Was tut sich eigentlich so auf dem Buch- und Musikmarkt? Als Leitkulturbeauftragter habe ich mich in den Gewerken Lesen und Hören umgetan.
Ein neuer Krimi liegt vor, erschienen im Vaginini Verlag. „Tote Syrer rauchen nicht“ ist thematisch auf der Höhe der Zeit und an Spannung schwer zu übertreffen. Um was geht es?
Der syrische Flüchtling Hussein fristet ein freudloses Dasein in Berlin. Obwohl er alle nötigen Papiere druckfrisch vorweisen kann, verweigert man ihm die Anerkennung als Spezialist für kieferchirurgische Minimalinversion. Ohne Anerkennung hat Hussein keine Chance, in seinem erlernten Beruf tätig werden zu können. Kein Wunder, dass der einst in seiner Heimat hoch geachtete Mediziner immer mehr ins Abseits gerät. In seiner Verzweiflung beginnt er, mit Drogen zu handeln, zuerst ist es nur Marihuana im Görlitzer Park. Darüber lernt er eine Reihe aktiver Politiker kennen, doch die sind offenbar nicht daran interessiert, ihren Händler zu verlieren. Niemand setzt sich für ihn ein. So kommt, was kommen muss; bald bietet Hussein auch harten Stoff an: für einen zwielichtigen Visegrad-Europäer vertreibt er unverzollte Zigaretten rund um den Alexanderplatz. Damit ist sein Schicksal besiegelt, Müllmänner finden ihn als grässlich verunstaltete Leiche im Hinterhof eines Kreuzberger Hinterhauses. Kann Kommissarin Nicola „Nicki“ Schreier den oder die Täter ermitteln? Eine schwere Aufgabe, ausgerechnet jetzt, wo sie selber psychisch nicht auf der Höhe ist, leidet sie doch unter der Trennung von ihrer langjährigen Partnerin Birte, die infolge einer Geschlechtsanpassung seit vier Wochen Egbert heißt und nach Wuppertal gezogen ist, wo sie in einer Fourth-Foot-Boutique gebrauchtes Schuhwerk feilbietet. Die Kommissarin erkennt jedoch, dass der komplizierte Fall sie von ihren privaten Problemen abzulenken in der Lage ist, und so heftet sie sich mit aller Kraft auf die Spur der Täter. Und bald steckt sie mitten im Umfeld einer rechtsradikalen Nichtraucherorganisation (Motto: „Deutsche Mädel rauchen nicht! Und Burschen auch nicht!“)...
Sollten Sie, liebe Leser, sich verwundert fragen, ob ich einen an der Murmel habe oder ob Sie in der Inhaltsangabe des nächsten ARD Tatorts gelandet sind: beides kann ich guten Gewissens verneinen. Den toten Syrer habe ich mir ausgedacht, aber geben Sie zu, Sie haben beim Lesen gedacht: „Muss ich mir diesen Mist jetzt auch noch hier antun lassen?“ Denn ohne Frage könnte das tatsächlich eine Episode aus einem beliebigen öffentlich-rechtlichen Sender beschreiben.
Papier aus verantwortungsvollen Quellen
Wie gut, dass es auch Krimis gibt, die deshalb thrillen, weil sie nahe an der Realität sind und Geschichten erzählen, die nicht irgendeinem politischen Kalkül in Richtung Volkserziehung folgen. So eine Geschichte ist „Das Attentat“, nach „Die Ministerin“ und „Der Fonds“ der dritte Polit-Thriller von Frank Jordan, dem Schweizer Autor, der eigentlich Monika Hausammann heißt. Erschienen ist „Das Attentat“ wie die beiden früheren Romane wieder bei Lichtschlag, was für sich schon eine Garantie dafür ist, dass das Buch nie von einer öffentlich-rechtlichen Anstalt verfilmt wird. Da nützt es auch nichts, dass es auf Papier aus verantwortungsvollen Quellen gedruckt wurde.
Um was geht es? Nicht um Lavendel, nicht um Basilikum, nicht um eine Tote, die im Netz eines bretonischen Fischers landet, auch nicht um eine strafversetzte Kommissarin, die aus Paris nach Nizza abkommandiert wird und dort den Tod eines Pariser Immobilienhais untersucht, dem eigentlich niemand nachtrauert, aber Mord ist nun einmal Mord. „Das Attentat“ beginnt turbulent, kaum werden zwei Personen vorgestellt, sind sie auch schon hin. Ein russischer Finanz-Oligarch stürzt samt Gattin und der Crew mit dem Privatjet ab. Da das nicht irgendwo über der Taiga oder dem Ural, sondern über der Schweiz passiert, wird der Fall von den dortigen Behörden untersucht. Der Leser weiß allerdings mehr als die Schweizer. Das Flugzeug ist nicht einfach so vom Himmel gefallen; ein Saboteur an Bord hat die Elektronik deaktiviert, und damit er etwas von den 10 Millionen Dollar hat, die er als Honorar für die Tat bekommt, ist er rechtzeitig mit dem Fallschirm abgesprungen. Die Frage: „Wer war's?“ hat sich somit bereits nach einigen Seiten erledigt, dafür steht nun die Frage „Wer hat es bezahlt?“ im Raum.
