Vera Lengsfeld / 27.01.2014 / 10:15 / 1 / Seite ausdrucken

Auf Achse am Schlachtensee

Nachdem die sibirische Kälte doch noch Berlin erreicht hat, gibt es Vorkommnisse, die sehr an DDR-Zeiten erinnern. Als Blitzeis die Stadt überzog, dauerte es fast einen ganzen Tag, ehe die Hauptstraßen eisfrei waren.

Auch die Gehsteige wurden zur Gefahrenzone, weil die Räumdienste nicht in der Lage waren,  mitten im Winter auf winterliche Verhältnisse angemessen zu reagieren. Wer Glück hatte, fiel in einen der immer noch zahlreich herumliegenden Weihnachtsbäume, wer Pech hatte, schlug hart auf.Um die schönen Seiten des Winters dennoch genießen zu können, zog es Silvia Meixner und mich an den Schlachtensee.

Berlin hat durchaus seine Vorteile. Wir lieben die S1, die wie an einer Perlenschnur die kostbarsten Seiten der Stadt an ihrer Strecke aufgereiht hat: vom Schloss Oranienburg mit seinem rekonstruierten Park im Norden, über den Summter See, die Schönholzer Heide, Gesundbrunnen, Oranienburger Straße mit ihrer prächtigen Synagoge, Friedrichstraße, Brandenburger Tor, Potsdamer Platz in den Südwesten bis nach Wannsee oder Potsdam. Je weiter man nach Westen fährt, desto prächtiger und zahlreicher werden die Gründerzeitbauten.

Es ist, als wäre der Roten Armee der Atem ausgegangen, je weiter sie in die Stadt vordrang. Die Kriegsschäden sind sichtbar geringer als im Ostteil. Hinter dem Mexikoplatz werden die Mietshäuser abgelöst von schmucken Villen, die zwischen hohen Kiefern stehen. Der Blick aus dem Fenster versetzt in Urlaubsstimmung, besonders an Tagen wie diesem, wo eine strahlende Wintersonne den Schnee auf den Bäumen zum glitzern bringt und die kalte Luft leicht und klar ist. Am Schlachtensee ändert sich das Landschaftsbild. Die typische glaziale Rinne, in der sich der fast südlichste See der Grunewaldseenkette schlängelt, zählt noch zur Hochfläche Teltow, was man aber nur am Steilufer der Südseite erkennt. Der Wald besteht hier aus Buchen und Ahorn.

Der sanfte Hang, der von der S-Bahnstation zum See führt,  ist fest in der Hand rodelnder Kinder. Aber schon nach ein paar Schritten auf dem Uferweg herrscht Stille. Der See ist fast zugefroren. Eine leichte Schneedecke verhindert, dass die Fragilität der Eisfläche zu erkennen ist. Die Berliner Rundfunksender warnen stündlich davor, das Eis zu betreten, die Frostperiode war noch zu kurz, um für Stabilität zu sorgen.Trotzdem ist ein Verrückter mit seinem Fahrrad über den See gelaufen, nur um festzustellen, dass er nicht ans andere Ufer kommt . Er muss zurück und irrt längere Zeit herum, auf der Suche nach einer sicheren Stelle, die ihm erlaubt, wieder festes Land zu betreten.

Silvia macht sein Anblick nervös. Sie denkt laut darüber nach, ob wir ihn retten müssten, wenn er einbricht. Vor diese Entscheidung werden wir glücklicherweise nicht gestellt. Die gut gekleideten Spaziergänger, die am Südufer, in der Nähe der Parkplätze zahlreicher sind, meiden die Gefahr und genießen das romantische Licht, das die Nachmittagssonne über den See und seine Besucher ergießt und den See in ein Gemälde von Caspar David Friedrich verwandelt.

Am Ende des Seerundgangs erwartet uns der „Seestern“, eine rustikale, gemütliche Kneipe mit Kachelofen und phantastischem Käsekuchen. Wir verpassen beinahe unsere S-Bahn. Aber an diesem Tag öffnet der Fahrer nach dem Abfahrtssignal die Tür noch mal für uns. Berlin kann wunderbar sein!

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Rainer Schubert / 27.01.2014

Es freut mich, liebe Vera Lengsfeld, daß Sie so einen schönen Sonntag in meinem Wohnbezirk hatten. Ja, der Schlachtensee ist schon ein Kleinod. Wir, meine Frau und ich waren gestern auch dort. Ich wünsche Ihnen eine gute Woche. Gott sei Dank gibt es trotz der negativen Politik auch immer mal wieder schöne Erlebnisse - in der Natur, nicht in der Politik. Rainer Schubert

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Vera Lengsfeld / 06.01.2024 / 06:25 / 73

Tod eines Bundesanwalts

Als ich noch in der DDR eingemauert war, hielt ich die Bundesrepublik für einen Rechtsstaat und bewunderte ihren entschlossenen Umgang mit den RAF-Terroristen. Bis herauskam,…/ mehr

Vera Lengsfeld / 23.04.2023 / 14:00 / 6

„Die Katze im Käfig“

Thüringen ist das Land mit der größten Theaterdichte, doch die Finanzierung ist nicht gerade leicht. Von daher kann ich nur appellieren: Geht ins Theater, Leute!…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.11.2022 / 14:00 / 18

„Ist Berlin eine Stadt?“ Ein Blick von den Malediven

Es waren die ruhigsten und erholsamsten Tage meines Erwachsenenlebens. Ein Teil von mir sitzt immer noch auf der Schaukel vor meinem Haus und schaut auf…/ mehr

Vera Lengsfeld / 07.08.2022 / 11:00 / 4

„Eine Sekunde“: Großes chinesisches Kino

Der chinesische Film „Eine Sekunde” hätte aus mehreren Gründen eine große Bühne verdient. Aber er wird nur in kleinen Kinos, meist nachmittags, gezeigt und der…/ mehr

Vera Lengsfeld / 06.08.2022 / 16:00 / 12

„Gray Man“ oder doch eher graue Maus?

Beim Durchzappen blieb ich an „Gray Man“ hängen. Angeblich die teuerste Netflix-Produktion aller Zeiten, Nummer eins in dutzenden Ländern. Warum nicht einmal ansehen, was die…/ mehr

Vera Lengsfeld / 27.07.2022 / 12:00 / 26

Wie kritische Ärzte in Thüringen verunglimpft werden

Das Thüringer Lokalblatt „Freies Wort“ startete eine Schmutzkampagne gegen fast 400 Südthüringer Ärzte und Pflegekräfte, die es gewagt hatten, in einem Offenen Brief die Corona-Politik…/ mehr

Vera Lengsfeld / 24.07.2022 / 10:00 / 22

Nabucco und die Ukraine

Es gibt in Deutschland kaum beeindruckendere Spielorte als die Domstufen zu Erfurt, auf denen seit 1994 die Domstufenfestspiele stattfinden. Dieses Jahr wird eine hervorragende Inszenierung…/ mehr

Vera Lengsfeld / 15.07.2022 / 16:00 / 22

Die Bundesregierung zerstört unsere Landwirtschaft

Die neuen Auflagen der Bundesregierung werden unsere Selbstversorgung mit landwirtschaftlichen Produkten gefährden. Sri Lanka und Holland lassen grüßen. Im Augenblick trendet, wie es auf Neudeutsch…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com