Auf welchem Gleis ist die FDP? (2)

Von Michael W. Alberts.

Wohin wollen die deutschen Liberalen strategisch-programmatisch? Wollen sie – im Geiste des klaren Nein zu schwarz-grünen „Jamaika“-Träumen – freiheitliches Gegengewicht zu grünem Weltverbesserungs-Treiben bleiben? 

Wie im ersten Teil dieser kurzen Serie nachgezeichnet, gehe es nicht um einen Kampf von Kulturen oder Religionen, sondern um die Gefährdung freiheitlichen Denkens durch quasi sozialpolitische Fehlentwicklungen, die (in Görlachs Analyse) viele Menschen an den Segnungen einer freiheitlichen Demokratie zweifeln lassen. Freiheitlich bedeute von vornherein auch kosmopolitisch und fordere grenzüberschreitende Menschheits-Solidarität, die aber von gefährlichen Populisten in menschenverachtender Weise bekämpft werde. 

Nun kehrt Görlach zum angeblich geleerten oder als geleert empfundenen Portemonnaie großer Teile der Bevölkerung zurück und füttert dieses mit einer sozialpsychologischen Beobachtung aus, die er sich bei Fukuyama (der gerade eben noch so gewaltig fehldiagnostiziert hatte) ausleiht: Es gehe um eine „ökonomische Entfremdung“ (noch ein marxistischer Zentralbegriff ohne analytische Klarheit!) und in deren Folge um ein „Gefühl der Entwürdigung“.

Nur hierdurch sei erklärbar, warum „aufgrund oft nur kleiner Beträge, die die Menschen mehr zahlen sollen (…): Benzinpreiserhöhungen, Bustickets, die teurer werden, eine Steuer auf die Nutzung sozialer Medien“ so gewaltige Proteste entstehen. Die protestierenden Bevölkerungsgruppen leben laut Görlach in wachsender Angst, offenbar geradezu Panik, durch eigentlich geringe materielle Aufpreise an einem anständigen Leben in relativem Wohlstand und in ökonomischer Selbstständigkeit gehindert zu werden.

Dabei ist dem liberalen Denker eine Formulierung hineingerutscht, die merkwürdig unausgeführt bleibt, nämlich dass an bestimmten Stellen „das Fass zum Überlaufen“ gebracht werde, zumindest in der Wahrnehmung der (sozusagen ganz unerwartet plötzlich) protestierenden Populisten. Görlach bietet aber nichts an, was das Fass vorher schon bis an den Rand gefüllt haben muss; man kann nur annehmen, dass auch insoweit das als leer wahrgenommene Portemonnaie der Betroffenen für ihn den Grund darstellt. (Obwohl, vielleicht…)

Populisten gegen Freiheit?

Nun wird Görlach ganz global und richtet den Blick auf die Vereinigten Staaten und die dortigen Folgen der Finanzkrise und vorherigen Immobilienkrise. Angesichts der dort feststellbaren unabweisbaren, massenhaften Verarmungs-Erscheinungen unterlässt Görlach sogar für einen Moment das Moralisieren, lässt geradezu Verständnis dafür erkennen, dass die Betroffenen womöglich an der „Agenda des Gebens und des Gemeinsamen“ nicht mehr so interessiert seien. Nun, wer solche Formulierungen in die Welt setzt, der lässt allerdings erkennen, dass er definitiv nichts zu tun hat mit der Lebenswelt der verarmten Normalbürger. (Eine solche Formulierung würde nicht mal von der Kanzel herab taugen, aber schon gar nicht zum Abkanzeln politisch missliebiger Strömungen. Das ist prätentiöser Kirchentags-Sprech, mithin von vornherein alltagsresistent.)

