Bestechung im Amt wird in Deutschland nach § 334 Strafgesetzbuch mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Das ist gut für die öffentliche Hygiene. Ebenso der StGB 299, der für Bestechung im geschäftlichen Raum bis zu drei Jahren vorsieht.
Nur, warum bleiben so viele Regelverletzer unbehelligt? Zum Beispiel die Journalisten, die auf Kosten eines ausländischen Automobilherstellers zum Wiener Opernball fliegen durften. Wer keinen Frack hatte, konnte sich auf Kosten des Gastgebers einen bauen lassen. Und die dreißig Schreiber, die von einem deutschen Konzern zu den Olympischen Spielen nach Peking eingeladen wurden? Und die Flugzeugladung Motorjournalisten, die von einer Reifenfirma in ein Luxushotel in Marokko eingeladen wurden, um dort einen neuen Pneu zu besichtigen?
Die Grenze zwischen schnorren und sich bestechen lassen ist fließend. ThyssenKrupp-Vorstand Jürgen Claassen rechtfertigte die Einladung von Journalisten zu einer First-Class-Safari nach Südafrika so: "Pressereisen sind wegen vertieften Gedankenaustauschs.“ Und das sei ein wichtiges Element der Medienarbeit. Ja, Gedankenaustausch ist eben nicht billig. Im vorliegenden Fall kam der Schnack-Event auf 17.000 Euro pro Person.
Mit dabei waren der Berliner „Tagesspiegel“, die „Rheinische Post“ aus Düsseldorf und die Essener NRZ. Für die „Süddeutsche“ flog ein freier Mitarbeiter mit. Marc Beise, der Leiter der SZ-Wirtschaftsredaktion, wandte später immerhin ein: „Natürlich finden wir Recherchereisen 1. Klasse auf Firmenkosten völlig unangemessen."
Den fünften Stern gibt es umsonst dazu
Deutsche Chefredakteure und Ressortchefs sehen das offenbar nicht alle so. Sie halten die redaktionelle Unabhängigkeit nicht für gefährdet, wenn Mitarbeiter sich Reisen und Übernachtungen von Veranstaltern bezahlen lassen. Und das ist ja auch, wenn keine Amtsträger involviert sind, nicht strafbar, für den Bestecher nicht und für den Bestochenen nicht. Es fällt auch nicht auf, wenn der Berichterstatter in seinem Reisebericht auf vier Hotelsterne einen fünften draufsattelt.
Der Deutschlandfunk hat herausgefunden, dass drei Viertel aller Journalisten Presserabatte in Anspruch nehmen. Sie brauchen dafür keine Gegenleistungen zu erbringen. Die meisten werden bloß angefüttert, wie das unter Kennern heißt. Sie stehen gegebenenfalls zur Verfügung, wenn sie der Spender mal brauchen sollte.
„Transparency International “ warnt trotzdem vor Presserabatten. Korruption im Journalismus freilich sei „kaum erforscht und wird in der Praxis – so unser Verdacht – vertuscht oder sogar totgeschwiegen”. Wieso kaum erforscht? Die Firmen, die Pressevertretern Rabatte geben, kann man im Internet nachschlagen. Die Plattform „www.journalismus.com“ etwa bietet 1.430 zweckdienliche Kontakte.
Automobilfirmen, Reiseveranstalter, Zeitschriften, Computerhersteller sind alle gleich großzügig. Laut der Website „Der Pressesprecher“ gewähren BMW, Alfa und Audi auf ihre Wagen 15 Prozent Nachlass. Privatkäufer erhalten dagegen nur maximal drei bis vier Prozent bei Barzahlung. Das bedeutet bei einem Mittelklassewagen eine Differenz von 4.000 bis 5.000 Euro netto.
Der Ausweis muss nicht einmal echt sein
Die Vorlage des Pressausweises genügt. Es muss aber ein echter sein. Nicht einer von der Firma „International Presse Card“, die im Internet für den „begehrten VIP-Status der Pressebranche“ wirbt. Journalisten fliegen bei einigen Fluglinien um ein Viertel vergünstigt. Die Bahn gewährte Journalisten bis 2012 nicht weniger als 50 Prozent Nachlass auf Bahn Cards.
