Der Einkauf in diversen Konsumtempeln hat schon so manchem Ehemann viel Zeit und Mühe abverlangt, um die Ehefrau milde zu stimmen. Doch aufgrund der riesigen Auswahl und der speziellen Wünsche der entsprechenden Dame ist dies gar nicht mal so einfach.
Also, bei mir geht Einkaufen so: Ich fahre zum Rewedekaldilidl, stelle da die Pestbeule ab, ziehe für einen Euro einen Einkaufswagen und stürze mich ins bunte Getümmel der lustigen Konsumgüter. Hier ein paar Trauben. Oh, dort gibt es Landschinken. Wirsing hatten wir ewig nicht mehr und die Pfefferbeißer over there sehen einfach zu appetitlich aus. Und was ist das? Getrocknete Fukushima-Algenplättchen aus Südkorea? Na, die nehmen wir doch gleich mit. Salzstängelchen brauche ich auch und etwas Schokolade, aber nur die mit mindestens 80% Kakao-Anteil, wegen der Diabetes.
Runden wir das Ganze noch mit lecker Tütchen für das faule Katzenvolk und einer Packung Klopapier ab, man weiß ja nicht, wann das nächste tödliche Säuchen durchs Land getrieben wird, und dann stehen wir diesmal gut da! An der Kasse dann trifft mich regelmäßig ein Schlaganfall, wenn ich sehe, was mich mein kleiner Ausflug ins Konsumwunderland diesmal so kostet. Aber ich habe Glück und bin nicht so richtig arm, also lustig noch zwei Päckchen Zigarillos aufs Band, man will es ja nett haben, heute Abend.
Das bin ich.
Der Schatz ist anders und so richtig berufstätig mit geregelten Arbeitszeiten from Nine to Five. Dies bedeutet, dass er mir seinen Wunschzettel für den Konsumtempel gerne per Sprachnachricht auf WhatsApp aufsagt, damit ich mich danach richten und die verbrauchten Vorräte wieder auffüllen möge. Neben der Peinlichkeit, mitten in den Wandelgängen Anweisungen der besseren Hälfte abzuhören, hat der Schatz hier eine Besonderheit: Entweder, er hält seine Bestellung derart allgemein, dass ich ob der Auswahl völlig überfordert bin, oder er spezifiziert sie so exakt, dass ich sämtliche Waren und deren Standort im Supermarkt im Kopf kennen müsste, um meine Suchaktion unter einer Stunde Lebenszeit zu bewältigen. Gesprochene Einkaufszettel sind die Hölle.
Bunte Vielfalt von Spaghetti
Beispielsweise hätte der Schatz gerne, dass ich Nudeln mitbringe. Nudeln. Okay. Kenn ich. Habe ich schon mal gesehen. Es ist ja nicht so, dass es etwa 300.000 Nudelsorten aus 142 Ländern gibt. Spiralnudeln, Farfalle, Spaghetti, Buchstabennudeln, Bandnudeln, Glasnudeln, Runde Nudeln, eckige Nudeln, ovale Nudeln… Und selbst wenn ich die bunte Vielfalt auf Spaghetti eindampfe: Normale Spaghetti? Abnormale Spaghetti? Dysfunktionale Spaghetti? Grüne Spaghetti? Rote Spaghetti? Spaghetti-Mix? Aus Vollkorn, Weizen, Buche, Ahorn oder, neu, jetzt mit Kukuma-Extrakt und Styropor-Note im Jamba-Sparabo und Sonderangebot für nur 19,99 für 500 Gramm, weil frisch aus Krasnojarsk von Schmugglern importiert?
Ich habe mir hier für mich zwei Strategien zurechtgelegt: Entweder ich kaufe von JEDER Nudelsorte eine Packung, was ziemlich ins Geld geht, uns aber für die nächsten 24 Monate versorgt, oder ich laufe mit geschlossenen Augen einfach die Regalreihe entlang und hole irgendeine Packung aus dem Schrank. Zufällig sind das dann immer Weizenspaghetti, ich kann nichts dafür. Beim Verteilen der Jagdbeute in der heimischen Küche erklärt mir der Schatz dann, dass er so geringelte Nudeln von „Vier Glocken“ in der 520-Gramm-Packung mit Schüttelei gemeint hat, die würden wir doch immer für Schinkennudeln nehmen. Ach ja? Ja, vielen Dank auch. Es gibt Spaghetti mit Schinkenstückchen, in Sahnesauce ersäuft. Beim Italiener um die Ecke. Ich habe die falschen Nudeln gekauft.
Eine andere Anweisung lautet: „Bringe bitte 322 Gramm Nougat-Creme mit 47,6% Schokoladenanteil von „Bio Life“ mit leichter Senfnote und wiederverwendbarem Pfandglas mit konkavem Titan-Deckel mit“ Ähä! Ganz einfach. Ich stehe dann zuerst vor fünf Festmetern Nutella-Gläsern in unterschiedlichen Kampf- und Gewichts- und Preisklassen. Wäre ich jetzt ich, würde ich den Kilo-Preis ablesen, schlau wie ich bin, und mir das im Preis-Leistungsverhältnis bizarrste Glas kaufen. Aber die Anweisungen des Schatzes waren hier eindeutig, und ich will nicht, dass er mich beschimpft. Das falsche Nougat-Creme-Glas wäre außerdem ein Eingeständnis, dass ich nicht in der Lage war, das gewünschte Produkt zu erjagen, quasi zu unfähig, zu respektlos, zu achtungslos und zu dumm war, den Schatz angemessen zu versorgen. Das wäre mir ja schon vor mir selbst peinlich, vor dem Schatz erst recht.
