Thomas Rietzschel / 06.06.2015 / 20:50 / 13 / Seite ausdrucken

Aufbäumen der Lemuren - Merkel gibt den Metternich

Wann immer eine politische Klasse nicht mehr in der Lage ist, die anstehenden Probleme zu lösen, weil sie nur noch um ihren Selbsterhalt ringt, bedarf sie der großen Inszenierung, um sich die Bedeutung zu geben, die sie gern hätte. Das war so, das ist so, und wenig spricht dafür, dass es einmal anders werden könnte.

Der bombastisch zelebrierte Schwindel um das Nichts hat Tradition. Er wird immer dann aufgeführt, wenn es um die Restauration einer Kaste geht, die politisch abgewirtschaftet hat. Auch die Haupt- und Staatsaktion, die jetzt weit hinten in Oberbayern über die Bühne geht, das Treffen der G 7 am 7. und 8. Juni in Elmau, ist nichts weiter als ein Aufbäumen der Lemuren: nachgeäffte Geschichte.

Fast auf den Tag genau vor 200 Jahren ist schon einmal ganz Ähnliches geschehen. Am 9. Juni 1815 endete der Wiener Kongress, der freilich sehr viel länger gedauert hatte, beinahe neun Monate. Nach der Niederlage Napoleons in der Völkerschlacht bei Leipzig waren die vorher vielmals besiegten Monarchen und Fürsten am 18. September 1814 zusammengekommen, um Europa eine neue Ordnung zu geben.

Zwar waren auch die Abgesandten verschiedener Körperschaften und Städte bei der einen oder anderen Verhandlung zugelassen, den Ton aber gaben die Vertreter des Ancien Régime an. Obwohl ihr politisches Totenglöcklein bereits 1789 in Paris geläutet hatte, schwang sich die Adelsgesellschaft noch einmal dazu auf, die Geschicke Europas in die Hand zu nehmen. Die Regie führte der österreichische Außenminister Fürst Metternich, ein eingefleischter Monarchist und Gegner aller liberalen Bestrebungen.

Am Ende gelang ihm die historische Rolle rückwärts. Die G 6 der damaligen Zeit - Österreich, Russland, England, Preußen, Frankreich und der Vatikan - verständigten sich auf die Restauration der dynastischen Herrschaft in Europa, den Absolutismus geborener Machthaber. Ein Erfolg, der sich nicht zuletzt dem Umstand verdankte, dass die politischen Eliten auf dem Wiener Kongress weder Zeit noch Mittel scheuten, sich als die berufenen Herrscher zu präsentieren - mit gesellschaftlichen Aufzügen und Bällen, die sprichwörtlich wurden für die Verschwendung zu politischen Zwecken. „Der Kongress tanzt“, hieß es nachher.

Er tat das nicht ohne Erfolg. Die „Restauration“, die ihm folgte, verschaffte großen Teilen Europas Jahre des Friedens, die Ruhe des Biedermeiers, das stille Glück im Spitzwegschen Krähwinkel, erkauft um den Preis bürgerlicher Freiheiten. In Verruf geriet, wer dagegen aufbegehrte. Damit wollte der brave Bürger ehedem sowenig zu tun haben wie heute.

Auch 200 Jahre später setzen die politischen Eliten wieder auf die einschüchternde Wirkung ihres glamourösen Auftritts. Zwar sind die Mächtigen unserer Tage keine Fürsten mehr, die noch es verstanden, Bälle zu feiern. Wie der Barack die Angela über das Parkett schiebt, wollen wir uns lieber nicht vorstellen. Es genügt schon, dass sie als Gastgeberin in Elmau den Metternich gibt. Großzügig entfaltet sie den monarchischen Pomp, den es braucht, um das Volk in der Annahme zu wiegen, dass da die Größten der Großen zusammenkommen, Führer, die unser rückhaltloses Vertrauen verdienen. Allein aus den Kosten, die es verursacht, ergibt sich die Bedeutung ihres Zusammenseins.