Wie bereits in den beiden vorher erschienenen Thrillern trägt auch „Das Attentat“ wieder den Untertitel „Kein Fall für Carl Brun“. Brun, leitender Ermittler des Schweizer Nachrichtendienstes, muss hier wieder einmal erleben, dass es bei Fällen mit politischer Brisanz keineswegs darum geht, Täter zu ermitteln und der Strafverfolgung zuzuführen. Ein russischer Oligarch ist nun einmal nicht einfach nur eine Privatperson, erst recht nicht, wenn seine Frau nicht nur attraktiv, sondern auch noch eine einflussreiche Politikerin ist. Oder war. Oder ist?
Ein abgestürztes Flugzeug als Büchse der Pandora
Der Fall ist heikel, was den Schweizern schnell klar wird. Was und wie weit darf ermittelt werden? Ist es nicht besser, den Absturz Absturz sein zu lassen und die Akte zuzuklappen? Da stehen dem Nachrichtendienst auf einmal mächtige Kräfte auf den Füßen, die es gar nicht schätzen, wenn sich ein abgestürztes Flugzeug als Büchse der Pandora entpuppt, in der sich so ziemlich alles befindet, was unsere Gegenwart und Zukunft bestimmt. Brun und sein Team bleibt nichts anderes übrig, als inoffiziell weiter zu ermitteln. Und das wird alles andere als Routine.
Es gibt etwas, das weitaus grausiger ist als Schilderungen von blutigen Leichen, sadistischen Morden und psychopathischen Killern: die Realität. Und mit dieser konfrontiert uns Frank Jordan in „Das Attentat“. Nicht durchgeknallte Ripper, sondern NGO, EU-Kommissare, Politfunktionäre, Lobbyisten, Banker, Wirtschaftsbosse lehren uns das Grauen, und da sie das zumeist geschickt und von den Medien gedeckt tun, merken wir davon nichts. Oder wenn doch, dann zu spät.
Frank Jordan beweist auf 550 spannend zu lesenden Seiten, dass er eine gut recherchierte Geschichte in meisterhafter Sprache erzählen kann, mehr noch, dass er zugleich, ohne Zeigefinger, politische Ideen und Standpunkte vermitteln kann, denn nicht von ungefähr erscheinen die Bücher um Carl Brun in einem Verlag, der sich libertären Ideen verbunden zeigt.
Gut möglich, dass Leser des Buches nach der Lektüre die alltäglichen Politik- und Wirtschaftsnachrichten in den staatlichen Medien mit anderem Verständnis aufnehmen werden. Denn mal ehrlich: Niemand von uns glaubt doch wirklich, dass alles genau so ist, wie es uns erscheinen soll. Oder?
Und jetzt zur Musik
Bereits im März erschien eine ungewöhnliche CD, die ich Ihnen wärmstens ans Ohr legen möchte. Eingespielt hat sie das norwegische Håkon Kornstad Trio. Kornstad, 1977 in Oslo geboren, gehört seit langem zu den innovativsten Musikern Skandinaviens, der auch international große Anerkennung genießt. Bugge Wesseltoft, Pat Metheny und Joshua Redman gehören zu den Musikern, die mit ihm aufgetreten sind und Platten eingespielt haben, und ein weltweites Publikum kennt ihn von Festivals in den USA, Canada, Brasilien, Japan, China und weiteren asiatischen Ländern.
Was zeichnet Håkon Kornstad nun besonderes aus? Es ist die ungewöhnliche Auswahl seiner „Instrumente“. Er spielt nämlich nicht nur Saxophon, er besitzt auch eine ausgebildete Tenorstimme. Zwei Welten vereinen sich in seiner Kunst, die des skandinavisch geprägten Jazz und des romantischen klassischen Gesangs. Das neue Album mit dem Titel „Im Treibhaus“ (eine Anspielung auf Wagners Wesendonck-Lieder) enthält daher Kompositionen von Schubert, Tosti, Verdi, Mascagni, Lalo, Grieg und Manuel de Falla. Unterstützt wird Kornstad von seinen beiden Mitmusikern Frode Haltli am Akkordeon und Mats Eilertsen am Contrabass, kurz: in einem wirklich ungewöhnlichen Umfeld. Das ist zeitgenössische Kammermusik, wie man sie so wohl noch nicht gehört hat. Wie das klingt, können Sie auf der Website Håkan Kornstads genießen. Wer, wie ich, dem Jazz ebenso viel Liebe entgegen bringt wie der Klassik, findet in dieser wirklich ungewöhnlichen Platte 42 Minuten Ohrenschmaus vom feinsten. Im Herbst kann man das Trio live in Hamburg (Elbphilharmonie, 2. Oktober) und Hannover (Gartenhaus im Hinterhaus, 3. Oktober) erleben.
Håkon Kornstad Trio
Im Treibhaus
Grappa Musikforlag
Website https://www.kornstad.com/
Eine Kritik auf BR-Klassik