Thomas Rietzschel / 02.01.2022 / 16:00 / Foto: achgut.com / 23 / Seite ausdrucken

Auf zum Neuen Bitterfelder Weg?

Claudia Roth tritt die Nachfolge von Monika Grütters als Kulturstaatsministerin an. Das wird Folgen für die "Hochkultur" haben. Fortan geht es um „das Finden einer neuen, verbindenden Erzählung für die Republik“.

Man kann der abgetretenen Bundesregierung nicht vorwerfen, dass sie den Kulturschaffenden nicht unter die Arme gegriffen hätte. Sie mussten weniger darben als Gastwirte oder die Verkäufer von Feuerwerkskörpern. Schon vor dem Ausbruch der CORONA-Pandemie hatte Monika Grütters, die „Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien“, vieles zuwege gebracht. Obwohl nicht formal im Rang einer Ministerin, saß sie mit am Kabinettstisch, nicht am Katzentisch der Regierung. Ihr Büro im Kanzleramt lag direkt unter dem von Angela Merkel.

Sie hatte einen guten Draht nach oben und konnte viele Millionen für den Erhalt und die Pflege renommierter Kultureinrichtungen beim Finanzminister lockermachen. Ihr Herz hing an der Oper, an der Hochkultur überhaupt. Für die Nöte der Künstler hatte sie ein offenes Ohr, wenn auch nicht immer und für jedermann. Dass sie manche Gesuche abschlägig beschied, lag in der Natur der Sache. Erfüllte Wünsche wecken immer neue, hat Wilhelm Busch einmal gesagt. Trotzdem tat sie, was möglich und geboten war. Allein über das Hilfsprogramm „Neustart Kultur“ flossen zwei Milliarden an Corona-Hilfen, existenzrettend für viele Künstler. 

Chapeau, Frau Grütters!

Das nicht zu vergessen, ungeachtet aller kritischen Einwände gegen dieses und jenes über die Jahre hin, gebietet die Redlichkeit. Chapeau, Frau Grütters! Andererseits darf man nicht vergessen, dass diese „Großzügigkeit“ wie alles ihren Preis hat. Wer zahlt, bestimmt. Das heißt, die Unterstützung der Kultur durch die Politik war keineswegs so selbstlos, wie es sich manche Künstler einbilden wollen. Die Gelder wurden nicht gezahlt, um die Freiheit der Künste zu sichern, damit die Schaffenden tun können, was sie wollen und für richtig halten.

Langsam naht der Zahltag, die Zinsen werden eingefordert, nicht in Heller und Pfennig, sondern in Form politischer Fronarbeit. Schon im Koalitionsvertrag der neuen Regierung hat dieser Pferdefuß seinen Abdruck hinterlassen. Die Politik will, wo sie zahlt, inhaltlich mitreden, die Kultur zur Dienstleistung verpflichten. Zukünftig soll es um „Barrierefreiheit, Diversität, Geschlechtergerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ gehen – darum, die linksgrüne Politik mit künstlerischen Mitteln zu vermitteln und zu befeuern. 

Ton, Steine, Scherben

Die Neue im Amt der Kulturbeauftragten des Bundes, Claudia Roth, die anders als Grütters praktische Erfahrungen nicht in der Oper, sondern als Managerin der Rockband „Ton Steine Scherben“ sammelte, wird sich damit nicht schwertun, zumal der im Außenamt für internationale Kulturpolitik zuständige Staatssekretär gleichfalls ein Grüner ist. 

Für viele, die nie etwas anders erlebten als die freien Spielräume einer Kultur ohne staatliche Beeinflussung, mag das eine Petitesse sein. Wer hingegen schon einmal den Kulturbetrieb in einem totalitären System kennenlernen musste, dem drängen sich böse Erinnerungen auf. 

