Peter Grimm / 03.07.2018 / 11:02 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

„Auf Grundlage einer Fiktion” ist Horst wieder lieb

Das deutsche Staatstheater hatte bis gestern Nachmittag eigentlich mehr Dramatik versprochen. Nun hat sich der Bundesinnenminister Horst Seehofer mitsamt seiner CSU-Führungsriege zwar der Kanzlerin unterworfen, aber man kann es „Kompromiss“ nennen oder „gesichtswahrend“, denn es soll nicht so ganz nach Unterwerfung aussehen. Also der Horst darf weiterhin keine Asylbewerber zurückweisen, die schon woanders einen Antrag gestellt haben, kann aber irgendwann Transitzentren einrichten, in die er diese Migranten schicken darf und das soll dann so aussehen, als seien diese gar nicht eingereist, denn die neuen Lager liegen zwar in Deutschland, würden allerdings, ganz wie die Transitbereiche von Flughäfen, für quasi exterritorial erklärt. Es gibt also keine Zurückweisung, sondern etwas, das in dem CDU-CSU-Einigungspapier in wunderschöner Amtsprosa als „Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise“ beschrieben wird.

So recht mag dieses Ende nicht zum dramatischen Auftakt passen. Aber das liegt sicher daran, dass das Endspiel noch aussteht, auch wenn Merkel die Partie gegen Seehofer klar gewonnen hat. Nur inhaltlich scheint wirklich viel „auf Grundlage einer Fiktion“ zu beruhen.

Was haben wir in den letzten drei Woche nicht alles vernommen: Das Schicksal Europas hätte am Ausgang der Gespräche zwischen CDU und CSU gehangen. Nun hängt es offenbar noch an den folgenden Koalitionsgesprächen, weil ja irgendwie auch die SPD zustimmen muss und dazu vielleicht auch noch ein eigenes kleines Kompromisschen braucht. Aber solch ein Theaterdonner wie in den letzten Tagen lässt sich darum nicht mehr entfachen. Dazu ist diese Partei zu unwichtig geworden, denn sie kann von allen Beteiligten am allerwenigsten Neuwahlen riskieren.

So weit, so schlecht. Vielleicht sollte man im deutschen Staatstheater jetzt einmal gut durchlüften, damit sich all der künstliche Pulverdampf der Regierungs-Showdown-Aufführung verziehen kann. Was man dann erblickt, ist ein ganz anderes Drama. Worum ging es denn eigentlich?

„Herrschaft des Unrechts“?

Der Bundesinnenminister kündigte etwas an, was er hätte tun können, ohne es ankündigen zu müssen. Es gab die bekannte mündliche Anweisung seines Vorgängers, die Bundespolizei möge an den Grenzen jedweden Migranten, der das Wort Asyl auszusprechen in der Lage ist, selbst dann einlassen, wenn seine Zurückweisung rechtlich geboten wäre. Nun ist es sicher legitim, in Ausnahmesituationen den Rechtsvollzug auszusetzen. Doch über drei Jahre und nur aufgrund einer mündlichen Anweisung?

Das riecht nach autokratischer Herrschaft und Dauer-Ausnahmezustand. Auch wenn es legal sein mag, dem Geist demokratischer Entscheidungsfindung entspricht es ganz gewiss nicht. Und jeder deutsche Bürger, der Probleme mit einem der zahlreichen Ämter bekommt, wenn er seinen Lebensweg nicht bis ins Kleinste mit gesiegelten Schriftstücken belegen kann, wundert sich, dass die massenhafte Einreise anonymer Migranten nur aufgrund einer mündlichen Order über Jahre möglich ist. Unabhängig davon, ob man die Migration gut oder schlecht findet, dies mit solch fragiler Legitimation zu tun, unterminiert ein demokratisches Gemeinwesen.

Das hätte der neue Bundesinnenminister nach seinem Amtsantritt ändern können, doch statt einfach zu handeln und die mündliche Order seines Vorgängers zu widerrufen, kündigte er das Vorhaben, verpackt in einen „Masterplan“, erst einmal groß an. Die Bundeskanzlerin pochte daraufhin bekanntlich auf ihre Richtlinienkompetenz und untersagte ihrem Innenminister die Rücknahme der mündlichen Anordnung des Vorgängers. Eigentlich irre, denn spätestens an dieser Stelle wäre es doch geboten gewesen, dieser Merkel-Linie endlich einmal die Grundlage eines formellen Beschlusses zu geben. Stattdessen reichte der Verweis auf die Richtlinienkompetenz der Kanzlerin, um die Aussetzung geltenden Rechts aufgrund eines gesprochenen Machtwortes auf Dauer zu legitimieren.

Aushebelung von Regeln hat bedenklich um sich gegriffen

Und für Merkel ging es offenbar vor allem darum, diesen für Demokratie und Rechtsstaat unerträglichen Zustand nicht anzutasten. In der Form soll das, was Horst Seehofer einmal die „Herrschaft des Unrechts“ nannte, erhalten bleiben, auch wenn die Migration vielleicht gedrosselt wird. Das sollte jeden Demokraten hierzulande eigentlich aufschreien lassen.

