Jesko Matthes / 15.07.2022 / 14:00 / Foto: Pixabay / 81 / Seite ausdrucken

Aufs Traumschiff mit Joachim Gauck

Altbundespräsident Joachim Gauck äußerte kürzlich, er würde notfalls selbst zur Waffe greifen, um Deutschland zu verteidigen. Neben seinen Durchhalteparolen ein Grund mehr, den 82-Jährigen lieber aufs Traumschiff zu schicken.

Unser Altbundespräsident hat erst unlängst seine Leitgedanken für die gegenwärtige Situation Deutschlands in einem Interview deutlich gemacht. Nun macht er einmal mehr von sich reden. Diesmal, so der Pastor i.R. bei „Markus Lanz“, würde er notfalls selbst zur Waffe greifen. – Pflugscharen zu Schwertern? Immerhin erteilt Gauck dem Pazifismus eine deutliche Absage. Wenn das ZDF dabei Gauck mit einem „Seitenhieb“ gegen Richard David Precht zitiert: „… das mag nun Herrn Precht gefallen oder nicht, aber wir wollen doch nicht so tun, als wären wir schon wieder auf der Flucht vor der Realität“, dann wird leider nicht klar, auf welcher realistisch gemeinten, persönlichen, geistigen und materiellen Grundlage Gauck selbst spricht.

Erstens: Denkt Gauck wirklich, es könne von ihm auch nur theoretisch verlangt werden, zur Waffe zu greifen? Niemand wird von einem 82-jährigen Geistlichen im Ruhestand verlangen, eine Art deutschen Volkssturm zu unterstützen; und auch die Bewaffnung der Bevölkerung ist meines Wissens in Deutschland nicht vorgesehen, sondern weitestgehend verboten, zumindest aber sehr stark eingeschränkt und strenger Kontrolle unterworfen. Eine allgemeine Wehrpflicht existiert derzeit ebenfalls nicht mehr, auch wenn sie lediglich ausgesetzt ist. Es wird also niemand aufgefordert oder gar gezwungen, als Privatperson zur Waffe zu greifen oder sich auch nur an einer solchen ausbilden zu lassen.

Selbst wenn der Altbundespräsident seinen Satz vom Griff zur Waffe als seine rhetorische Absage an den Pazifismus verstanden wissen wollte, ist die Formulierung mangels Realitätsbezug mindestens unglücklich, da unglaubwürdig. Dass er selbst über einen möglichen Stimmungsumschwung in diese Richtung verwundert ist, gibt Gauck dabei implizit zu: „Erstaunlicherweise gibt es einen Wandel in der Bevölkerung hin zu mehr Bereitschaft, das eigene Land zu verteidigen und auch die Verteidigungsausgaben, so wie sie jetzt beschlossen worden sind, zu akzeptieren. Das ist über Jahrzehnte anders gewesen.“ Nun, das ist zumindest über Jahrzehnte anders beschlossen worden; denn dazu kennen wir weitgehend nur die veröffentlichte Meinung, auf die sich der Altbundespräsident hier offenbar bezieht.

Bekenntnis zu idealistischen Zielen

Zweitens: Die materiellen und personellen Grundlagen der Bundeswehr sind mindestens diskutabel, wenn nicht schon eher indiskutabel schlecht.

Drittens: Gauck stellt ein gedankliches Junktim her zwischen Wehrfähigkeit und Wohlstandsverzicht (früher: „Entbehrungen“): 

„Der Vorgänger von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier rief zu Solidarität gegenüber dem „überfallenen Opfer“ Ukraine auf. Es werde zu ertragen sein, wenn in Deutschland beim Heizen die Temperaturen etwas heruntergedimmt würden. „Und eine Wohlstandslücke kann man auch überleben“, sagte Gauck mit Blick auf die drohenden wirtschaftlichen Folgen des Ukraine-Kriegs für Deutschland. Aus einer Delle könne wieder ein Aufschwung werden. „Und es ist auch nicht gesagt, dass wir in immer wachsendem Wohlstand leben werden.“

Die Deutschen dürften von sich nicht zu gering denken, sagte Gauck. „Wir sind nicht nur die, die Wirtschaftswunder können. Sondern wir sind auch die, die einmal die Zähne zusammenbeißen können, wenn wir damit anderen Menschen helfen können.“ Es gehe um die Frage, ob man wirklich Furcht haben müsse, „dass uns Leben misslingt“, so Gauck. „Oder ob wir nur in eine Phase hineingehen, wo die schönsten Träume nicht verwirklicht werden können, wo wir vielleicht nur einmal in den Urlaub fahren anstatt zweimal.“ Dies alles werde in einem Sozialstaat debattiert. „Wir haben bisher keine Signale dafür, dass die Ärmsten, denen das Sparen wirklich schwer fällt, dass die aus dem Blick geraten“, sagte Gauck.

Es bleibt also festzuhalten: Ein Altbundespräsident hält sich und ein Land für wehrfähig, was in beiden Fällen de facto nicht zutrifft. Er hält ein Land für solidarisch oder auch nur solidaritätsfähig, das auf seine Wirtschaftskraft und den Lebensstandard seiner Bevölkerung weniger Wert legen dürfe als auf das Bekenntnis zu idealistischen Zielen. Gauck tut das, ohne auf den Zusammenhang zwischen wirtschaftlicher Leitungsfähigkeit, gesellschaftlichem Zusammenhalt und Wehrfähigkeit zu achten. Das ist entweder schon Endzeitrhetorik oder noch Naivität, aber keine realitätsbezogene Denk- und Sprechweise, jedenfalls nicht, ohne auf die vielfältigen Selbsttäuschungen und strategischen Fehler Deutschlands und deren zuerst nötige Korrektur hinzuweisen. Es handelt sich also auch um eine Verschleierung der Ursachen. So aber entsteht der falsche Eindruck, ein alleinschuldiger ausländischer Despot und Aggressor habe diese Situation herbeigeführt; dabei ist es Deutschland selbst, das sich vielfältig getäuscht, verkalkuliert und verstrickt hat, unter schlechter Führung, an der auch Gauck seinen Anteil hat. Der zweite Eindruck: Und nun soll die Bevölkerung davon abgelenkt werden – und es allein ausbaden.