Rund 360 Millionen Euro, schätzt der Bund der Steuerzahler, muss der Souverän, das deutsche Volk, für diese Beweihräucherung seines politischen Personals aufbringen. 360 Millionen für ein Treffen von sieben hochrangigen Beamten, die für ganze 36 Stunden einfliegen. Rein rechnerisch belaufen sich die Übernachtungskosten mit allen drum und dran pro Gipfelteilnehmer auf runde 50 Millionen Euro. Von einem solchen Etat hätten die Fürsten auf dem Wiener Kongress nicht einmal zu träumen gewagt.

Wäre es denn, wenn wir die Demokratie noch ernst nehmen wollten, nicht an der Zeit, dass der Staatsanwalt bei einem solchen Grad der Verschwendung Ermittlungen einleitet gegen die Verantwortlich, in dem Fall wohl gegen die Frau Bundeskanzlerin? Steht da nicht der Verdacht der Veruntreuung von Volksvermögen in einem besonders schweren Fall im Raum?

Schließlich hätte das Treffen, würde es nur um die sachliche Klärung von Problem und nicht um das große Kino gehen, doch ebenso gut im Berliner Kanzleramt stattfinden können. Ein genügend großer Besprechungsraum wäre dort sicher zu finden gewesen. Hotels, gute und bessere, gibt es ohnehin genug in der Stadt. Die Kanzlerin selbst hätte sogar daheim bei ihrem Gatten schlafen können. Auch hätte man für die Sicherheit nicht ganze Landschaften abriegeln und 20.000 Polizisten in das unwegsame Gebirge abkommandieren müssen. Selbst für die Gegendemonstranten hätte es auf der Straße des 17. Juni, wo sonst die siegreichen Fußballer von Millionen gefeiert werden, genügend Auslauf gegeben. Allerdings, wir geben es zu, wäre das Spektakel medial dann ziemlich ins Wasser gefallen. Übrig geblieben wäre ein Arbeitstreffen, über dessen Ergebnisse die Verhandlungspartner nachher womöglich ernsthafter hätten Auskunft geben müssen.

So aber, beim Gipfel in der Bergfeste, dort, wo sich sonst Fuchs und Hase Gute Nacht sagen, haftet der Inszenierung an sich schon etwas Großartiges an. Der Event wird zum Boulevard-Ereignis. Die Berichte darüber füllen seit Wochen Zeitungsseiten, Radio- und Fernsehprogramme, ohne dass die Journalisten, die zu Tausenden anreisen, noch ein Wort darüber verlieren müssen, dass da abermals der Berg kreißt, ohne etwas zu gebären, von dem die Welt Kenntnis nehmen müsste. Hat doch die Kanzlerin schon vorab verlauten lassen, dass es „diesmal kein großes Thema“ gibt.  Allein die Show wird den Mangel aufwiegen, indem sie die „mächtigste Frau der Welt“ und ihre Gäste groß herausbringt.

Der Bürger darf wie vorzeiten in Ehrfurcht erstarren und sich im übrigen über die Demonstranten entsetzen, die seine Ruhe stören, ihm die Stimmung verderben, weil sie dem faulen Zauber dieser Inszenierung nicht länger trauen wollen.

Dem neomonarchischen Gebaren unser politischen Klasse entspricht der unterwürfige Rückzug ihrer Wähler in die biedermeierlich möblierten Krähwinkel der Konsumgesellschaft. In den Zeiten der höfischen Demokratie versteht sich die teure Hofhaltung für viele von selbst, am Ende hebt sie gar noch den Stolz der Bürger auf ihre Obrigkeit. Warum also sollte die Merkel nicht den Metternich geben?

