Peter Grimm / 20.07.2021 / 06:00 / Foto: Pixabay / 47 / Seite ausdrucken

„Auf ihre Stimme können wir verzichten“

Die Briefwahl bedroht die freien und geheimen Wahlen. Wirklich? Zweifler an der Briefwahlsicherheit gelten doch beinahe als Verschwörungstheoretiker. Vor 41 Jahren gab es bemerkenswert klarere Einsichten.

An dieser Stelle habe ich ja schon einige Male beklagt, dass der im Corona-Ausnahmezustand forcierte Anstieg der Briefwahlstimmen dafür sorgt, dass es sich bei den aktuellen Abstimmungen eben nicht mehr vollständig um freie und geheime Wahlen handelt. Spätestens in dem Moment, in dem die Briefwahl keine Ausnahme mehr ist, sondern eher ein Regelfall, ist bei einem großen Teil der Stimmen vollkommen unklar, unter welchen Umständen, Einflüssen, welchem Druck, welchen Zwängen sie abgegeben wurden, ja ob überhaupt die jeweils selbst Wahlberechtigten abgestimmt haben oder irgendwer, der ihre Wahlunterlagen in die Hand bekam. Vor 41 Jahren war das – trotz weit geringer Briefwahlanteile als heute – ein Thema in Politik und Medien

Genau dort wird jetzt nicht mehr gern darüber geredet, wenn jemand doch einmal Zweifel an der Briefwahl thematisiert sehen möchte. Mit der Forderung findet sich ein Zweifler schnell in eine Ecke mit Verschwörungstheoretikern oder finsteren rechten Ideologen gestellt. Wenn der Zweifler Glück hat, wird nur versucht, ihn mit einem Hohelied auf die Sicherheit der Briefwahl zu beruhigen und umzustimmen. Jüngst sagte auch der Bundeswahlleiter, Dr. Georg Thiel, in einer Pressekonferenz:

„Erlauben sie uns zum Schluss noch einen Satz zur Briefwahl. Ich werde immer wieder [gefragt], ist die sicher? […] Die Briefwahl gibt es seit 1957 und es hat seit all den Jahren keinen Hinweis auf großflächige Manipulationen gegeben, die auch im Entferntesten in den Bereich hineingekommen wären, wo die Wahl nicht sicher und valide abgelaufen wäre. […] Mit der Briefwahl geben sie immer auch einen eine Stimme ab und das Ganze ist genauso sicher wie bei den anderen.“

"Verführung zu Schwindel, Fälschung und Wahlbetrug"

Angesichts der aktuellen politischen Gemengelage kann man sich kaum vorstellen, dass es einst Politiker aus CDU, SPD und FDP gab, die der Briefwahl gemeinsam den Garaus machen wollten, weil – Überraschung – diese zu unsicher sei. Ein Leser wies mich nach meinen letzten Zeilen zur Briefwahl dankenswerterweise darauf hin, was der Spiegel vor 41 Jahren über die Probleme der Briefwahlsicherheit so berichtete.

Das System Briefwahl hat sich nicht grundlegend verändert seitdem, die Probleme sind nur gewachsen. Damals, im Jahr 1980, wurden die Politiker, durch den damals hohen Anteil von 13 Prozent Briefwahlstimmen aufgeschreckt und erkannten Handlungsbedarf. In diesem Jahr waren es bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz 60 Prozent Briefwahlstimmen.

Wo heute kein politischer Verantwortungsträger ein Problem zu erkennen vermag, waren damals Politiker aller Bundestagsparteien alarmiert. Der Spiegel berichtete:

„Für die SPD will Innen-Experte Wernitz im Januar eine »drastische Eingrenzung des Briefwahlrechts« auf die Tagesordnung des von ihm geleiteten Innenausschusses setzen.

Gemeinsam mit Unionspolitikern anderer Bundesländer möchte der Mainzer Innenminister Kurt Böckmann »die Möglichkeit einer Initiative im Bundesrat prüfen«.

Für die FDP will der saarländische Parteivorsitzende und Wirtschaftsminister Werner Klumpp »darauf drängen«, daß das Briefwahlrecht geändert wird.

Anlaß für die Allparteien-Denkanstrengung ist der Umstand, daß die bequeme Fernabstimmung -- eingeführt, um Alten und Gebrechlichen den Urnengang zu ersparen -- zur bevorzugten Wahlform für Millionen geworden ist (1957: 4,9 Prozent, 1980: 13 Prozent Briefwähler) und allenthalben zu Schwindel, Fälschung und Wahlbetrug verführt.“

Wenn der Bundeswahlleiter heute versichert, es habe in all den Briefwahljahren „keinen Hinweis auf großflächige Manipulationen gegeben“, so ist das kaum beruhigend, wenn der Spiegel schon damals stattdessen von sehr vielen kleinen Manipulationen zu berichten wusste und resümierte: „Längst geht es nicht mehr nur um Einzelfälle“.