Aufs Traumschiff

Das alles ist ein bloßes Illusionstheater, eine altpräsidiale Traumtänzerei. Denn wie will ein Land wehrfähig und motiviert sein, das bereits Wärmehallen für die Ärmeren vorbereitet? Dessen Finanzminister offen mit der wahrscheinlich schwersten Wirtschaftskrise seit Existenz der Bundesrepublik rechnet? Wie soll die angemahnte oder gar bereits erkannte Wehrfähigkeit denn umgesetzt und bezahlt werden? Wie lange werden diese Ärmeren „die Zähne zusammenbeißen“, wie lange Geduld mit einer politischen Klasse beweisen, die ihre sich abzeichnende Not ignoriert oder bagatellisiert? Wie lange werden sich junge Leute für so ein riskantes Spiel rekrutieren und motivieren lassen?

Vielleicht sollte der Altbundespräsident eher unter den saturierten Senioren bleiben und beispielsweise Harald Schmidt in der Rolle des Kreuzfahrtdirektors Oskar Schifferle, hier ab Minute 2:13, ersetzen, auf dem Traumschiff. Das wäre realistischer und unverfänglicher, selbst im Falle des Schiffbruchs und Untergangs.

Foto: Pixabay

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RMPetersen / 15.07.2022

Wenn ein 82-Jähriger solche Militarismen von sich gibt, dann würde ich vermuten: “Gaga. Bei einem Pastor und Bundespräsidenten i. R. würde ich das nicht zu denken wagen. Er wird sich schon etwas dabei gedacht haben, bestimmt. Ich wiederum danke an Opa Hoppenstedt

Torsten Hopp / 15.07.2022

Deutschland kann Denunziantentum und Bückling und auf Leuten rumhacken, die Fragen stellen. Alle Grundrechte werden abgegeben, wenn man mit imaginären Viren droht und der Urlaub im Ausland oder die Kneipe winkt. Eltern ducken sich weg und schicken ihre Kinder auf Befehl von Kinderhassern mit Maske in die Schule. Völlig verblödete wollen immer mehr E-Autos und weniger Strom. Das Schlimme, diejenigen, die das mit kritisieren, kaufen den Mist nur weil es Kohle vom Staat gibt. Und die wollen wirklich im Ernstfall Deutschland verteidigen. Lachhaft. Sowas kann nur ein schwachsinniger “Beklopter” annehmen.

Maria Berger / 15.07.2022

Ich rufe hiermit alle aktuellen sowie die derzeit Ehrensold erhaltenden Personen sowie alle Politiker der Landes- und des Bundesparlaments auf, ihre Bezüge freiwillig um 80% zu kürzen, Geld ist kann und z.B. die Tafeln in Deutschland, die wie in den Nachrichten berichtet, inzwischen über 2 Millionen Menschen zu versorgen haben, könnten’s gut gebrauchen, Tendenz steigend. Die noch verbliebenen, gesuchten Fachkräfte werden wohl demnächst auch das Weite suchen, wie sie das schon seit 2010 und verstärkt ab 2016 getan haben. Falls - hallo Herr Gauck, sie betrifft das ganz besonders, als Pastor - diese Personen, die sich durch Aufrufe der oben geschilderten Art auszeichnen, dies nicht tun, darf man sie ungestraft Heuchler und Anhänger der Doppelmoral nennen und sollte den von ihnen getätigten Äußerungen in Gedenken an GvB getrost ignorieren. Man sollte ja immer vorleben, was man anderen Personen “von oben verordnet”, vom moralischen Gipfel, sozusagen. Also prasst, fresst, feiert, fahrt mit dem Auto in Ermangelung eines Fliegerchens - denkt an die Zeit der Pest - die Obrigkeit will uns - na, nennen wir’s mal höflich: hinter die demnächst für ein Windrad abzuholzende Fichte führen.

Werner Lange / 15.07.2022

Ja mei, so sans de oiden Leid! Soll ich jetzt sagen “ein würdiger Vorgänger unseres derzeitigen…” oder “jetzt hab ich glatt den ehemaligen Präsi ganz über den heutigen vergessen”? Ist egal - besser wird es so schnell eh’ nicht mehr werden. “Gut Nacht” ist auch am Nachmittag schon angebracht….

Florian Bode / 15.07.2022

Heute so, und morgen so. Geistlicher i. R. halt.

Dietrich Herrmann / 15.07.2022

Es ist ein verwirtes Gewinn, das sich so äußert. Der Herr Pfarrer würde wahrscheinlich postwendend Fersengeld geben, die Flinte ins Korn werfen, wenn die ersten Kugeln um eben dieses Hirn pfeifen.

Lutz Herrmann / 15.07.2022

Kann er sich mit Ex-Minister Gerhard Baum zusammentun und einen Podcast “german attention whores” machen.

Ralf.Michael / 15.07.2022

Wahrscheinlich sind diesem ABUPRÄ der geringe Rest an Hirnzellen doch noch abhanden gekommen. In anderen Ländern hätte Der maximal die Strasse mit einem Strohbesen kehren dürfen…...

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