Der lässt zudem aber auch erkennen, dass er von seinem Beobachtungsgegenstand wenig weiß, denn tatsächlich sind gerade die US-Bürger, verglichen mit denen in Europa, mit sehr weitem Abstand viel stärker caritativ engagiert, zeigen konkreten Bürgersinn, organisieren sich lokal, vertrauen weniger auf „Vater Staat“. Davon könnten europäische Gesellschaften durchaus lernen, gerade auch aus liberaler Sicht, wenn es um eine „Agenda des Gebens und des Gemeinsamen“ geht. Aber dieser Aspekt scheint hier nicht wirklich näher zu interessieren, denn eigentlich geht es wieder nur darum, die Grundthese des leeren Portemonnaies, der dadurch mangelnden Menschheitssolidarität und in der Folge der Zuwendung zum „Populismus“ am US-Beispiel zu untermauern:

„Die illiberalen, die populistischen ‚starken Männer‘ bieten in dieser Situation Hilfe an: Gebt eure Freiheitsrechte auf und lasst uns eine homogene Nation bauen, die, wie eine Familie, unfaires Verhalten nicht mehr zulässt.“ Damit kann an dieser Stelle ja nur genau einer gemeint sein, zumindest als Prototyp des verachtenswerten Populisten: Der amtierende 45. US-Präsident Donald Trump. 

Donald Trump vs. Liberalität?

Wie also lässt sich dieser Prototyp kennzeichnen?

  • Er ist „illiberal“
  • Er will „Freiheitsrechte“ einkassieren
  • Er will „eine homogene Nation“ bauen, die
  • „wie eine Familie“ agieren soll.

Das ist nun allerdings atemberaubend, und zwar atemberaubend ignorant, polemisch und unwürdig jeder Art auch nur in Ansätzen akademisch gemeinter Diskussionsbeiträge. Die Kennzeichnungen sind nicht einmal nur maßlos übertrieben, was schon ärgerlich genug wäre, sie sind vielmehr schlicht unwahr oder, um nun auch etwas kräftiger zu formulieren: unverschämt zurechtgelogen, um die eigene Grundthese mit allen Mitteln passend zu machen. Hier wird endgültig Großvaters Golduhr mit einem Vorschlaghammer repariert.

  • Was ist an einem US-Präsidenten „illiberal“, der an US-Universitäten gegen linksradikale Randalierer und für tatsächliche Meinungsfreiheit eintritt, die es auch einem Christian Lindner ermöglichen würde, an einer Hochschule einen Vortrag zu halten?
  • Welche „Freiheitsrechte“ will Donald Trump denn abbauen, derselbe Präsident, der in einem bis dahin unvorstellbarem Tempo und Ausmaß bürokratische Hürden abgebaut und damit die amerikanische Wirtschaft, und das heißt auch: die heimischen Entrepreneure nicht zuletzt des Mittelstands geradezu entfesselt hat (und was der liberale NRW-Wirtschaftsminister Prof. Pinkwart nur neidvoll anerkennen könnte)?
  • Was für eine „homogene Nation“ soll das sein, in der Menschen aus aller Herren Länder den „american dream“ wahr werden lassen, und zwar bei ausdrücklicher Fortdauer massiver Einwanderung, allerdings in legaler Weise und mit politisch definierten Kriterien in genau derselben Manier, wie es den deutschen Liberalen für das „Einwanderungsland“ Deutschland vorschwebt?
  • Und was hat es mit der „Familiarität“ auf sich, die ein Donald Trump angeblich in seinem Land erzwingen will, was soll und kann damit überhaupt gemeint sein? Hier versagt des Sängers Phantasie endgültig.

Aber für Görlach ist, nach diesem kurzen und nicht einmal halbwegs zu Ende gedachten transatlantischen Ausflug, die Welt „zweigeteilt“, eben in die „Demokraten“, die jetzt die „bürgerlichen und sozialen Freiheiten wieder ins Lot zu rücken“ haben, und die Populisten, die nun durch einen weiteren argumentativen Handstreich ohne jede Vorbereitung als „Befürworter eines autoritären Systems“ entlarvt werden.

Wo kommt das her? Gibt es eine argumentative Grundlage? Nein, das wird einfach als selbstverständlich unterstellt, so wie von vornherein ein billiges Klischee das nächste jagte: Populisten sind nun einmal, jedenfalls wohl die bösen, „rechts“, und „rechts“ kann nicht einfach nur sozial konservativ heißen, sondern „rechts“ heißt automatisch quasi-faschistisch und demokratiefeindlich. Wilders, Le Pen, Orban, Salvini und irgendwie wohl auch Trump: halbe Hitler, mindestens.

