Nach etwa eineinhalb (gefühlt fünf) Jahren endlich durfte ich wieder meinen Musentempel besuchen, das Gewandhausorchester spielte auf. Selbst das Testgedöns (ein Teil des Gewandhauses ist praktischerweise Testzentrum) nahm ich dafür in Kauf. Was mich dann an Absurditäten erwartete, war kaum zu überbieten.
Los ging es schon einige Meter vor dem Haupteingang. Dort stand ungefähr viermal so viel Service-Personal, verglichen mit Vor-Corona-Zeiten. Natürlich alle nett und freundlich. Also musste ich der ersten Dame meinen Handfernsprecher mit der Elektropost vom Testcenter präsentieren. Ja, da stand dick und fett und grün, dass ich NEGATIV bin. Aber von wann war denn der Test, also das Datum müsse sie auch noch sehen. Das stand da aber nicht, nur die Uhrzeit, war ja von heute. Bei meiner Begleitung das gleiche Spiel, wir versicherten dann hoch und heilig, wir waren ja alle zusammen gerade im Testzentrum, und wenn die Nachricht von heute ist, steht da eben kein Datum. Hin und her und überhaupt, wir müssten ja schon erst mal die Maske aufsetzen. Draußen, im Freien, an der frischen Luft? Ja, wir wären ja nun quasi im Gewandhaus. Also gut, auch das. Was nimmt man nicht alles auf sich, um endlich wieder in den Genuss eines Konzertes zu kommen. Die lange Zeit des Verzichts hatte schon was von Entzug.
Also Lappen vors Gesicht und hinein, süße Verheißung und was sehe ich auf der Barlach-Ebene am Ausschank? Unverhüllte, fröhlich zechende Menschen! Auf, sich zu ihnen gesellt, einen Schluck Wein geholt, und da durfte ich also wieder ohne Maske stehen. Merke: Das Virus schlägt schon einige Meter vor dem Eingang zu, aber wenn ich ein Getränk zu mir nehme, hält es sich vornehm zurück. Toll. Aber wehe, sobald ich mein Glas aus der Hand gebe, egal, wo ich dann stehe, schlägt das Virus wieder erbarmungslos zu, und ich muss den Kaffeefilter wieder vorlegen. Auch da mehr Personal als üblich, um mich jederzeit freundlich darauf hinzuweisen, dass ich Maske tragen muss. Na gut, gleich am Platz, hat das Virus wieder so viel Respekt, dass es in den Gängen zuschlägt, nicht aber am Platz.
Haha, weit gefehlt! Auch dort wieder eine äußerst nette Dame, die mich aufklärt. Erst, wenn die Musik einsetzt, darf ich wieder frei atmen. Wow! Das Virus schlägt also auch am Platz zu, aber sobald die erste Note erklingt, haut es voller Respekt ab. Dabei gab es ein herrliches Strauss-Programm, also keine neue Musik, wo ich es dem Virus oft gleich tun würde. Ich war dann ungehorsam. Da schaute die Dame liebenswürdigerweise offensichtlich weg bzw. hatte sie eh genug damit zu tun, den Leuten zu erklären, dass bis zur Musik…, Sie wissen schon.
Der Dirigent und das Orchester begrüßten uns sogar, sie freuten sich genauso wie wir, wieder mit Publikum spielen zu dürfen. Ah, und dann endlich, ja das hat gefehlt, das ist einfach Balsam für die Seele, auch Musik braucht der Mensch zum Leben und Glücklichsein. Und das Live-Erlebnis ist eben noch mal etwas anderes als eine Konserve.
Freude über ein freies Gesicht
Die nächste Absurdität kam gleich nach dem ersten Stück. Ein Umbau. An sich normalerweise keine große Sache. Obschon ich mich dann jedes Mal frage: Wenn ein Flügel gebraucht wird, warum man den nicht vorher mit aufbaut bzw. das Stück dann als erstes spielt. Egal, dieses Mal war Fernsehen mit im Saal, und da dauerte die ganze Angelegenheit dreimal so lang. Da musste zum Flügel dann noch eine Kamera eingerichtet werden, das Ganze musste natürlich auch noch mal umgeleuchtet werden, und ein paar Kabel galt es auch noch zu verlegen und abzukleben. Da ist Publikum im Saal? Die wollen eigentlich nur ein Konzert genießen? Drauf gedingst, da spielt ein Weltstar und da muss das Bild passen und der Ton natürlich auch, also auch da noch einige Techniker und das dauert eben. Ich war einerseits erschüttert, andererseits froh, auch in dieser gefühlt ewig dauernden Zwangspause hatten die netten Service-Damen das Virus offensichtlich fest im Griff, es kam niemand und zwang uns die Lappen wieder auf. Also eigentlich – streng genommen: Es spielte ja keine Musik…
Gut, endlich fertig, die Pianistin und der Dirigent hatten scheinbar einiges zu besprechen, die ließen uns dann auch noch einige Minuten warten. Dafür wurden wir auch richtig entschädigt: Ein goldig-glitzerndes kurzes Kleid im Charleston-Stil und dazu Louboutin-Schuhe (vermute ich) – so tippelte die Pianistin den Weg zum Flügel, und der war nicht kurz und voller Kabel. Das Konzert gab also auch optisch so einiges her. Unglaublich, wie dieses kurze Kleid trotz Verbeugung, bei jedem Applaus genau eine, nicht verrutschte. Ach so, das muss ich Ihnen vielleicht erklären. Im Gewandhaus gibt es auch Plätze hinter dem Orchester. Dort sitzt, wenn mit von der Partie, der Chor, wenn nicht, dann Publikum. Dort saß ich also und konnte deshalb voller Spannung den Sitz des Kleides zur Verbeugung beobachten. Was einem aber auch manchmal in den Sinn kommt.