Ist das schon Korruption? Ach was. Der deutsche Journalist, so schrieb Kurt Tucholsky Anfang der zwanziger Jahre, brauche gar nicht bestochen zu werden. Es reiche aus, ihn zu etwas einzuladen. Tucho hat damals aber noch nicht an die Summen gedacht, die heute üblich sind.
Die Berliner Regierung ist nicht vertrauenswürdiger als die Wirtschaft, wenn es darum geht, einen geldwerten Vorteil an jemanden zu verteilen, um dessen Gunst zu erwerben. In der Maischberger-Talkrunde am 20. Februar kam ganz beiläufig raus, dass die Große Koalition ganz stiekum massive Subventionen für die Printmedien beschlossen hatte. Die Sozialabgaben für Zeitungsausträger sollten nicht mehr 15, sondern nur noch 5 Prozent betragen. Die fehlenden zehn Prozent sollen aber auch nicht von den Arbeitgebern übernommen werden, wie es sonst üblich ist, sondern vom Staat. Das heißt: Die Zeitungsverleger werden vom Steuerzahler subventioniert.
Über den ganzen Vorgang stand nichts in den Zeitungen. Man kann sich denken, warum. Talk-Gast Hans-Ulrich Jörges nahm die gleichfalls anwesende Berliner CDU-Vorsitzende Monika Grütters aus diesem Anlass tüchtig in die Zange. Doch die antwortete mit Larifari. In den Online-Rezensionen der deutschen Zeitungen am nächsten Morgen kam das Thema auch nicht vor.
Die Gewerkschaft Ver.di vermutet, dass der Passus auf dem Weg über die CSU in die GroKo-Abmachung gefunden hat. Der Absatz sei “wohl über die Chefebene eingespeist worden”.
Gemocht werden ist schon genug
Für die Vorzugsbehandlung erwarten die Koalitionsparteien keine direkte Gegenleistung. Es reicht ihnen, wenn sie bei den Medien beliebt sind. Das zahlt sich fast immer aus. Auch in der Privatwirtschaft. Ein Automobil, das der Tester selbst direkt vom Werk mit großem Nachlass erworben hat, schneidet im allgemeinen bei der Rezension besonders gut ab.
Der pensionierte „Stern“-Reporter Gerhard Kromschröder hat in einem Vortrag vor Medienstudenten über seine Erfahrungen als Jungredakteur mit der Korruption auf dem Dorfe berichtet. Er habe sich damals gedacht: „Wie nett meine neuen Freunde zu mir sind. Der Bürgermeister bietet mir an, er könne mir zu Sonderkonditionen einen hübschen Bauplatz im neuen Baugebiet beschaffen. Der Autohändler aus der Kreisstadt will mir einen neuen Ford Taunus 20 M mit besonders vielen Extras – inklusive Weißwandreifen – weit unter Listenpreis überlassen. Und der Sparkassendirektor verspricht mir einen großzügigen Baukredit zu ganz moderaten Zinssätzen. Toll.“ Und ehe man sich versehe, sei man mittendrin im Establishment.
Harald Martenstein vom „Tagesspiegel“ hat in einer Kolumne Selbstkritik geübt. Er schreibt, er habe sich schon mal zu Hotelübernachtungen einladen lassen. Er sei auch dabei gewesen, wie ein einladendes Unternehmen Journalisten Damen fürs Bett zur Verfügung gestellt habe.
Der Journalismus in Deutschland, sagt Martenstein, sei eben nicht besser oder schlechter als der Rest der Gesellschaft. Und: „Ich wundere mich nur bei den Affären der letzten Zeit über den selbstgewissen, eifernden Ton in den meisten Kommentaren.“ Als Kulturredakteur habe er es auch oft erlebt, dass Kritiker lobende Besprechungen über die Bücher oder die Filme von engen Freunden schrieben. Oder sie schrieben extrem harte Verrisse über Bücher und Filme von Leuten, an denen sie sich aus privaten Gründen rächen wollten. „Eigentlich ist das Betrug.“
Es gibt Lichtblicke. Der Axel Springer Verlag hat schon 2012 seinen Mitarbeitern untersagt, Presserabatte anzunehmen. Die FAZ weist neuerdings im Text immerhin darauf hin, dass „ein Teil der in Technik und Motor besprochenen Produkte... der Redaktion von den Unternehmen zur Verfügung gestellt werden.“ Wo bleiben die Nachahmer?
