Seit mehreren Wochen wird in Frankreich branchenübergreifend gestreikt. Dieser Konflikt hat sich in den letzten Tagen noch verschärft. Jetzt hat die „soziale Bewegung“ den Energiesektor, nämlich die Kernkraftwerke des Staatskonzerns EdF, erreicht.
Vor Kurzem sah es in der Prognose der französischen Kernenergie noch recht gut aus. Die Reparaturarbeiten an Reaktoren, die von Korrosion betroffen sind, verlaufen nach Einschätzung des französischen Netzbetreibers RTE zufriedenstellend. In vier Reaktoren seien sie abgeschlossen, in mehreren weiteren stünden sie kurz davor.
Präsident Emmanuel Macron hatte vergangene Woche erklärt, dass derzeit 30 von insgesamt 56 Reaktoren am Netz seien. Der Betreiber EDF habe sich verpflichtet, bis zum Januar wieder 45 Reaktoren in Betrieb zu haben. Doch die Macron-Regierung machte die Rechnung ohne den Wirt, nämlich die französischen Gewerkschaften, allen voran die CGT.
Wenn in einem französischen Kernkraftwerk eine „soziale Bewegung“ – das ist der euphemistische Ausdruck für Streik – erfolgt, dann kann es passieren, dass das Kraftwerk bei der Netzleitstelle anruft, um zu fragen: „Passt es jetzt, wenn wir die Leistung ein bisschen einsenken?“. Die Streikenden wollen zwar das Netz nicht gefährden, aber trotzdem ihrer Forderung Nachdruck verleihen. Diese Streiks kommen für die Sicherheit des französischen Stromnetzes zu absoluten Unzeit. Und die Gewerkschaften wissen dies natürlich.
Streiks führen zu verringerter Stromproduktion
Seit mehreren Wochen wird in Frankreich branchenübergreifend gestreikt. Dieser Konflikt hat sich in den letzten Tagen noch verschärft. Jetzt hat die „soziale Bewegung“ den Energiesektor, nämlich die Kernkraftwerke des Staatskonzerns EdF, erreicht. Der Standort Chooz-B in den Ardennen ist nach Angaben der Gewerkschaft Fédération nationale des mines et de l'énergie de la CGT (FNME-CGT) mittlerweile der zwölfte von 18 KKW-Standorten in Frankreich, an dem gestreikt wird.
Nach bilateralen Treffen mit den Gewerkschaften am Mittwoch beginnen EDF und die Gewerkschaften am Donnerstag mit Verhandlungen. Mit der großen Hoffnung für alle Parteien, in den nächsten Tagen eine Einigung zu erzielen.
Zwei Tage nach den branchenübergreifenden Streiks vom 18. Oktober herrscht im französischen Nuklearsektor Nervosität. Die Streiks materialisieren sich entweder in einem Rückgang der Stromproduktion oder in einer Verzögerung der Wartungsarbeiten und damit der Wiederinbetriebnahme der dringend benötigten noch abgeschalteten Reaktoren.
Daraus ergibt sich ein geänderter Zeitplan, der die Regierung ernsthaft zu beunruhigen beginnt. „EDF muss alle in Wartung befindlichen oder abgeschalteten Reaktoren umgehend wieder in Betrieb nehmen. Eine Streikbewegung könnte diese Wiederinbetriebnahme verzögern", erinnerte daher am Mittwoch Emmanuelle Wargon, die Vorsitzende der Energieregulierungskommission (Commission de régulation de l'énergie). „Es ist wichtig, dass die Arbeit so schnell wie möglich wieder aufgenommen wird, denn sonst steigt das Risiko, dass der Strom in Frankreich ausfällt".
Verzögerungen bei der Wartung
In den zwölf bestreikten Kraftwerken sind nach einer Zählung der CGT 18 Reaktoren von „Abschaltblockaden" betroffen, eine Zahl, die fast täglich steigt – letzte Woche waren es gerade einmal ein Dutzend. Die Streiks führen zu einer Verlängerung der Revisionszeiten bei den Reaktoren, deren Wiederinbetriebnahme unmittelbar bevorstand, von zwei bis drei Wochen und führen in der Folge auch zu Verzögerungen bei der Wartung der anderen Reaktor-Blöcke. Von den sechs Kraftwerken, die nicht von einer „sozialen Bewegung“ betroffen sind, werden Flamanville (Manche) und Civaux (Vienne) daher noch mindestens ein bis drei Monate im Stillstand bleiben.