Das Publikum wollte sich unbedingt eine Zugabe erklatschen. Das erschloss sich mir nicht, die Dame war irgendwie nicht wirklich zufrieden mit sich oder dem Orchester oder dem Dirigenten, die wollte nicht wirklich nochmal heraus stöckeln und mit diesen Kunstwerken von Schuhen über die Kabel klettern. Das Publikum gab nicht auf und schien auch gesiegt zu haben, wir waren dann schon auf dem Weg zur Terrasse. Sie hat dann doch eine zweiminütige Zugabe gespielt. Da ereilte mich aber schon wieder das tödliche Virus. Eine Dame des freundlichen Service-Personals machte mich darauf aufmerksam, dass die Musik ja aus ist, also auf dem Weg zur Tränke muss natürlich zum Schutze aller usw. usf. Also Lappen wieder rauf und ein Getränk geholt, Lappen wieder runter.
Auf der Terrasse hatten dann fast alle, auch diejenigen, die keinen Durst hatten, das Gesicht frei. Das fand ich bemerkenswert, obwohl doch eigentlich normal. Am Tag des Konzertes hatte ich auf der Seite www.absolute-zahlen.de nachgeschaut, 99,97 Prozent der deutschen Bevölkerung hatten keine Corona-Erkrankung, 0,03 Prozent der deutschen Bevölkerung waren positiv getestet. Was ja auch nicht heißt, dass sie krank sind. Diese Zahlen muss man sich auf der Zunge zergehen lassen und dann diesen Irrsinn erleben.
Das letzte Stück sollte 50 Minuten dauern, da wollte ich doch besser vorher noch das Örtchen aufsuchen. Sie haben gedacht, das war jetzt alles? Worüber ich mich eigentlich aufrege? Auf den Damentoiletten dieser Welt ist meistens Anstehen angesagt, egal, ob in Verona oder an einer Raststätte, so auch im Gewandhaus. Aber dass da eine, auch hier wieder sehr freundliche und geduldige Dame vom Service-Personal stand, war neu. Meine Neugier trieb mich, zu fragen, warum sie da stehe. Diese doch sehr schönen neuen Toiletten, es sind drei Kabinen, dürfen trotz der Trennwände nur von einer Dame betreten werden, ansonsten… Genau. Das Virus.
Rot für alle
Entgegen sonstiger Gewohnheiten, verließ ich dann während des Schlussapplauses schon das Haus, ich wollte mich einfach ohne Maske hinaus schleichen und das absurde Theater vergessen, die Musik hatte sich eingebrannt, und die war einfach nur schön.
Auf dem Weg zum Parkplatz – ich parkte nicht unter dem Konzertsaal, das ist inzwischen so teuer, das gebe ich lieber fürs Getränk aus – gab‘s noch eine Begegnung passend zum Abend. Da hatte sich während des Konzertes scheinbar ein Unfall auf dem Ring ereignet, da standen zwei Polizisten und eine Seite war völlig abgesperrt, dort konnte kein Fahrzeug fahren. Deshalb ging ich bei Rot über die Ampel, woraufhin die beiden mich anbrüllten, da wäre auch für mich rot. Da müsste ich stehen bleiben. Mein Einwand, die ganze Seite sei abgesperrt, da könnte ja gar nix fahren, bügelten sie ab. Rot sei rot und da dürfte keiner laufen. Auf meine Frage, wieso überhaupt abgesperrt sei, sagte der eine dann: „Weil wir eben mal eine Straße abgesperrt haben. Und warum, das geht Sie gar nichts an.“ Ich dankte für die freundliche Antwort, da wurde nochmal hinterher gesetzt, dass ich ja so freundlich gewesen wäre und bei rot über die Straße gegangen sei. Ich hab dann schnell das Weite gesucht, bevor die noch auf die Idee kamen, mich dafür abzuzocken.
Ich habe für die nächsten beiden Wochen auch wieder Karten fürs Große Concert, aber da muss ich noch mal aufs Programm schauen, ob ich mir das wirklich antue. Wieder Testen gehen und dieses Absurdistan hinnehmen? Die Oper habe ich für diese Saison leider abwählen müssen. Dort muss man sich nicht testen lassen, aber die Maske während der Vorstellung angelegt lassen. Man glaubt es nicht. Beide Häuser städtische Betriebe, und trotzdem gelten unterschiedliche Regelungen, die so irrwitzig sind!
Die städtische Kapelle hätte lieber wieder im Rosental spielen sollen, wie oft zum Ende der Gewandhaussaison, damals, als wir noch nichts von Corona ahnten. Ich will diese Normalität wieder zurück! Und ich werde weiterhin versuchen, ohne Maske durchzukommen. Ich mach da nicht mehr mit!