Dass man die, die es abzuweisen gilt, lieber erst in Transitzentren einlässt, um sie dann von dort aus wegschicken zu wollen, wenn sie denn jemand aufnimmt, lädt natürlich zum Ärgern und Lästern ein. Jeder ahnt, dass das höchstwahrscheinlich nicht viel erfolgreicher sein wird, als es die Abschiebungen bislang waren. Wahrscheinlich wird die SPD nun eine Frist aushandeln nach der die Transitzentren-Insassen aus dem Lager ins Land gelassen werden müssen, wenn ihre Rückführung nicht gelingt. Man darf sie schließlich nicht einsperren.

Auch wenn dieser Umstand schon hinreichend Empörungspotential und Unterhaltungswert bietet, sollten die Bürger, denen etwas an Demokratie und Rechtsstaat liegt, darüber nicht vergessen, dass an dieser Stelle vor allem um die Herrschaft des Rechts, legitimiert durch demokratische Entscheidungen, gehen sollte. Ob bei der Migrations- oder der Eurokrise, die Gewöhnung an die obrigkeitliche Aushebelung von Regeln hat bedenklich um sich gegriffen. In der heutigen Debatte spielte diese Frage beispielsweise kaum eine Rolle.

Dieser Beitrag erschien auch hier auf sichtplatz.de

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Leserpost

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Dirk Jungnickel / 03.07.2018

Wenn ich nicht völlig benebelt bin, so verstehe ich unter Transit (resp. Transitzentren)  eine Einrichtung, die dazu dient. die Passierenden aus einer Richtung kommend in die andere Richtung gehend zu kontrollieren und zu geleiten.  Wie mir scheint,  ist nunmehr ein Bedeutungswandel eingetreten.  Das Transitzentrum soll jetzt dazu dienen,  potentielle Migranten hinein zu lassen und wieder in die Richtung zu schicken, aus der sie kommen.  Im Transit von Berlin - West nach der Bundesrepublik, bei dem ja durch die “DDR” - Behörden üble Praktiken angewandt wurden,  schickte man nur selten Personen zurück. Die mußten besonders aufmüpfig im Westen gegen die “DDR” vorgegangen sein.  Jetzt soll allerdings ein Asylantrag in einem Schengen - Land der Grund sein.  Ausnahmereglungen sind zu erwarten. Einschlägige Anwälte dürften da in den Transitzentren ihr Unwesen treiben.  Und Schleuser, gegen die es ja eigentlich geht, werden sich ein paar Schleichwege einfallen lassen, nicht unbedingt über die unwegsamen Alpen. Die 800 km - Grenze verläuft ja nicht nur da. Übrigens:  Was die “gesiegelten Schriftstücke ” betrifft. Nach meiner Notaufnahme 1985 mußte ich 10 DM berappen, nur um ein ”  e ” in meinem Vornamen tilgen zu lassen, das ich nie benutzt hatte, das aber auf meiner Geburtsurkunde vorhanden war. Es geht doch nichts über perfekte Dokumente.

Dr. Michael Matthiesen / 03.07.2018

Mit der mündlichen Anweisung des Ministers, die Peter Grimm erwähnt, verhält es sich noch schlimmer, als er ahnt. Der Beamte, an den sie sich richtete, hätte nämlich gegen sie Einspruch (Gegenvorstellung, Remonstration) erheben können und sollen, damit die Anordnung seines Vorgesetzten präziser und juristisch korrekt formuliert werde. Es handelt sich dabei vermutlich um den Präsidenten der Bundespolizei, der ausgerechnet über “Remonstrationsrecht und Remonstrationspflicht im Beamtenrecht” seine Dissertation verfasst hatte und also am 4.oder 5.September 2015 genau wusste, dass nun der Moment gekommen war, sein Fachwissen anzuwenden und den Minister auf eine politisch vielleicht gewünschte, aber juristisch problematische Entscheidung hinzuweisen. Wenn dies geschehen ist, hat der Vorgesetzte - hier also der Minister - den Sachverhalt zu prüfen und danach entweder seine mündliche Anweisung zurückzunehmen oder sie zu modifizieren, zu differenzieren oder ausdrücklich zu bekräftigen. Dann aber würde sie verschriftlicht, aktenkundig werden und wäre zu befolgen. Der demonstrierende Beamte und seine Dienststellen sind damit aus der unmittelbaren Verantwortung für die Folgen entlassen, die der anordnende Vorgesetzte schriftlich übernommen hat. Allein, die Anweisung existiert soweit bekannt nicht schriftlich, da offenbar niemand gegen sie remonstriert hat. So ist damals eine Grauzone, der “rechtsfreie” Raum beim Grenzübertritt (Transit) entstanden, den der heutige Minister seinerzeit etwas polemisch die “Herrschaft des Unrechts” genannt hat, und die er jetzt wieder zu beseitigen versucht. Warum aber hat der Beamte geschwiegen?

