Ja, ja, sie sind schon eine wirklich ganz besondere Spezies, unsere
Freunde, die “Globalisierungskritiker”.
“Jeder liebt sie und ihren Kampf gegen offene Märkte. Zumindest in den
reichen Industrieländern ist das so, weil sie auf freien Weltmärkten
einiges zu verlieren hätten. (...) Behäbige Industrien und
subventionierte Bauern freuen sich, daß ihre Interessen von rebellisch gestylten
kugendlichen Demonstranten propagiert werden. Daß es nunmehr als links
gilt, gegen das ökonomische Zusammenwachsen der Welt zu sein, für
Protektionismus und nationale Wirtschaftsprivilegien einzutreten, ist eine
seltsame Volte der Ideengeschichte. Früher war die Linke
internationalistisch. Marx und engels betrachteten den entwickelten globalen
Kapitalismus als großen fortschritt gegenüber nationaler Beschränktheit -
zum Beispiel im ‘Kommunistischen Manifest’”, so Michael Miersch in dem
jüngst von ihm mitherausgegebenen Buch “Schöner
Denken-Wie man politisch unkorrekt ist”.
Besonders zahlreich sind unsere Freunde, die “Globalisierungskritiker”,
natürlich im Bildungsbereich, d.h. an Schulen
und hier v.a. an Gesamtschulen, die es sich gerade nach diversen
PISA-Schocks offenbar zur Aufgabe gemacht haben, “schulübergreifende
‘G8-Projektfahrten’” zum bevorstehenden “Anti-G8-Gipfel” in Heiligendamm im
Juni dieses Jahres auf die Beine zu stellen. Das ist auch nur
konsequent, läßt sich doch der durch diverse PISA-Schocks erbrachte Befund,
demzufolge deutsche SchülerInnen im Grunde weder rechnen, noch lesen,
noch schreiben können, einzig und allein durch die “Schaffung
außerschulischer Lernorte als Erprobungsfeld einer anderen politischen Kultur”
nachhaltig beheben.
Schließlich hat nicht zuletzt die Rütli-Schule in Berlin-Neukölln
vorgemacht, wie bes gehen könnte:
Statt Rechnen, Lesen und Schreiben stehen dort mittlerweile vor allem
Hip-Hop und andere fächerübergreifende Projekte im Sinne
multikultureller Vielfalt auf dem Programm, und, siehe da, der Erfolg ist in der Tat
frappierend:
Nur ein Jahr nach den bekannten Vorfällen an der Rütli-Schule, die
eine offenkundig überforderte Schulleiterin und mit ihr einen Großteil
des Kollegiums zu einem verzweifelten Hilferuf an die Öffentlichkeit
veranlaßten, kommen Erkan, Kemal und Mahmoud jetzt nicht mehr mit
Ketten, Messern und Schlagringen in den Unterricht und bezeichnen ihre
LehrerInnen als “Nutten” und “Schweinefleischfresser”, sondern vergnügen
sich stattdessen lieber auf dem Parkett bzw. auf der Tanzfläche und
tragen so zum Schulfrieden in einem “sozialen Brennpunktbezirk” Berlins
maßgeblich bei.
Offenbar ermutigt durch derartige pädagogische Erfolge hat jetzt eine
Hamburger Gesamtschule beschlossen, ebenfalls Flagge gegen den
Bildungsnotstand zu zeigen, und nahezu einstimmig die “Bildung einer
Projektgruppe aus Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen” anläßlich des
bevorstehenden “Anti-G8-Gipfels” in Heiligendamm beschlossen, “die mit dem
Auftrag an den Veranstaltungen des Anti-Globalisierungsgipfels teilnehmen,
über ihre Erfahrungen und Erkenntnisse anschließend in der Schule zu
berichten.”
Natürlich bedarf es zur Genehmigung eines derartigen Vorhabens, zumal
an einer staatlichen Schule, i.d.R. einer spezifischen
didaktisch-pädagogischen Begründung, und hier haben sich die verdienten Pädagogen
unserer Hamburger Gesamtschule in der Tat etwas ganz Besonderes einfallen
lassen. In ihrem Antrag an die Schulkonferenz liest sich das dann wie
folgt:
“Die Konferenz unterstützt diese Fahrt auch deshalb, weil sich Eltern,
SchülerInnen (...) und LehrerInnen hier in einen gemeinsamen
Lernprozeß begeben und Erfahrungen ohne eindimensionale Lernziele entstehen,
die sie dann an andere weitergeben. Man kann deshalb an dieser Fahrt nur
teilnehmen, wenn ein eigenständiges Interesse an den dort diskutierten
Fragen besteht:”
Allgemein verständlich, auch für Nichtinsider des innerpädagogischen
Antiglobalisierungsdiskurses formuliert, müßte es wohl besser
heißen:
“Da wir, Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen - ähnlich wie die
Rütli-Schule in Berlin-Neukölln - inzwischen eingesehen haben, daß die
Vermittlung des kleinen Einmaleins sowie der elementaren
Grundfertigkeiten des Lesens und Schreibens eh´nichts bringt, lassen wir lieber mal
für ein paar Tage die Schule ausfallen, begeben uns in eine Art
pädagogische Selbsterfahrungsgruppe vor Ort, sprich am authentischen Lernort
Heiligendamm, pflegen damit vor allem das Gemeinschafts- und
Zusammengehörigkeitsgefühl in unserem Kampf gegen die zynische und
menschenverachtende, weil herzlose Globalisierung, solidarisieren uns zugleich mit
den v.a. durch das amerikanische “Heuschreckenkapital” unterdrückten
Ländern der Dritten Welt, die unter der ihnen durch die G8-Länder
auferlegten Schuldenlast tagtäglich zu ersticken drohen und praktizieren
damit zugleich eine Form von durchaus “ergebnisoffener Basisdemokratie”,
die in ihrem Bemühen um demokratische Legitimation dem
antidemokratisch-totalitären G8-Gipfel haushoch überlegen ist.”