Blick in die Wählerverzeichnisse

Weiter berichteten die damaligen Kollegen:

„So ermittelte in einer nordrhein-westfälischen Stadt, wie Düsseldorfs Innenminister Herbert Schnoor weiß, die Staatsanwaltschaft in »mehreren hundert Fällen«. Und im Saarland, klagt FDP-Klumpp, »denaturieren« Briefwahlen in einzelnen Gebieten »mehr und mehr zu einer Stimmensammlung per Kolonne«.

Die Methode scheint immer die gleiche: Übereifrige Parteimitglieder offerieren gleichgültigen, bequemen oder verbitterten Mitbürgern ebenso wie alten und kranken Wahlberechtigten ihre Dienste. Die Wahlhelfer gehen von Haus zu Haus, lassen sich Vollmachten ausstellen, bringen wenig später die Briefwahl-Unterlagen ins Haus, füllen sie teils selber aus und stecken sie häufig auch noch in den Briefkasten.“

Warum sollten die Briefwahlen heutzutage nun sicherer als damals sein? Weil es keine „übereifrigen Parteimitglieder“ mehr gibt? Die sind in der Tat rar, aber übereifrige Polit-Aktivisten würden sich auch heute finden lassen.

Sicherlich wirkt manche Masche, die seinerzeit im Spiegel beschrieben wurde, im Ton heute etwas antiquiert, doch im Grunde dürfte es das immer gegeben haben und geben:

„Aus der Angst vieler älterer Menschen vor dem nicht ganz einfachen Briefwahlverfahren versuchte auch der CDU-Bundestagsabgeordnete und Weinfabrikant Elmar Pieroth Vorteil zu ziehen. In seinem Wahlkreis Bad Kreuznach ließ er vor der Bundestagswahl Tausende betagte Wahlberechtigte per Rundschreiben wissen, daß »eine Person meines Vertrauens« zur Verfügung stehe, um »bei der richtigen Handhabung behilflich zu sein«.

Mit Freibier, so argwöhnen rheinlandpfälzische Christdemokraten, haben Jusos in Koblenz Frührentner, Arbeitslose und Sozialhilfeempfänger zur Briefwahl und zur Stimmabgabe für die SPD animiert. In einigen Straßen wählten über 30 Prozent der Anwohner per Post. Schon bei der Europa-Wahl hätten dort, behaupten mißvergnügte CDU-Parteigänger, ein Gewerkschaftsfunktionär und eine ehrenamtliche Mitarbeiterin der Arbeiterwohlfahrt einen Blick in die Wählerverzeichnisse riskiert, um sich zugunsten der SPD hartnäckigen Nichtwählern der letzten Jahre widmen zu können.“

Vertrautes Fazit

Kaum verwunderlich und dennoch bemerkenswert: Das Fazit der Spiegel-Kollegen von 1980 klingt wie das unsrige aus dem Jahr 2021, nur dass heute der Briefwahl-Anteil ungleich höher ist:

„Wie auch immer -- vom Verfassungsgrundsatz der freien und geheimen Wahl kann bei der Stimmabgabe daheim häufig keine Rede mehr sein. Aus dem Wahlgeheimnis wird unter den Blicken von Hausgenossen oder Wahlhelfern ein offenes Geheimnis.“

Und was der damalige Innenausschussvorsitzende von der SPD vorschlägt, wäre heute mit kaum einem seiner Genossen zu machen:

„Weiter als alle anderen Briefwahlkritiker geht der SPD-Abgeordnete Wernitz: Er plädiert schlicht für die »Abschaffung der Briefwahl«, die »sauberste und beste Lösung«.

In Krankenhäuser und Pflegeheime wollte der Abgeordnete Wernitz stattdessen »fliegende Wahllokale« schicken. Und sein radikaler Vorschlag hätte gegen alle Manipulationsformen geholfen. Neben denen, die den eigenen politischen Vorlieben entsprechende zusätzliche Stimmen platzieren möchten, gab und gibt es auch noch diejenigen, die gern die Stimmzettel derer, die in ihren Augen falsch gewählt haben, verschwinden lassen wollen. Damals berichteten die Spiegel-Kollegen von einem Fall, bei dem Briefwahlumschläge aus einem Briefkasten gestohlen wurden. Die Diebe kontrollierten die Stimmzettel und nur die Briefe der Wähler, die „richtig“ gestimmt hatten, wurden wieder an die Behörde geschickt.

„Wer anders gewählt hatte, als es den Dieben gefiel, bekam seinen Stimmzettel wenig später per Post mit Grüßen von den unbekannten Kämpfern für Recht und Ordnung retour: ‚Auf Ihre Stimme können wir verzichten.‘“

Letzteres hat ja durchaus noch einen gewissen Stil, denn diesen „Kämpfern“ ging es offensichtlich nicht um heimliche Manipulation. Doch diese Zeitreise sollte nicht solchen nostalgischen Stimmungen dienen. Zwar wurden diese Einsichten damals immerhin noch formuliert und öffentlich diskutiert. Wurde an dem Missstand etwas geändert? Was der Spiegel vor 41 Jahren so klarsichtig schlussfolgern konnte, gilt bei heutigen Briewahlanteilen um so mehr.