Was schafft das Bewusstsein?

Nachdem dergestalt Angst und Schrecken an die Wand gemalt sind, zeichnet Görlach aber nun doch eine Art Silberstreif an den Horizont. Denn: die freiheitlichen Gesellschaften, die westlichen Demokratien seien besser in der Lage, technologischen Fortschritt sowohl zu erzeugen als auch seine eventuell negativen Begleiterscheinungen sozusagen abzufedern und den Frieden der Gesellschaft zu erhalten. Deshalb sei man im Vorteil gegenüber einem China, das durch Totalüberwachung letztlich auch die Kreativität der Individuen gefährde.

Demgegenüber beruhe das erfolgreiche Denken in der Demokratie auf der „Empathie, die in freien Gesellschaften Menschen befähigt, durch kritisches Denken den Mitmenschen zu verstehen. Autokratische, illiberale Systeme können das nicht, da ihr System von Ressentiment befeuert wird. Wenn das liberale, kosmopolitische Modell den Sieg davontragen soll, müssen sich alle, die in der freien Welt leben, seiner Stärken wieder bewusstwerden [sic].“ OMG,(oh my God) im Netzjargon, oder auch WTF (What the f...) 

  • Empathie gibt es nur in freien Gesellschaften, sie ist nicht im Wesen des Menschen angelegt? (Letzteres zu denken, biologisch/evolutionär orientiert, wäre vermutlich schon rassistisch…) 
  • Empathie funktioniert durch „kritisches Denken“, nicht etwa aufgrund originärer Gefühlsregungen und unterbewusster Mechanismen? 
  • Ressentiments gibt es nur in autokratischen Systemen, während sie in Demokratien von vornherein zumindest irrelevant sind? Hat der Autor noch nie einen roten oder grünen Parteitag besucht? Und beruhen Autokratien bzw. Diktaturen nicht überwiegend auf purer Macht und Gewalt?
  • Demokratie ist – wie schon einmal angeführt – nur als „kosmopolitisches Modell“ denkbar, internationalistisch und grenzüberschreitend? Dann wäre die Schweiz also eigentlich gar keine richtige Demokratie, jedenfalls keine liberal-freiheitliche, nachdem Sie so hartnäckig der EU fernbleibt und tatsächlich gründlich ihre Grenzen kontrolliert?

Vor allem aber: welcher „Stärken“ dieses Modells soll sich wer genau „bewusstwerden“? Dieselben Bevölkerungsgruppen, die sich gerade eben noch angesichts ihres geleerten Portemonnaies entwürdigt fühlten und dadurch effektiv an kritischer Empathie bzw. Ausleben ihrer Menschheitssolidarität gehindert waren? Nun plötzlich, nachdem die ganze Zeit der Primat des Ökonomischen (und der sozialen Ungerechtigkeit, auch wenn diese Vokabel fehlte) den Populisten die Massen zugetrieben hat, nun ist plötzlich zuvorderst, wenn nicht gar ausschließlich, Bewusstseinsbildung gefragt?

„Soziale Wohltaten“ oder Meinungskampf?

Ja was denn nun? Müssten jetzt nicht liberale Demokraten, Dahrendorfs Erwägungen im mentalen Gepäck, aktiv in die Sozialpolitik und die Wohlfahrtsmaschinerien ihrer Länder eingreifen und die gefühlte Gerechtigkeit auf der sozialen Seite wieder ins Lot bringen? Aber wie kann es dann angehen, dass die real existierende FDP nachdrücklich fordert, nun nicht noch weitere „soziale Wohltaten“ zu verteilen, sondern endlich mehr Spielraum für die Wirtschaft zu schaffen?

