Manfred Haferburg / 21.10.2022 / 06:15 / Foto: Arild Vågen / 53 / Seite ausdrucken

Auch das noch: Streiks in den französischen Kernkraftwerken

Seit mehreren Wochen wird in Frankreich branchenübergreifend gestreikt. Dieser Konflikt hat sich in den letzten Tagen noch verschärft. Jetzt hat die „soziale Bewegung“ den Energiesektor, nämlich die Kernkraftwerke des Staatskonzerns EdF, erreicht.

Vor Kurzem sah es in der Prognose der französischen Kernenergie noch recht gut aus. Die Reparaturarbeiten an Reaktoren, die von Korrosion betroffen sind, verlaufen nach Einschätzung des französischen Netzbetreibers RTE zufriedenstellend. In vier Reaktoren seien sie abgeschlossen, in mehreren weiteren stünden sie kurz davor.

Präsident Emmanuel Macron hatte vergangene Woche erklärt, dass derzeit 30 von insgesamt 56 Reaktoren am Netz seien. Der Betreiber EDF habe sich verpflichtet, bis zum Januar wieder 45 Reaktoren in Betrieb zu haben. Doch die Macron-Regierung machte die Rechnung ohne den Wirt, nämlich die französischen Gewerkschaften, allen voran die CGT.

Wenn in einem französischen Kernkraftwerk eine „soziale Bewegung“ – das ist der euphemistische Ausdruck für Streik – erfolgt, dann kann es passieren, dass das Kraftwerk bei der Netzleitstelle anruft, um zu fragen: „Passt es jetzt, wenn wir die Leistung ein bisschen einsenken?“. Die Streikenden wollen zwar das Netz nicht gefährden, aber trotzdem ihrer Forderung Nachdruck verleihen. Diese Streiks kommen für die Sicherheit des französischen Stromnetzes zu absoluten Unzeit. Und die Gewerkschaften wissen dies natürlich.

Streiks führen zu verringerter Stromproduktion

Seit mehreren Wochen wird in Frankreich branchenübergreifend gestreikt. Dieser Konflikt hat sich in den letzten Tagen noch verschärft. Jetzt hat die „soziale Bewegung“ den Energiesektor, nämlich die Kernkraftwerke des Staatskonzerns EdF, erreicht. Der Standort Chooz-B in den Ardennen ist nach Angaben der Gewerkschaft Fédération nationale des mines et de l'énergie de la CGT (FNME-CGT) mittlerweile der zwölfte von 18 KKW-Standorten in Frankreich, an dem gestreikt wird. 

Nach bilateralen Treffen mit den Gewerkschaften am Mittwoch beginnen EDF und die Gewerkschaften am Donnerstag mit Verhandlungen. Mit der großen Hoffnung für alle Parteien, in den nächsten Tagen eine Einigung zu erzielen.

Zwei Tage nach den branchenübergreifenden Streiks vom 18. Oktober herrscht im französischen Nuklearsektor Nervosität. Die Streiks materialisieren sich entweder in einem Rückgang der Stromproduktion oder in einer Verzögerung der Wartungsarbeiten und damit der Wiederinbetriebnahme der dringend benötigten noch abgeschalteten Reaktoren. 

Daraus ergibt sich ein  geänderter Zeitplan, der die Regierung ernsthaft zu beunruhigen beginnt. EDF muss alle in Wartung befindlichen oder abgeschalteten Reaktoren umgehend wieder in Betrieb nehmen. Eine Streikbewegung könnte diese Wiederinbetriebnahme verzögern", erinnerte daher am Mittwoch Emmanuelle Wargon, die Vorsitzende der Energieregulierungskommission (Commission de régulation de l'énergie). „Es ist wichtig, dass die Arbeit so schnell wie möglich wieder aufgenommen wird, denn sonst steigt das Risiko, dass der Strom in Frankreich ausfällt".

Verzögerungen bei der Wartung

In den zwölf bestreikten Kraftwerken sind nach einer Zählung der CGT 18 Reaktoren von „Abschaltblockaden" betroffen, eine Zahl, die fast täglich steigt – letzte Woche waren es gerade einmal ein Dutzend. Die Streiks führen zu einer Verlängerung der Revisionszeiten bei den Reaktoren, deren Wiederinbetriebnahme unmittelbar bevorstand, von zwei bis drei Wochen und führen in der Folge auch zu Verzögerungen bei der Wartung der anderen Reaktor-Blöcke. Von den sechs Kraftwerken, die nicht von einer „sozialen Bewegung“ betroffen sind, werden Flamanville (Manche) und Civaux (Vienne) daher noch mindestens ein bis drei Monate im Stillstand bleiben.

