Ob Wahlen, allgemeine Verwaltung oder Verkehr – Berlins Versagen ist legendär. Das Muster: Der Senat verordnet irgendwas, und die Bürger müssen sich mit den Folgen herumschlagen. Manchmal auch im Wortsinn, wenn der Senat Auto- und Radfahrer jetzt buchstäblich in einen Kampf um den knappen Straßenraum hetzt.
Die Spatzen zwischen Kapstadt und Nordkap pfeifen es von allen Dächern. In Berlin liegt die Verwaltung am Boden. Die rotgrünrote Landesregierung kommt weder bei ihren hoch eingeflogenen Projekten voran noch in den Niederungen des politischen Alltags. Die Einwohner haben sich daran gewöhnt, sie flüchten sich in Sarkasmus, lachen.
Jetzt aber das Neueste: Der Senat flüchtet sich in seiner Hilflosigkeit in Schnapsideen, und deren Folgen sind womöglich nicht mehr zum Lachen. Was die grüne Verkehrssenatorin Bettina Jarasch jetzt aufs Gleis gesetzt hat, könnte eine Mischung aus Krieg und Slapstick auf der Straße bewirken, genauer: neben der Straße, im ruhenden Verkehr. Dort könnte es ziemlich unruhig werden. Nicht ausgeschlossen, dass auch die Fäuste fliegen.
Jarasch hat die neue Parkgebührenverordnung bekanntgegeben, die ab Januar gelten soll: Die Kosten für PKW werden erhöht, soweit alles normal. Doch nebenbei kam auch auf ein brisantes Detail zur Sprache. Wörtlich heißt es: „Für das Abstellen bzw. Parken von E-Tretrollern, Fahrrädern, Pedelecs, Lastenrädern, Leichtkrafträdern sowie Motorrädern auf Verkehrsflächen des ruhenden Verkehrs ist eine generelle Befreiung von der Parkgebührenpflicht vorgesehen. Damit wird den Nutzenden der genannten Fahrzeugarten eine Inanspruchnahme dieser Verkehrsflächen erleichtert.“
Fahrräder dürfen also ab sofort umsonst auf Autoparkplätzen abgestellt werden, das soll gefördert werden. Und wo ein Fahrrad steht – warum nicht mitten auf dem Geviert des Stellplatzes? – dort kann kein Auto mehr abgestellt werden. Und merke: Eines ist heute, in Zeiten des in Berlin herrschenden offenen Krieges zwischen Radfahrern und Autofahrern, in Zeiten von „Extinction Rebellion“ oder „Last Generation“ klar: Diese Steilvorlage werden sich Aktivisten nicht nehmen lassen, und zumindest in der Innenstadt, in den Einkaufsstraßen den Parkplatzsuchenden Autofahrern das Leben nach Kräften so schwer wie möglich zu machen.
Blockade ohne Rechtsbruch?
Anmerkung: Grundsätzlich begrüßt der Autor dieser Zeilen und setzt sich auch dafür ein, dass für Fahrräder mehr Raum in der Stadt geschaffen wird, mehr Sicherheit, mehr Komfort fürs Radfahren. Dies auch zu Lasten des Autoverkehrs. Wie sonst? Allein schon das Missverhältnis zwischen den platzfressenden Alleinfahrern in Fünfsitzern, in SUV-Panzern einerseits und den überaus schmalen und langsamen Einzel-Radfahrern gebietet dies. Genauso wie der – glücklicherweise – enorm angewachsene Fahrradverkehr. Der Autor engagiert sich auch persönlich dafür, er fährt meist leidenschaftlich Fahrrad und gelegentlich auch mit dem eigenen Auto. Er kennt die ziemlich gleich verbreitete Rücksichtslosigkeit von Autofahrern und Radfahrern gegenüber den jeweils Schwächeren.
