf unsere Amygdala reduzieren. Die Ablehnung gruendef sich auf rationale Erwägungen, die wiederum viel mit der Ablehnung der Vorschriften des Korans und der Scharia zu tun haben. Auch mit den Grenzen des Sozialstaates und den personellen Anforderungen einer funktionierenden Wirtschaftsnation, der Voraussetzung von (fast) Allem. Angst ist es nicht, zumal ich weniger Anlass dazu haette, als andere, jüngere und weibliche Individuen dieses Volkes. Ich hege auch wenig Sympathie fuer Tribalismus und bin ganz allgemein ein Anhaenger der Aufklärung, richtig, iS Kants verstanden. Vermutlich definiere ich Zivilisation anders und bei der Kultur steht mir die abendlaendische naeher.  Angst ist es immer noch nicht und wir sollten sie nicht unterstellen, nur weil uns die einzige “rechte” Opposition nicht passt.

Ludwig Luhmann / 23.02.2022

“Ein bisschen spürt man das heute bei der AfD: Die hängt sich zwar nicht so sehr an die Angst vor Viren, schürt dafür aber Ängste vor Migranten und vor allem, was ihnen fremd erscheint, um dann selbst als Mutmacher aufzutreten, oder als Auffanglager für politische Inlandsflüchtlinge.”—- Die AfD schürt keine “Ängste vor Migranten”, sondern sie probiert auch den gutmenschlichen Bürgern die Augen für die Konsequenzen zu öffnen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn Deutschland z.B. mit Millionen Mohammedanern geflutet wird. Das Wort “Migrationswaffe” bezeichnet eine existierende Gefahr! - Es soll ja Leute geben, die glauben, dass Islam “Frieden” bedeutet.

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