Das Misstrauen ist wohlverdient
Die Branche habe sich das Misstrauen, mit dem man ihr begegnet, redlich erarbeitet, schrieb 2016 der „Tagesspiegel“. Das fange an bei den Journalistenrabatten, die es „lange Zeit“ gegeben habe. Wieso lange Zeit gegeben habe? Das ist noch immer so.
Besonders nachhaltig legt man Journalisten an die Leine, indem man ihnen Medienpreise gibt. So ein Preis ist oft mit einer saftigen Geldprämie verbunden. Er vermittelt dem Empfänger auch noch das Gefühl, dass er einer guten Sache gedient hat. Die deutschen Buchpreise gehen in die Hunderte. Unter den – auch meist aus öffentlichen Mitteln – prämierten Büchern ist auch viel Schund, der nicht mal die Deckungsauflage erreicht, also die Zahl der verkauften Bücher, die der Verleger benötigt, um die Druckkosten reinzuholen.
Ihre Blätter feiern die Zeitungslaureaten wortreich im redaktionellen Teil ab, obwohl doch klar ist, dass die Preise nicht in erster Linie für bemerkenswerte Leistungen vergeben werden, sondern für Artikel, die für den jeweiligen Stifter positiv waren. Der „Business of Beauty Preis Friseur“, der „Journalistenpreis Tiefkühlkost“, die „Goldene Feder“, die „Goldene Henne“, lauter Schleichwerbung aus den PR-Giftkästchen.
Ausgerechnet die feine SZ
Und wie finden wir, dass die „Süddeutsche Zeitung“, die vor Moral kaum laufen kann, ihrer Ausgabe vom 19. November 2017 eine kostenpflichtige Beilage von „China Watch“ beifügte? „China Watch“ ist ein Organ der chinesischen KP, die dafür verantwortlich ist, dass in China jährlich rund 8.000 Menschen hingerichtet und zum großen Teil für medizinische Zwecke ausgeschlachtet und verkauft werden.
Menschenrechtler sind über solche Deals nicht erfreut. „Die „Süddeutsche“ mit ihrem Anspruch als Qualitätszeitung sollte keine Propaganda autoritärer Staaten verbreiten, die sich schwerer Menschenrechtsverletzungen schuldig gemacht haben“, sagte Kai Müller, Chef der International „Campaign for Tibet“ Deutschland.
Der SZ-Verlag beantwortete die Kritik an dem Deal mit den chinesischen Gewaltherrschern mit dem Hinweis, sie gestehe Meinungsfreiheit als „eines der höchsten Güter“ auch anderen zu. Kann man daraus schließen, dass die SZ auch Beilagen von Orbán oder Le Pen aufnehmen würde, wenn der Preis stimmt?
Und warum wird von „Focus“ und „Spiegel“ über Unternehmen, die bei ihnen viel inserieren, wesentlich öfter und freundlicher berichtet als über andere, die gar nicht inserieren, wie der Dresdner Medienprofessor Lutz M. Hagen festgestellt hat? Altredakteure beim „Spiegel“ erinnern sich noch, wie in ihrem Blatt neben einer Johnny-Walker-Anzeige ein Bericht veröffentlicht wurde, der vor den schrecklichen Folgen des Alkohols warnte. So was gibt es heute nicht mehr.
Der Journalismus, sagt Hans Leyendecker, Cheftrüffelschwein der „Süddeutschen“, sei einer der letzten gesellschaftlichen Bereiche, in die die Korruptionsbekämpfung noch nicht vorgedrungen sei. Darüber wird auch gar nicht geredet. Weil für eine öffentliche Debatte die Medien als Multiplikatoren benötigt werden.
Nachtrag: Der Satz "im Koalitionsvertrag stand davon nichts" in der Passage über die Sozialabgaben für Zeitungsausträger trifft nicht zu und wurde deshalb gestrichen.