Von Roland Springer.
Um den weiteren Aufstieg der AfD zu stoppen, übernehmen die Etablierten hektisch Teile der AfD-Asylpolitik, bei gleichzeitigem Festhalten an der Brandmauer und werden damit wohl scheitern.
Wer sich die jüngsten asylpolitischen Absichtserklärungen nicht nur der beiden Unionsparteien, sondern auch von SPD und FDP sowie selbst von den Grünen anschaut, fragt sich verwundert, was während seines Sommerurlaubs, den er vielleicht in weiter Ferne ohne Verbindung in die Heimat verbracht hat, in Berlin geschehen ist. Asylpolitische Maßnahmen zur Begrenzung des massenhaften Zustroms von Einwanderern über den Asylweg, die vor kurzem noch als in keiner Weise durchführbar galten oder als menschenfeindlich gebrandmarkt wurden, sind unverhofft zum Bestandteil eines Maßnahmenpakets der Ampelkoalition sowie eines Forderungskatalogs der beiden Unionsparteien geworden.
Vordergründig geht es dabei um die Wiederherstellung staatlicher Kontrolle über eine völlig aus dem Ruder gelaufene irreguläre Einwanderung nach Deutschland, um so den seit Jahren anhaltenden Zustrom von Asylbewerbern endlich wieder signifikant zu reduzieren.
Tatsächlich geht es den etablierten Parteien angesichts der jüngsten Wahlerfolge der AfD aber vor allem darum, durch eine restriktivere Asylpolitik zu erreichen, dass bei anstehenden Wahlen nicht noch mehr Wähler ihr Kreuz bei einer Partei machen, die bislang als einzige eine solche forderte. Neuerdings proklamiert allerdings auch das Bündnis Sarah Wagenknecht (BSW) eine solche Politik und beruft sich dabei unter anderem auf die dänischen Sozialdemokraten.
Restriktivere Asyl- und Migrationspolitik?
Während Wagenknecht für sich in Anspruch nehmen kann, sich schon als erfolglose Abweichlerin der Linken für eine restriktive Asylpolitik stark gemacht zu haben und dies somit nicht erst seit kurzem zu tun, gilt dies für die drei Ampelparteien nicht. Ganz im Gegenteil stehen sie seit Jahren für eine Politik, die das Asylrecht dazu nutzen möchte, den deutschen Arbeitsmarkt mit fehlenden Arbeitskräften zu versorgen, was naturgemäß auch von zahlreichen Unternehmensführern befürwortet wird. Einzig in den beiden Unionsparteien scheinen inzwischen dagegen jene Kräfte an Einfluss zu gewinnen, die diesen rechtswidrigen, staatlich betriebenen Missbrauch des Asylrechts zur Arbeitsmigration beenden wollen, nachdem er von CDU-Kanzlerin Angela Merkel überhaupt erst in großem Stil in Gang gesetzt worden ist.
Diese Kräfteverschiebung innerhalb der beiden Unionsparteien ist freilich allein den Wahlergebnissen im Osten und den Umfragen für die Bundestagswahl 2025 geschuldet Sie sorgen dafür, dass nicht nur den Ampelparteien, sondern auch CDU und CSU das Wasser am Hals steht. Das hat mittlerweile sogar dazu geführt, dass seitens der Unionsführung von der Ampel eine umgehende Rückkehr zu Artikel 16a des Grundgesetzes mit seinem Ausschluss eines Anspruchs auf Asyl für Bewerber aus sicheren Drittstaaten verlangt wird; zusätzlich fordert sie die flächendeckende Schließung der deutschen Grenzen für illegal eingereiste Zuwanderer, was die Ampel weiterhin strikt ablehnt. Der am Dienstag dieser Woche veranstaltete Asylgipfel zwischen Ampel und Union haben CDU und CSU daher für gescheitert erklärt. Angesichts dieser Sachlage und ihrer Brandmauer gegenüber der AfD bleibt ihnen für die Realisierung einer Rückkehr zu Artikel 16a einschließlich Grenzschließungen aller Voraussicht nach nur das neulinke BSW als Koalitionspartner übrig, sollte die Union bei der nächsten Bundestagswahl wie gewünscht wieder vorne liegen.