Auch in der DDR sowie im gesamten Ostblock wurden die Künstler recht großzügig versorgt, wenn sie den kreativen Eid auf den sozialistischen Realismus ablegten, wie ihre Vorgänger im Dritten Reich, solange sie gestalteten, worin sich das Volk wiederkennen sollte. 1959 hat die SED Schriftstellern, Malern, Bildhauern und Komponisten den „Bitterfeld Weg“ gewiesen. Mitten in einem mit Schadstoffen und Ruß verseuchten Gebiet, im Kulturhaus des Elektrochemischen Kombinats Bitterfeld, verdonnerte sie die Künstler, sich am Aufbau des Sozialismus gestalterisch zu beteiligen.

Die „Entfremdung zwischen Künstler und Volk“ sollte überwunden werden. Maler und Schriftsteller wurden in die Produktion geschickt, um danach das Erlebte kommunistisch zu verklären. Alles Romantische und Individuelle galt dagegen als reaktionär, vom Klassenfeind beeinflusst. Der Expressionismus wurde als formalistisch abgelehnt. Gottfried Benn war des Teufels, nichts, woran sich die Nachgeborenen orientieren durften. Gemalt wurden Frauen auf Traktoren, Männer an der Werkbank. Wer da nicht mitzog, fand keinen Verlag, der seine Bücher herausbrachte, keine Galerie, die ihn ausstellte.

Künstler müssen „zum Einsatz“ kommen

Schon auf dem fünften Parteitag der SED im Jahre 1958 – Losung: „Der Sozialismus siegt!“ – hatte Walter Ulbricht klargestellt: „In Staat und Wirtschaft ist die Arbeiterklasse der DDR bereits Herr. Jetzt muss sie auch die Höhen der Kultur stürmen und von ihnen Besitz ergreifen.“ Und heute, 63 Jahre später, 32 Jahre nach dem Untergang des kommunistischen Weltreiches, nach dem Scheitern des ideologischen Totalitarismus – was bekommen wir heute von der Politik zu hören: Die Künstler müssen wieder „zum Einsatz“ kommen. Rückwärts voran!

Es geht um „das Finden einer neuen, verbindenden Erzählung für die Republik“, verkündet der rot-grün-gelbe Koalitionsvertrag. Sollten uns also wieder Ausstellungen drohen, auf denen die „Heldinnen“ an den Kassen der Supermärkten oder in den Kliniken an den Betten der Corona-Patienten in Öl verewigt sind? „Wir wollen“, erklären die neuen Koalitionäre, „Kultur mit allen ermöglichen. … Von Klassik bis Comic, von Plattdeutsch bis Plattenladen.“ 

Über Opernhäuser und Museen indes wird kein Wort verloren. Was schon einmal überwunden schien, das linke Vorurteil gegen eine vermeintlich abgehobene Hochkultur des Bürgertums, feiert unter dem politischen Plebejertum unserer Tage Wiederauferstehung. Das Unglaubliche steht wieder auf der Agenda: die künstlerische Glorifizierung einer Ideologie.

Mit dieser trüben Aussicht schreiten wir ins neue Jahr. Möge es uns vor einem Roman über das Leben der Greta Thunberg oder vor Gemälden drehender Windräder verschonen. Das alles, diese anbiedernde Verklärung des Volkes, hatten wir schon, zuerst bei den nationalen, dann bei den real existierenden Sozialisten. Und man muss bekanntlich nicht zweimal in die Jauche springen, um zu wissen, dass sie stinkt. 

 

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Yehudit de Toledo Gruber / 02.01.2022