Foto: Pixabay

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Armin Vollmer / 20.07.2021

Es ist völlig egal wie bei uns gewählt wird, beschissen wird nach der Auszählung, wenn die Zahlen per Telefon weiter gegeben werden. Ich wäre für ein sehr einfaches, elektronisches Wahlsystem. Ein Klick und erledigt.

Udo Kalipke / 20.07.2021

@Peter Bitterli; Den Hinweis, mal über den Tellerrand zu blicken, sollten Sie vlt. selbst beherzigen. Wenn Sie einen Handwerker kennen, der mit seinem Hammer ausschließlich Nägel einschlägt heisst das noch lange nicht dass es keinen anderen Handwerker gibt, der mit seinem Hammer auch schon mal einen Schädel einschlägt. Die Analogie zwischen Briefwahlen im allgemeinen und dem Handwerker-Hammer-Beispiel zu entschlüsseln, überlasse ich nun Ihnen.

N. Borger / 20.07.2021

Was mich bei achgut wundert, auch hier bei diesem Artikel, der sich ja mit der Sicherheit von Wahlen beschäftigt: Mit kaum einem Wort wird auf die Neuauszählung in den USA in Arizona eingegangen. Dort kann man Wahlbetrug schon jetzt in großem Stil verfolgen. Warum nicht, auch nicht bei Tichy? Weil das Trump nutzen könnte, weil man anschlussfähig an die etablierten Medien bleiben will?

E. Meierdierks / 20.07.2021

Betrug beim Auszählen ist auch in D Legion. Schon vor 40 Jahren erlebte meine Schwägerin, die oft Wahlhelferin war, wie in Bremen unliebsame Stimmen beim Auszählen “verschwanden”, nicht eine Handvoll - stapelweise, egal ob direkt oder Briefwahlabgabe. Etwas dagegen sagen - zwecklos; da waren die Wahllokale auch schon mit den richtigen Nasen besetzt, die hätten vor Gericht alles abgestritten. Aus Bremen ist zwar inzwischen ein Riesenshithole geworden, aber durch den Länderfinanzausgleich haben alle Steuerzahler diese Politschmarotzer jedweder Couleur finanziert und Wahlbetrug ist inzwischen offizielle Politik, weil es schon immer konsequenzenlos war. Wenn man das jemanden damals oder heute erzählte: “das glaube ich aber nicht, das können die doch nicht machen” Genau diese feigen und dummen Naivlinge sind das Problem jeder Demokratie, wie wir seid anderthalb Jahren live erleben, weltweit. Da ist es für dieses Jahr dann auch egal. Das wird erst besser, wenn sämtliche Steuerkostgänger hinweggefegt wurden.

Hans Reinhardt / 20.07.2021

Ob die Briefwahl sicher ist oder nicht, ist doch völlig wuppe. Im September werden wieder gut 85% die Altparteien wählen, welche alle das Gleiche wollen: mehr Klimaschutz, mehr Ausländer, mehr Gender und weniger Rassismus, Corona-Maßnahmen für immer und Grundrechte nie mehr. Kapiert denn niemand, dass man in Deutschland keine Wahlen fälschen muss? Wir sind hier nicht in den USA, wo über die Hälfte der Wahlberechtigten noch in der Lage zum unbetreuten Denken ist. Die musste man tatsächlich bescheissen, die Deutschen tun das selbst.

Herbert Müller / 20.07.2021

In Rheinland-Pfalz lag der Briefwahlanteil angabegemäß bei 60%. Die SPD war der klare Sieger - entgegen dem Bundestrend. Ein Schelm wer hier Böses denkt.

Ralph-M.Freund / 20.07.2021

Herr Grimm: Manchmal muss es bei mir raus. Auf Jeden Fall eine Briefwahl, mit Sicherheit die beste Lösung. Ich bin absolut dafür. Alle Parteien ankreuzen ! Dazu kommt in meinen Umschlag noch das obligatorische Kärtchen : “Money`s short ? Times are hard ?...here is your f**king Christmas-Card. ! Noch Fragen ??

von Kullmann / 20.07.2021

Briefwahl nur für Schwerbehinderte mit dem Ausweiszeichen “G” oder “B”. Wer Gehbehindert ist oder eine Begleitperson braucht ist auch meist Altenheiminsasse. Alle anderen können zur “Teilhabe” auch wählen. Der Urlaub nach Malle kann auch vor -oder nach der Wahl geplant werden. Vielmehr wollen die interessierten Parteien die Unklarheiten und Manipulationsmöglichkeiten dieser Briefwahlen. “Großflächige” Manipulationen werden eben Kleinflächig und oftmalig gemacht. Ein kommunaler Wahlausschuss lehnt bei Unstimmigkeiten von z.B. 30 Stimmen generell die Wahlprüfung ab, wenn sie denn von der AfD beantragt wird.

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