Zumindest besteht bei einem solchen Projekt die begründete
Hoffnung, daß das Ganze vielleicht ähnlich positiv endet wie ein sog.
“Live-Aid-Konzert” von Bono, bei dem der Künstler i.d.R. im
“Fünf-Sterne-Hotel” übernachtet, während die hungernden Kinder in der Dritten
Welt aufgrund der dort herrschenden korrupten Regime zumeist nicht
allzuviel von derartigen gutgemeinten Wohltätigkeitsprojekten haben.
Üblen Gerüchten zufolge sollen ja globalisierungskritische
Organisationen wie “Attac” in Afrika oder Asien nicht sonderlich populär oder
sogar mehr oder weniger unbedeutend sein, was sich mit der eingangs
zitierten Definition des “Globalisierungskritikers” treffen würde.
Doch warum sollten derartige Erkenntnisse unserem
globalisierungskritischen Kollegium an der oben erwähnten Hamburger Gesamtschule
irgendetwas anhaben können?
Schließlich geht es mit der beabsichtigten “schulübergreifenden
‘G8-Projektfahrt’” i.w. um eine symbolische Handlung, die einzig und allein
den Zweck verfolgt, das eigene schlechte Gewissen gegenüber den armen,
unterdrückten “Negerkindern” und Schlitzaugen” in der Dritten Welt zu
beruhigen.
Würde man dagegen die Befürworter des o.g. Antrages an die
Schulkonferenz fragen, ob sie ggf. - statt die Schule infach zuzusperren, nach
Heiligendamm zu fahren und sich dort ein schönes Wochenende zu machen
womöglich, wenn auch nur für einen einzigen Tag, bereit wären, auf den
allseits beliebten Einkauf beim Bio-Supermarkt um die Ecke zu
verzichten und stattdessen den Alltag einer stinknormalen afrikanischen oder
asiatischen Familie zu teilen, so würde man damit bei Ihnen mit
Sicherheit auf einhellige Empörung stoßen. Denn im Unterschied zu verbeamteten
PädagogInnen, beruflich offenbar nicht ausgelasteten verzweifelten
Eltern sowie mehr oder weniger schulunwilligen SchülerInnen, würde sich
manches arme “Negerkind” sowie manches sozial benachteiligte
“Schlitzauge” in der Dritten Welt sicher freuen, wenn es bei ihnen zumindest
materiell derart gut ausgestattete Schulen wie jene in Deutschland gäbe,
und sie dort ganz einfach den tagtäglichen stinknormalen Unterricht
besuchen dürften.
Aber wahrscheinlich handelt es sich hier ja bloß um eine individuelle
und noch dazu ausgesprochen naive Sichtweise, die lediglich durch eine
Art “falsches Bewutsein” geprägt ist, das nicht allein der
rückständigen ökonomischen Entwicklung, sondern v.a. auch der mit kreativen
pädagogischen Projekten eindeutig unterversorgten Dritten Welt geschuldet
ist.
In diesem Sinne:
Auf nach Heiligendamm, an einen authentischen, außerschulischen
Lernort, an dem Eltern, SchülerInnen und LehrerInnen endlich mal den
alltäglichen Schulstreß, Leistungsdruck und Notenterror hinter sich lassen,
die Seele baumeln lassen und etwas für ihr gutes Gewissen in Bezug auf
die Erniedrigten und Beleidigten der Dritten Welt tun können, bevor
der nächste PISA-Schock sie erneut auf den harten Boden der Realität
zurückholen wird.
Wie sagte doch einst der von mir nach wie vor hochgeschätzte
Kabarettist Wolfgang Neuss in einem seiner Programme der Sechziger Jahre:
“Wir glauben an die Unantastbarkeit des deutschen Bildungsstandes, in
der Welt an 59. Stelle, mit Uganda auf gleicher Höhe, womit ich nichts
gegen Uganda gesagt haben will, denn Uganda ist erst seit zwei Jahren
souverän!”