Aber dieses zuletzt erörterte Argumentations-Defizit ist natürlich fast nur noch vollständigkeitshalber von Interesse, nach diesem gesamten Hoppel-Galopp durch Geschichte, Ökonomie und Sozialpolitik, währenddessen kühne Behauptungen an die Stelle folgerichtiger Beweisschritte und vordergründige Klischees an die Stelle sorgfältigen Differenzierens getreten waren. Man möchte die deutschen Liberalen bemitleiden dafür, dass an so prominenter Stelle und für alle zahlenden Mitglieder eine so beliebige, unausgegorene und polemische Litanei verbreitet werden kann, ein dermaßen oberflächliches und flaches Elaborat – wo doch offensichtlich eine mutige und fundierte programmatische Strategiedebatte dringend notwendig wäre.

 

Den ersten Teil dieser Serie finden Sie hier.

Den dritten Teil dieser Serie finden Sie hier

Den vierten Teil dieser Serie finden Sie hier

Michael W. Alberts hat langjährige Erfahrung in der Politikberatung und in politischer Kommunikation, auch zugunsten von Funktionsträgern der Liberalen, und betätigt sich nebenberuflich publizistisch.

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Leserpost

netiquette:

Peter Holschke / 07.02.2020

Der Beitrag hat sich überholt. Lindner hat die Selbstauflösung per Selbstentleibung durch Wählerverzichtserklärung eingeleitet. Eine prinzipienlose Partei, welche aus Prinzip untergeht. Liberale Freiheitsmenschen sind dort schon lange nicht mehr sichtbar.

Eugen Richter / 07.02.2020

Wieso erinnert mich das Geschwafel von Görlach & Co an die jugend- und lebensreformerischen Bewegungen und ihren sozialistischen Schnittmengen aus der deutschen Kulturrevolutionszeit von 1896 bis 1933. Es zeigt deutlich, dass seit 1896 nichts, aber wirklich nichts in D gelernt wurde. In Deutschland wird der Baum der Freiheit immer nur kargen Boden finden.

Rainer Niersberger / 07.02.2020

Ein Zwischenfazit : Dieses Konvolut entspricht dem, was diese Partei aktuell abliefert. Es entspricht damit durchaus auch der klaren Linksorientierung und Abwendung von jeder Form des Liberalismus. Offen bleibt, ob dem Verfasser die Dissonanzen selbst bewusst sind, wenn er von einer Art marxistischer Freiheit faselt oder ob er, wie heute im Mainstream ueblich, den Sozialismus und die Entliberalisierung durch eingestreute Pseudbekenntnisse nur einfach tarnen will, eine Art Trojaner wie anfänglich Merkel, die sich allerdings die geeignetere Partei aussuchte. Dieses Papier zeigt beispielhaft wie dargelegt auch das unglaublich niedrige intellektuelle Niveau der politischen Akteure, das allerdings dem der gesellschaftlichen Entwicklung entspricht. Anders formuliert : Der Quatsch faellt kaum noch jemandem auf, vergleichbar mit den Reaktionen auf das platte, sprachlich unterirdische Geschwurbel von Merkel. Zum Inhalt als Ergänzung der zutreffenden Anmerkungen: Es koennte doch sein, dass es den zur Zahlung Verpflichteten zum einen um die Pflicht selbst, zum andern aber um den Sinn und Zweck dieser Zahlungen geht, vor allem dann, wenn es an der Gegenleistung mangelt und/oder damit eine gigantische Alimentationswirtschaft der Agitation finanziert wird. Fuer einen “Liberalen” sollten Energiewende und ÖR rein systemisch “gefundene Fressen” sein.

Ulrich Porstein / 07.02.2020

An diesem Beispiel sieht man sehr schön, dass den “Liberalen” im speziellen und den meisten Parteien allgemein jeglicher Kompass, jegliches grundsätzliche Wertgerüst, egal welcher Coleur, abhanden gekommen ist. Und das ist die direkte Folge der Bildungsmisere in diesem Land. Chic, auch bei den Liberalen, ist nur noch links, grün, Bevormundung der Bürger vor allem durch immer neue Steuern, und auf jeder Ebene mehr Staat, also Regulierung. Mehr hat auch die FDP leider nicht zu bieten. Oder nehme ich es nur nicht wahr?

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