René Paul Rozek / 03.07.2018

Sie schreiben : Es gibt also keine Zurückweisung, sondern etwas, das in dem CDU-CSU-Einigungspapier in wunderschöner Amtsprosa als „Zurückweisung auf Grundlage einer Fiktion der Nichteinreise“ beschrieben wird.  //  Dazu soll die österreichische Außenministerin gesagt haben : Die im Einigungspapier der Union enthaltene “Fiktion” einer Nichteinreise nach Deutschland ist “eine Fiktion, mit der ich als Juristin nicht ganz zurechtkomme”. Sie fügte hinzu: “Wer auf deutsches Staatsgebiet eingereist ist, ist dort.” // Quelle : Badische Zeitung von heute // Demzufolge ist Ihre Aussage richtig, dass Merkel die Partie klar gewonnen hat.

Andreas Rühl / 03.07.2018

In der jetzigen Situation können “Transitzentren” zumindest beim Problem der Sekundärmigration helfen. Dass damit nicht alle Probleme gelöst sind, steht auf einem anderen Blatt, aber der eigentliche Sinn der Idee Seehofers, den Ball (und schwarzen Peter) wieder zurückzuspielen in den Süden, kann auch so umgesetzt werden. Solange die südlichen Staaten ihre Migranten nach Deutschland entsorgen konnten, ohne jede Gefahr, sie wieder zurücknehmen zu müssen, solange also Dublin leer lief, durfte man nicht erwarten, dass Italien oder Griechenland mehr unternehmen, um die Einreise zu verhindern, im Gegenteil. Jetzt wird Druck aufgebaut. Ob mit Transitzentren oder Zurückweisung ist eigentlich egal. Hauptsache es kommt Bewegung in die Sache. Im Übrigen wird die SPD das Konzept ohnehin zerstören und zerwässern und dann platzt die Koalition endgültig.

Stefan Töns / 03.07.2018

Man kann es drehen und wenden wie man will, aber der Eindruck drängt sich auf, Deutschland entwickelt sich partiell immer mehr in Richtung jener “failed states”, die es doch global so nachdrücklich zu demokratisieren gilt. Wie sollen sich andere Länder an Deutschlands Demokratie und Rechtsstaatlichkeit orientieren, wenn diese von der Regierung nach Belieben interpretiert werden dürfen, ohne dass eine korrigierende Gewalt einschreitet?

Martin Landvoigt / 03.07.2018

Taktierereien, schielen auf die Wählergunst, persönliche Eitelkeiten und strategische Kalküle ... was wurde nicht alles von klugen und weniger klugen Kommentatoren ins Spiel gebracht. Mich aber interessiert kein Seehofer, sein persönliches Schicksal, seine Motive ... genau so wenig wie das von Merkel. Mich interessiert, wie es weiter geht in diesem Land. Und wenn es einen guten Kompromiss gegeben hätte, auch wenn ich diesen so nicht gewollt hätte, aber dennoch echte Verbesserungen erreicht, dann hätte ich applaudiert. Was aber Dorothee Bär veröffentlichte, war eine Ernüchterung, kaum ein Feigenblatt, eine Leerformel. Ich erwarte hier keine signifikanten Verbesserungen durch diesen Vorschlag. Die nächsten Wochen werden zeigen ob sie das Papier wert sind, auf dem sie gedruckt sind. Und die Wahlen in Bayern und Hessen zeigen, wie sehr sie den Wähler überzeugen können.

Markus Mertens / 03.07.2018

Man wähnt sich in der Türhüterparabel Kafkas.  Die Tür bzw. das Tor steht offen, aber der “Eintritt ist nicht erlaubt” (Merkel). Seehofer hätte einfach durch das Tor gehen müssen.  Es gibt keine Vorschrift, die es verbietet, Merkel selbst hat sie nicht gegeben. Seehofer geht aber nicht hindurch. Das Tor wird schließlich geschlossen -  ” es war nur für ihn bestimmt “,  Seehofer also, der lediglich einen gesetzeswidrigen Zustand abzustellen hatte. Statt dessen akzeptiert Seehofer den gesetzeswidrigen Zustand und versucht sich an “alternativen Maßnahmen” - welche von Merkel ebenfalls abgelehnt werden. Rückblickend werden Historiker und Psychologen diese Vorgänge bewerten und sich damit beschäftigen, wie es möglich war, dass elementare Verstandesleistungen nicht mehr erbracht werden konnten.

jonas callsohn / 03.07.2018

Unserer Recht und   unsere Demokratie, der Bürger als Souverän, erscheint mir unterdessen auch eher als Fiktion. Es hat etwas Mittelalterliches, wo dem Adel alles erlaubt war, das eigene Landeskind aber für gleiche Taten bestraft wurde, bspw. Passvergehen.

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