Diese Situation macht an den Toren der Kernkraftwerke nicht halt. Die Wasserkraftwerke schlossen sich am Dienstag der Bewegung an, wobei laut FNME-CGT drei Standorte im Ain-Tal und in der Isère ihre Produktion drosselten. Das EDF-Kraftwerk Cordemais [im Département Loire-Atlantique] hat sich der nationalen, branchenübergreifenden Streikaktion angeschlossen, zu der die CGT aufgerufen hat", sagt ein Gewerkschaftsvertreter des Standorts.

Der Donnerstag wird also ein entscheidendes Datum für die Lösung des Arbeitskonflikts bei EDF sein. Die Gewerkschaften fordern eine allgemeine Erhöhung des Grundlohns um 3,3 Prozent in zwei Schritten, wobei 1 Prozent rückwirkend zum 1. Juli 2022 und der Restbetrag von 2,3 Prozent zum 1. Januar 2023 erhöht werden soll. Sie fordern eine Mindestlohnerhöhung von 80 Euro für alle Arbeitnehmer, um Geringverdiener zu begünstigen.

„Gegen die Unterdrückung von Gewerkschaften"

Schon beim Streik der Raffineriearbeiter hat die französische Regierung zu einer außergewöhnlichen Maßnahme gegriffen: Premierministerin Élisabeth Borne hatte angeordnet, dass das Personal der Raffinerie von Port-Jérôme in der Normandie am Mittwoch zur Arbeit verpflichtet wird. Das gefällt natürlich den Gewerkschaftsbossen überhaupt nicht. Daher wurden alle Energiesektoren am Dienstag zu Lohnfragen, aber auch zu den Renten und gegen „die Unterdrückung der Gewerkschaften“ mobilisiert, fasst Julien Lambert, Leiter der Industriezweigsgewerkschaft FNME-CGT, gegenüber der Presse zusammen.

Die CGT legt noch ein paar Kohlen obendrauf: nun bitte sehr 120 Euro mehr, damit jeder Arbeitnehmer mindestens 200 Euro Lohnsteigerung pro Monat erhalten kann, wenn man die Branchentarifverträge mit einrechnet. Die EDF-Führung weiß, dass der Ausweg aus dem Konflikt nicht ohne die CGT erfolgen wird, da wir die treibende Kraft in diesem Streik sind. Vor allem weiß EdF, dass wir die Beschäftigten zu dem Vorschlag der Geschäftsführung befragen werden. Und sie werden am Ende in unserem Sinne entscheiden", fasst Julien Lambert zusammen.

Angesichts der Dringlichkeit der Situation für das Stromnetz des französischen Hexagons wird der Staat den Ball bezüglich der Lösung des Konflikts nur schwerlich an die EDF-Führung zurückspielen können, da er mit über 80 Prozent der weitaus größte Anteilseigner ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Verhandlungen in den nächsten Tagen erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Das bleibt aber auch zu hoffen, wenn in Frankreich nicht die Lichter ausgehen sollen. Denn dann könnte im schlimmsten Fall auch Deutschland betroffen sein.

Stabilität ist Sicherheit

Um in einem Land Kraftwerke und ein Stromnetz sicher betreiben zu können, bedarf es in erster Linie der Stabilität. 

Und wenn hier von Stabilität die Rede ist, dann ist damit gemeint, dass es politischer, ökonomischer und sozialer Stabilität bedarf. Daher wird der französische Staat auch im Streit mit der CGT einlenken müssen.

Und noch ein Wort an die deutschen Politiker. Die Frage des Weiterlaufens der letzten drei Kernkraftwerke hat sich in den letzten Monaten zu einem Spielball der politischen Ränkeschmiede entwickelt und ist immer noch in der Schwebe. Noch hat der Bundestag das Atomgesetz nicht geändert, nach dem ab 1.1.2023 die gewerbliche Stromerzeugung aus Kernkraft gesetzlich verboten ist. Nun soll im November entschieden werden. Dann sind es für die Betreiber der Kernkraftwerke noch sechs Wochen bis zum Abschalttermin. Stabilität sieht anders aus. Liebe Politiker, überlegt mal, ob ihr nicht vielleicht die größte Gefahr für die Sicherheit der Kernkraftwerke seid.

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Leserpost

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Frank Bitterhof / 21.10.2022

Wenn das kein gutes Argument für den Weiterbetrieb der deutschen KKWs über April 2023 hinaus ist - Europäische Netzstabilität. Und da Scholz dem Macron etwas schuldig ist, kann er sich hierfür gleich mal mit dem gleichen Engagement wie für den Teilverkauf eines Hamburger Hafens einsetzen. Alternativ vielleicht die deutschen KKW-Flächen enteignen und Frankreich als exterritoriale Sonderzonen anbieten?