Doch die Schnapsidee, die Autoparkplätze für einzelne Fahrräder zu öffnen, dürfte wie so vieles in Berlin nach hinten losgehen. Sie macht die Anarchie, der manche auf den Straßen frönen, ein Stück weit legal.
Natürlich wird kein Besitzer eines Rennrades oder sonstwie teuren Gerätes dasselbe an einem solchen Ort stehenlassen, nur abgeschlossen und nicht fixiert an Bügel, Laternenpfahl oder Zaun. Doch in der Stadt gibt es zigtausende von alten, fast wertlosen, vergessenen Drahteseln, denen allen nun ein neuer Lebenssinn eingehaucht werden könnte, reaktiviert aus dem Keller, dem Hinterhof oder aus dem Park.
Man muss ab sofort nicht mehr Gesetze brechen, um die Autofahrer in Rage zu bringen, keine Zufahrtstraßen in die Stadtzentren mehr blockieren, sondern nur noch Parkplatzblockieren spielen, ganz legal, mit höchsten Weihen von der Verkehrssenatorin. Natürlich wird es Versuche geben, blockierende Fahrräder ein wenig auf die Seite zu stellen, um das Auto doch noch zu platzieren, und natürlich wird es dabei zu Rangeleien kommen – und natürlich ist dann der Autofahrer im Unrecht. Aktivisten haben bisweilen viel Zeit und Geduld, um hinterm Busch Wache zu stehen. Einer allein könnte eine ganze Reihe von blockierten Parkplätzen mit Schrottfahrrädern bewachen. So ist es offenbar gewollt von der Politik. Auch wenn die Verkehrssenatorin, als sie auf den Unfug ihres Planes aufmerksam gemacht wurde, mündlich nachschob: Sie gehe davon aus, dass die Räder platzsparend geparkt werden. Wieso meint sie das? Und wer muss sich daran halten?
Kloppt Euch doch selbst
Die tausendfach herumstehenden E-Scooter werden den Fahrrädern auf den Autoparkplätzen gern Gesellschaft leisten. In der Tat sind sie heute ein Ärgernis auf den Bürgersteigen. Aber wenn wir die Verkehrswende so verstehen, dass demnächst jede Mobilität elektrisch betrieben und der Fußgänger abgeschafft wird, werden die stromfressenden Roller sowieso flächendeckend überall herumstehen. Vielleicht sollte man das Thema mal grundsätzlich angehen.
Die neue Verordnung, die Jarasch jetzt vorgestellt hat, der offensichtliche Wunsch, dass die Auseinandersetzung zwischen Radverkehr und Autoverkehr doch bitteschön von den Beteiligten selbst ausgetragen werden möge, ist auch ein Eingeständnis des eigenen Scheiterns. Eines der großen Pleite-Projekte in der Stadt ist bekanntermaßen die einstmals so groß angekündigte „Verkehrswende“, für die vor vier Jahren das Mammut-Regelwerk „Mobilitätsgesetz“ verabschiedet wurde. Sie ist längst ein Running Gag in allen Hauptstadt-Medien (neben dem Sozialen Wohnungsbau, der mittlerweile auf Null zurückgefahren wurde). Da die grüne Verkehrssenatorin – wie ihre Vorgängerin in der letzten Legislaturperiode – weder bei der Verbesserung des Nahverkehrs noch bei der Förderung des Radverkehrs auch nur annähernd ihre Versprechen einlösen konnte, heißt es jetzt: Kloppt euch doch selbst, macht das unter euch aus.