Diese Situation macht an den Toren der Kernkraftwerke nicht halt. Die Wasserkraftwerke schlossen sich am Dienstag der Bewegung an, wobei laut FNME-CGT drei Standorte im Ain-Tal und in der Isère ihre Produktion drosselten. „Das EDF-Kraftwerk Cordemais [im Département Loire-Atlantique] hat sich der nationalen, branchenübergreifenden Streikaktion angeschlossen, zu der die CGT aufgerufen hat", sagt ein Gewerkschaftsvertreter des Standorts.
Der Donnerstag wird also ein entscheidendes Datum für die Lösung des Arbeitskonflikts bei EDF sein. Die Gewerkschaften fordern eine allgemeine Erhöhung des Grundlohns um 3,3 Prozent in zwei Schritten, wobei 1 Prozent rückwirkend zum 1. Juli 2022 und der Restbetrag von 2,3 Prozent zum 1. Januar 2023 erhöht werden soll. Sie fordern eine Mindestlohnerhöhung von 80 Euro für alle Arbeitnehmer, um Geringverdiener zu begünstigen.
„Gegen die Unterdrückung von Gewerkschaften"
Schon beim Streik der Raffineriearbeiter hat die französische Regierung zu einer außergewöhnlichen Maßnahme gegriffen: Premierministerin Élisabeth Borne hatte angeordnet, dass das Personal der Raffinerie von Port-Jérôme in der Normandie am Mittwoch zur Arbeit verpflichtet wird. Das gefällt natürlich den Gewerkschaftsbossen überhaupt nicht. Daher wurden alle Energiesektoren am Dienstag zu Lohnfragen, aber auch zu den Renten und gegen „die Unterdrückung der Gewerkschaften“ mobilisiert, fasst Julien Lambert, Leiter der Industriezweigsgewerkschaft FNME-CGT, gegenüber der Presse zusammen.
Die CGT legt noch ein paar Kohlen obendrauf: nun bitte sehr 120 Euro mehr, damit jeder Arbeitnehmer mindestens 200 Euro Lohnsteigerung pro Monat erhalten kann, wenn man die Branchentarifverträge mit einrechnet. „Die EDF-Führung weiß, dass der Ausweg aus dem Konflikt nicht ohne die CGT erfolgen wird, da wir die treibende Kraft in diesem Streik sind. Vor allem weiß EdF, dass wir die Beschäftigten zu dem Vorschlag der Geschäftsführung befragen werden. Und sie werden am Ende in unserem Sinne entscheiden", fasst Julien Lambert zusammen.
Angesichts der Dringlichkeit der Situation für das Stromnetz des französischen Hexagons wird der Staat den Ball bezüglich der Lösung des Konflikts nur schwerlich an die EDF-Führung zurückspielen können, da er mit über 80 Prozent der weitaus größte Anteilseigner ist. Es ist daher sehr wahrscheinlich, dass die Verhandlungen in den nächsten Tagen erfolgreich abgeschlossen werden könnten. Das bleibt aber auch zu hoffen, wenn in Frankreich nicht die Lichter ausgehen sollen. Denn dann könnte im schlimmsten Fall auch Deutschland betroffen sein.
Stabilität ist Sicherheit
Um in einem Land Kraftwerke und ein Stromnetz sicher betreiben zu können, bedarf es in erster Linie der Stabilität.
Und wenn hier von Stabilität die Rede ist, dann ist damit gemeint, dass es politischer, ökonomischer und sozialer Stabilität bedarf. Daher wird der französische Staat auch im Streit mit der CGT einlenken müssen.
Und noch ein Wort an die deutschen Politiker. Die Frage des Weiterlaufens der letzten drei Kernkraftwerke hat sich in den letzten Monaten zu einem Spielball der politischen Ränkeschmiede entwickelt und ist immer noch in der Schwebe. Noch hat der Bundestag das Atomgesetz nicht geändert, nach dem ab 1.1.2023 die gewerbliche Stromerzeugung aus Kernkraft gesetzlich verboten ist. Nun soll im November entschieden werden. Dann sind es für die Betreiber der Kernkraftwerke noch sechs Wochen bis zum Abschalttermin. Stabilität sieht anders aus. Liebe Politiker, überlegt mal, ob ihr nicht vielleicht die größte Gefahr für die Sicherheit der Kernkraftwerke seid.