Wikipedia des Konsumtempels
In dieser Situation empfiehlt es sich, eine kompetente Person zu befragen, die in jenem Konsumtempel als Hohepriesterin tätig ist. Auch wenn das für einen Mann und Jäger natürlich nicht ganz einfach ist, eine andere Person nach dem Standort der Beute zu fragen. Man erkennt die Vestalinnen ganz einfach an einem Polohemd mit der Aufschrift „Rewedekaldilidl – wir hassen Menschen“ und dem obligatorischen Rollwagen mit Joghurt-Paletten (Einschub: Ich bin der festen Überzeugung, dass bereits Auszubildende im Konsumeinzelhandel zu Beginn ihrer Lehre an einen Rollwagen mit Joghurt-Paletten gekettet werden, um eine Flucht zu verhindern). Livehack: Falls Sie nicht auf Anhieb eine Priesterin finden, schauen Sie bei warmem Wetter gerne mal bei den Kühlregalen vorbei, da treiben sie sich meistens in Scharen herum.
Habe ich dann eine solche Person gefunden und Ihr mein Leid geklagt, gibt sie mir entweder eine Wegbeschreibung nach der Art eines Orakels („Gehen Sie da hinten an den Backwaren vorbei, dann nach rechts am Regal mit den Nudeln entlang, bis das aufhört, danach biegen Sie scharf links ab, bis Sie an den getöpferten Kerzen ankommen, da steht eine Kollegin, die fragen Sie noch mal“) oder sie ruft Frau Demirel. Jeder Rewedekaldilidl hat eine Frau Demirel, die so etwas wie das Wikipedia des Konsumtempels ist. Frau Demirel weiß nicht nur, wo jedes verdammte Glas steht, sondern ist perfekt über die Inhaltsstoffe, den Hersteller und die Herkunft informiert. Nicht nur der Ware, sondern auch der anderen Mitarbeiter und Kunden.
Frau Demirel ist auch die Einzige, die mich dann durch den Lebensmittel-Dschungel bis hin zum Bio-Regal begleitet, sie nimmt sich die Zeit und schirmt mich so vor anderen herrenlosen Ehemännern ab, die Balsamico-Handcreme und Basilikum-Oliven und ihre Ehefrauen suchen. Und da stehen wir dann. Vor dem Regal mit den Bio-Nougatcremes von Bio-Land, und ich bin jedes Mal leichtsinnig genug, zu sagen, „ah danke, ich finde mich jetzt allein zurecht“, um mir noch einen Funken Jägerwürde zu erhalten.
Versagen seit 58 Jahren
Step 1: Größenverhältnisse schätzen. Oben fängts im Regal mit 500 Gramm an und hört unten mit 20 Gramm für den einzelnen und individuellen Brotaufstrich auf. In der dritten Reihe von oben stehen die 322-Gramm-Gläser, ordentlich wie die NVA-Soldaten zum IXIV. Parteitag der SED aufgereiht. Sortierreihenfolge zwei: Schokoladenanteil, von links nach rechts. Gefunden. Jetzt die Geschmacksnoten: Papaya, Paprika, Parmesan, Pressspan, anscheinend geht es nach Alphabet und während ich die Front abschreite, bemerke ich ein Loch direkt zwischen „Sardelle“ und „Sesam“. Und ich ahne, dass Senf gerade aus ist. Weg. Jeder wollte ein 322-Gramm-Glas Nougat-Creme mit Senfnote und konkavem Titandeckel. Warum auch immer. Jedenfalls waren andere Jäger vor mir schon erfolgreich. Was bedeutet: Erfolgreicher als ich.
Ich stelle mir den Blick vom Schatz vor, wenn ich mit leerem Jagdbeutel vor ihm stehe: Diese Mischung aus Enttäuschung, Trauer und Verachtung. Thilo Schneider: Versagen seit 58 Jahren. Ich brauche eine Idee! Ich entscheide mich für die Geschmacksnote Ingwer, davon ist noch am meisten da. Und ich werde erzählen, dass das wirklich LETZTE Glas mit Estragon-Note war und ich Horden von Bio-Nougatcremeestragonkäufern zurückdrängen musste und wie sich die Leichenberge stapelten, nur, um meinem Schatz dieses eine letzte Glas zu ergattern. Der Wille zählt. Und die Story drumherum.
Und wie stets, werde ich dann zu Hause feststellen, dass wir noch fünf 322 Gramm Nougat-Creme mit 47,6% Schokoladenanteil von „Bio Life“ mit leichter Senfnote und wiederverwendbarem Pfandglas mit konkavem Titan-Deckel haben. Weil der Schatz die hamstert. Und wir die einzigen Kunden an diesem speziellen Regal sind.
Ich HASSE dieses uninspirierte Einkaufen nach Einkaufszettel!
(Weitere leicht zu konsumierende Artikel des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.