Donnerwetter, Herr Dr. Rietzschel, woran Sie sich noch erinnern! Als Ex-Dresdnerin und Ex-Literaturlehrerin habe ich von diesem damaligen Horror das meiste verdrängt. Doch einige Bücher von Hermann Kant, Erik Neutsch oder dem guten Sakowski stehen noch heute als Abschreckung in meinem “Ost-Regal” . Die “literarische “Bückware” daneben. Und nicht zu vergessen das Abschreckungsfoto der “Sächsi-schen Zeitung” (oder hieß die damals anders?) über dem Schreibtisch. Von meiner Strafver-setzung in die “Sozialistische Produktion”, weil ich den Lehrstoff ungefragt gändert hatte. Ich sei halt wie ein Stück Holz, das inmitten der Elbe schwimme, etwas Schönes am anderen Ufer sähe,  es mir sogleich anschauen wolle und damit gegen den Strom schwömme. Ganz ausge-schlossen - so etwas geht gar nicht. Und ja, diese robusten Werkbank- und Fabrikhallenbilder konnte ich dann in echt auf mich wirken lassen und lernen, wie es funktioniert mit dem Bohren, Senken, Schrauben - zur Gaudi der daneben stehenden Mannsbilder, die sich scheckig lachten über mich. Nun, bei dem aktuellen Wahnsinns-Fachkräftemangel überall in unserem Land, könnte Frau Roth sicher punkten und künftig alimentierte oder aufmüpfige Künstler in die Produktion, auf einen Bauernhof oder eine Pflegestation versetzen lassen.  “Gelebte Solidarität” eben, und sicher möglich auch ohne einen Parteitag. Und natürlich wäre ich schon jetzt gespannt auf die herrlichen modernen Bilder von den gepiercten und tätovierten Pflegerinnen oder Kassiererin-en oder einem knackigen afrikanischen Arbeiter unter einem Windrad. 

Bernd Meyer / 02.01.2022

Punktlandung, finde ich. Mit das Beste, das die Einheit zu bieten hat. Frohes Neues!

A. Ostrovsky / 02.01.2022

Wie aus dem Busch verlautbart wird, soll Genosse Thierse sich in einer emotionalen Rede davon distanziert haben, dass die Schwaben Wecker essen. Er will es aber nicht als pauschale Kritik am Schwaben an sich verstanden wissen. Wir vermuten, es war eher ein Missverständnis zwischen dem hochenglisch sprechenden Klaus SCHWAB und dem starken Akzent des Genossen Thierse. Leider konnte kein vereidigter Übersetzer das Missverständnis verhindern, weil der zugeordnete Pflichtübersetzer keine Chance hatte, einen der beiden Politknaller zu verstehen.  Leider waren Anna und Lena, die beide über die Gabe der freien Tirade verfügen, gerade mit dem Zug nach Brussels unterwegs. Sie hätte es sicher schnell korrigieren können, Sche—se! Was macht die Claudia eigentlich den ganzen Tag?

Markus Kranz / 02.01.2022

Claudia Roth wird das machen, was Sozis immer machen: Sie wird Milliardengelder zweckentfremden, um den Westen schlecht zu machen, Amerikaner und Europäer als pauschal intolerant, frauenfeindlich, homophob, bösartig darzustellen. Gleichzeitig wird sie jede Form von Terror, Frauenfeindlichkeit, Rassismus, Homophobie fördern, solange es nur gegen Amerikaner, Israelis und Europäer geht.

Walter Weimar / 02.01.2022

“Claudia Roth tritt die Nachfolge ...an ...”. egal was die Frau antritt, es wird für die Betroffenen eine Aufgabe und Entscheidung des Lebens. Im Leben der Roth kommt eben jeder mal dran. Nur die harten und weichgespülten werden überleben. So etwas nennt man natürliche Auslese gegenüber der rauhen Natur. Entartetes wird jetzt aussortiert.

H.Milde / 02.01.2022

Doch, einige haben anscheinend Wohlgefallen sich in Jauche täglich zu baden,  Hi5-Culture vllt. auch?

Walter Ebert / 02.01.2022

Glücklicherweise lassen sich Kunst und Kultur auf Dauer nicht reglementieren, dies weiß Frau Roth nur nicht - aber die weiß ja auch sonst nur wenig. Jeder, der die 70er und 80er Jahre in der DDR oder gar der Sowjetunion erlebt hat, weiß wie erfinderisch Künstler und Publikum sein können. Tragisch ist allerdings, wieviel Kunst und Kultur auf diesem Weg verhindert, beschädigt und zerstört werden. Aber das Ergebnis wird sicher sein. Bulgakow kennt heute jeder, die Funktionäre, die sein Buch verhindern wollten, keiner mehr.

Eugen Karl / 02.01.2022

Nunja, “Klassik” wird erwähnt, und Oper gehört nun mal zur Klassik. Mir schwant allgemein auch Schreckliches, aber so fair muß man schon sein.

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