Volker Kleinophorst / 21.10.2022

@ S. Schönfelder Sie haben recht. Um seine Ziele durchzusetzen, empfiehlt es sich ja häufig, sie zu verschleiern. Die Resetter sind da ziemlich gut drin. Das geht ja schon mit demm Frame Reset los. Bei einem Computer resettet man, wenn der sich aufhängt, zurück auf eine funktionierende Ebene. Beim politischen Reset behauptete man, man habe ein komplett neues Programm, das viel besser ist, leider ungetestet und auch nicht wirklich geschrieben. Also außer: Wenn wir “Reichen, Eliten…” noch reicher werden wollen, müssen sich die Armen einschränken.

Jürgen Fischer / 21.10.2022

Das ist doch alles inszeniert. Hat nicht Macron erst Deutschland „gewarnt“ wegen seines „unsolidarischen Sonderwegs“? Um zu signalisieren, wenn ihr nicht so spurt, wie wir es haben wollen, gibt’s von uns im Zweifelsfall keinen Atomstrom? Die Ukraine zeigt uns ja gerade, wie es ist, so ohne Strom.

giesemann gerhard / 21.10.2022

Können die Froggies halt nicht mehr elektrisch heizen. Und die Belgier machen die Lampen an den Autobahnen aus, nächtens. Das geht alles seinen sozialist’schen Gang. Et le boche, que dit-il? Boff. Dabei ist el. Strom „the sexiest energy in this world“. Einfach wunderbar. Gib ihnen mal ein paar Wochen nix davon – dann merken sie: Noch wunderbarer.   Elektrischer Strom ist also wie Sex: Die wunderbarste Energieform und die wunderbarste Sache der Welt. Vereint wie nie. Und GENAU da kann man die Kanallje zwicken – damit es denen nicht zu gut geht und sie übermütig werden. Alle Religionen wissen das seit alters her. Herrschaft via Sex and Strom. Durch Verknappung. Will er Sex, muss er schaffen, will er Strom: Auch. Porca miseria. Der Kanzler von Dodoland weiß das, und so will er die SPD wieder sexy machen. Und herrschaftsfähig. Erstentzug, dann frisst er aus der Hand. Der boche. Wie heißen die Jammerlappen da? Ach ja, “incels”. Find’ ich gut.  Nur the English, they have no sex, they have hot-water-bottles. Die brauchen nur ganz wenig ... .  

Dr Stefan Lehnhoff / 21.10.2022

Was ist das eigentlich für eine Gewerkschaft, die eine Reallohnkürzung fordert? Worum geht es? Kennen mich in der Szene Null aus, aber weiß jemand, wer etwa in der CGT zB Verbindungen zum WEF hat?

A. Ostrovsky / 21.10.2022

Mal Off Topic: Warum muss Uniper überhaupt gerettet werden? Sind das nicht die, deren Geschäftszweck jetzt weggefallen ist? Dann sind sie doch überflüssig. Wer es anders weiß, kann mich ja gerne belehren.

A. Ostrovsky / 21.10.2022

@Rena Duroche : Ihr Mitleid mit den Beschäftigten einer zusammenbrechenden Wirtschaft in allen Ehren, aber haben Sie diese Frage in den letzten dreißig oder fünfzig Jahren schon mal gestellt? Oder ist das jetzt das erste Mal? Meinen Sie, in anderen Berufszweigen, die systematisch aus dem Lande getrieben worden sind, wäre es nicht genauso sprunghaft und intransparent gewesen, wenn nicht sogar noch viel mehr? Die Leute bekommen einen Sozialplan und werden erst zwei Jahre lang mit 68% ihres letzten Gehalts abgespeist und werden dann umgeschult zum Gender-Beauftragten oder Antisemitismus-Spezialist. Es ist doch nichts anders, als bisher. So stelle ich mir das jedenfalls vor. Aber ernsthaft will ich das gar nicht wissen, weil aus diesem Wissen kein Nutzen entspringt. Ernährungs-Experten und Spezialisten für mRNA-Injektionen werden doch gesucht. Es ist doch nie so, dass immer gleich alles zusammenbricht. Die Leute müssen eben flexibel sein, persönlich willig und reisebereit. Das Privileg, dass man ein AKW nich jedes Halbjahr in eine andere Stadt setzen kann, haben die doch nun lange genug genossen. Jetzt geht es ihnen eben mal so, wie allen anderen. Mal die FDP fragen, wie man mit Umschülern umgehen muss, wenn sie aufmucken!

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