Festzuhalten ist daher: die Wahlerfolge der AfD (und neuerdings auch des BSW) haben inzwischen dazu geführt, dass nicht nur in den beiden Unionsparteien, sondern selbst in Teilen der Ampelkoalition die Bereitschaft steigt, den seit rund zehn Jahren eingeschlagenen, rechtswidrigen Irrweg einer Einwanderungspolitik via Asyl zumindest teilweise zu verlassen und zu einer etwas restriktiveren Asyl- und Migrationspolitik mit schärferen Kontrollen an den deutschen Außengrenzen, sporadischen Zurückweisungen und sogar Inhaftierungen zurückzukehren. Sie übernimmt dafür in abgeschwächter Form Forderungen der AfD, die vor allem die Grünen und die SPD seit Jahren als rechtsextrem denunziert und bekämpft haben.
Die AfD muss sich keine Sorgen machen
Die AfD regiert insofern in der Asylpolitik, obwohl sie nicht mit am Kabinettstisch sitzt, in Berlin indirekt schon mit. Gleichzeitig werden alle Ampelparteien wie auch die beiden Unionsparteien nicht müde, zu betonen, mit dieser neurechten Partei niemals regieren und noch nicht einmal sprechen zu wollen. Mit diesem Vorgehen verhelfen sie der AfD wider Willen in eine ausgesprochen komfortable Lage. Nicht nur deren bisherigen Wähler registrieren nämlich sehr wohl, dass allein sie mit ihrem Kreuz bei der AfD den asylpolitischen Richtungswechsel bei den etablierten Parteien ausgelöst haben, den diese allerdings nicht aus innerer Überzeugung, sondern aus bloßer parteitaktischer Not vollziehen. So etwas übersehen und vergessen Wähler nicht. Vielmehr lernen sie, wie man Politik auch beeinflussen kann, indem man Parteien, die über Jahre eine Art Kartell zur Verhinderung eines demokratisch ausgetragenen, politischen Wettbewerbs bei einem in der Wählerschaft höchst umstrittenen Thema gebildet haben, Stimmen, Mandate und damit auch Gelder entzieht.
Die AfD muss sich von daher keine Sorgen machen, die Wähler würden ihr wieder den Laufpass geben, da nun die etablierten Parteien ihre asylpolitischen Forderungen mehr oder weniger übernehmen und in praktische Politik umsetzen wollen. Zugleich muss sie auch keine Verantwortung dafür übernehmen, sollte die Umsetzung ihrer Forderungen durch andere Parteien schlecht bewerkstelligt werden oder möglicherweise nicht das bewirken, was sich ihre Verfechter von ihnen versprechen. Verantwortlich bleiben allein die etablierten Parteien, solange die AfD nicht als Regierungspartei unter Beweis stellen muss, eine bessere Asyl- und Migrationspolitik nicht nur verkünden, sondern mit eigenen Maßnahmen auch erfolgreich betreiben zu können.
Der Ansatz, einer demokratisch gewählten Partei trotz ihrer Wahlerfolge jegliche Zusammenarbeit in Regierung und Opposition zu verweigern und gleichzeitig einen Teil des Kernbestands ihrer politischen Forderungen einfach zu übernehmen, um sie so wieder zum Verschwinden zu bringen, dürfte sich für die etablierten Parteien daher schon bald ebenso als Fehlschlag erweisen wie der jahrelange Versuch, sie mit der Nazi-Keule zu besiegen. In welchem Ausmaß außer der AfD auch das asylkritische Start-up BSW daraus bei den nächsten Wahlen zusätzlichen Honig zu saugen vermag, muss sich erst noch zeigen.
Prof. Dr. Roland Springer studierte in Deutschland und Frankreich Soziologie und promovierte im Bereich Arbeit und Organisation. Nach mehrjähriger Forschungstätigkeit an den Universitäten Darmstadt und Göttingen arbeitete er viele Jahre als Führungskraft in der Daimler AG. Er leitet eine eigene Beratungsfirma, ist Autor mehrerer Bücher und lehrte bis zu seiner Pensionierung als außerplanmäßiger Professor an der Universität Tübingen.