Als das Mobilitätsgesetz verabschiedet wurde, versprachen der regierende Senat und seine damals wie heute tragenden rotgrünroten Parteien Radfahr-Zustände wie in Kopenhagen oder Amsterdam, mit breiten Radwegen und -streifen. Vor allem aber auch mit tausendfachen, sicheren – anschließbaren – Parkmöglichkeiten für die Räder bei öffentlichen Einrichtungen, den S- und U-Bahnstationen. Dies auch weil die Berliner Polizei den Kampf gegen Fahrraddiebstähle längst und dauerhaft aufgegeben hat. Wer es aus Amsterdam kannte, sah es schon in Berlin aus dem Boden sprießen: Ein Parkhaus für 7.000 Fahrräder unmittelbar am Hauptbahnhof. Doch es blieb ein Luftschloss, wie alles in Berlin. Inzwischen wäre man dort froh, wenn auch nur irgendwo ein paar mehr Bügel installiert würden. Der Frust in der Berliner Fahrradszene ist enorm.
Unvermögen, Lustlosigkeit, Desinteresse, ja: Faulheit wegen persönlich gesicherter Zukunft in der Öffentlichen Verwaltung – warum auch sollte die sogenannte „Mobilitätswende“ vom ganz großen Drama in der Hauptstadt ausgenommen sein? Die Berliner wählen sowieso immer dieselben Parteien, der rotrotgrüne Senat kann sich seiner Mehrheit sicher sein, egal, was passiert. Selbst unfassbare Armutszeugnisse der Landesregierung haben seit Jahrzehnten nicht mehr für die Abwahl eines Senats sorgen können.
Wir schaffen’s nicht
So zeichnet sich genau genau das laut Umfragen heute schon für die Neuwahl im Februar ab, auch wenn die originellerweise nur deshalb stattfindet, weil der Senat sogar die Organisation der letzten Wahl komplett in den Sand gesetzt hat. Und es ähnelt sich ja auch: So wie der Senat die Schuld an dem Wahlchaos den Berlinern in die Schuhe schieben wollte (SPD: „Die Wahlen werden von den Bürgerinnen in Selbstorganisation durchgeführt. Es ist ein Trauerspiel, dass die CDU versucht, diese Schwierigkeiten parteipolitisch zu instrumentalisieren.“), genauso will Jarasch nun offenbar, dass die Berliner das Ringen um die Verkehrswende zwischen Rad und Auto selbst erledigen, zum Beispiel im Krieg um die Parkplätze. Statt endlich politische Vorgaben zu leisten.
Kümmert euch doch selbst – ob Jarasch dies auch zum Prinzip erheben wird, wenn sie demnächst Regierende Bürgermeisterin sein wird. Doch, doch, die Chancen für sie als Spitzenkandidatin stehen laut Umfragen gar nicht so schlecht. Sie trommelt schon mal. Angesichts der desolaten Situation in den Berliner Amtsstuben kündigte sie für den Fall ihres Wahlsiegs eine „Radikale Verwaltungsreform“ an, freilich ohne dies zu spezifizieren (die Zuständigkeiten sollen klarer werden, hieß es lediglich). Als sie vor einem Jahr erstmals als Spitzenkandidatin antrat, hatte sie Berufserfahrung lediglich in der Partei gesammelt und noch nie eine Verwaltung von innen gesehen. Könnte also sein, dass sie im Zweifelsfall dann den Hilferuf an die Berliner richtet: Macht eure Verwaltungsreform bitte selber.
Auch viele Autofahrer jedenfalls sind schon mal entschlossen, die Sache selbst in die Hand – und für sich das Beste aus der neuen Parkgebühren-Verordnung zu machen. In den sozialen Medien, auch in Leserbriefen, blitzt die naheliegende Idee bereits vielfach auf: Jeder kann sich ab Januar künftig vor seiner Haustür seinen Privatparkplatz sichern. Er muss nur morgens, wenn er zur Arbeit fährt, anstelle seines ausgeparkten Autos erst mal sein Fahrrad als Platzhalter aufstellen, der ihm den Parkplatz für den Abend freihält. Und kann abends dort wieder bequem einparken. Auch das dürfte nicht konfliktfrei mit der Nachbarschaft ablaufen. Aber es würde zum Motto des Senats passen: Macht das unter euch aus. Wir schaffen’s nicht.