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Wilfried Paffendorf / 07.06.2015

Also, Herr Rietzschel, der Vergleich Merkel mit Metternich passt m.E. nicht. Ich würde Sie eher mit dem “flexiblen” Herrn Talleyrand vergleichen, dessen einzige Überzeugung wohl darin bestand, die eigene Macht zu erhalten. Wenn man allerdings in der Selbstinszenierung ein politisches Programm sehen will, dann mag der Vergleich mit Metternich ein klein wenig stimmen. Aber Metternich hätte bestimmt nicht Russland ausgeladen! Im Vergleich zum Wiener Kongress ist der Gipfel in Elmau auch nicht gerade pompös, vor allem bringt er der Region nichts. Da bleibt von den 360 Millionen Euro in den Taschen der Gewerbetreibenden nichts hängen. Hingegen bescherte der Wiener Kongress vielen Gewerbetreibenden, Handwerkern, Künstlern, Theatern und Ballhäusern eine bemerkenswerte wirtschaftliche Konjunktur. Und sogar das horizontale Gewerbe hatte in Wien und Umgebung Hochkonjunktur. All das, was in früheren Zeiten Kongressen, Konzilen und anderen europäischen Großereignissen anhaftete, können die Gipfel heutiger Zeiten nicht generieren. Aber Sie haben Recht, wenn Sie feststellen, dass am Ende außer Spesen - die der Bürger zahlt - nichts gewesen sein wird. Am Ende wird die Politikerverdrossenheit der Bürger weiter gewachsen sein. Ich würde den G7-Gipfel eher als ein Treffen von mittelmäßig begabten politischen Hochstaplern bezeichnen. Und ich fürchte, Fürst Metternich würde sich einen Vergleich mit Frau Merkel entschieden verbieten und als Affront bezeichnen.

Jürgen Gabriel / 06.06.2015

Ein schwacher historischer Vergleich, der nur aufgeht, wenn man die französische Revolution der 90er Jahre des 18. Jh. und die darauffolgenden Kriegs- und Monarchenjahre Napoleons außer acht lässt. Angesichts des Völkermordes in der Vendee (auch wenn er damals nicht so bezeichnet wurde, sondern den freiheitlich klingenden Namen der Befriedung trug), dem wüten des Grande Terreur und den endlosen Kriegen inklusive Geiselerschießungen, Plünderungen und Einquartierung unter den Bestrebungen des neuen französischen Kaiser war es eben nicht das Kunststück der “Rolle Rückwärts”. Die hatte die Revolution von ganz alleine geschafft. Die neue Ordnung war vielleicht keine Monarchie des Absolutismus, Code civil und napoleon beschränkten dies, nichts desto trotz eine Monarchie, hervorgegangen aus der Revolution. Und die Blüten der Revolution lagen auf Massengräbern. Wenn Sie also ein Bild zeichnen, als habe es keine Monarchisten gegeben, niemand der von den Geschehnissen desillusioniert versuchte die alten Zustände verbessert zur Geltung zu bringen außer den alten Adligen selbst, dann funktioniert dies nur unter besagter Auslassung.

Thomas Schlosser / 06.06.2015

Bis auf eine Einschränkung stimme ich Ihnen zu, Herr Rietzschel: Die nach Elmau anreisenden Demonstranten kommen nicht, wie Sie schreiben, um “die Stimmung zu verderben”, sondern um zu randalieren und zu brandschatzen. Dass dieser Staat unglaubliche 360 Millionen Euro übrig zu haben scheint, um die erlauchten Herrschaften vor diesem Pöbel zu beschützen, ist natürlich eine exorbitante Verschwendung von Steuergeldern, keine Frage. Die wirksamste Demonstration gegen das abgehobene Gebaren der sich selbst für die ‘Erwählten’ haltenden G7-Teilnehmer wäre, wenn sich das deutsche und europäische Wahlvolk endlich(!) in Massen zu den Parteien überlaufen würden, die diesem Spuk (Gipfel und Demo-Randale) ein Ende bereiten wollen. Doch so lange der zipfelmützige Michel immer und immer wieder CDU/SPD/Grüne wählt, so lange wird sich an diesen traurigen Zuständen auch nichts ändern. Leider…...

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