Dirk Maxeiner / 19.07.2008 / 09:22 / 0 / Seite ausdrucken

Arme Alphatiere

Von Maxeiner & Miersch erschienen in DIE WELT vom 18.07.2008

Christian Wulff will kein „Alphatier“ sein. Verwundert schütteln die Beobachter den Kopf über sein Bekenntnis: „Mir fehlt der unbedingte Wille zur Macht.“ Warum outet sich ein erfolgreicher Politiker plötzlich als Sensibelchen? Eine mögliche Erklärung lieferte Wulff selbst: „Lustgewinn habe ich auf anderen Feldern.“ Das ist er ganz nah an den Erkenntnissen der Zoologie, aus der ja auch der Begriff „Alphatier“ stammt. Entgegen der früheren Annahme, dass der ranghöchste Affe den größten Erfolg bei den Weibchen hat, haben Wissenschaftler in jüngster Zeit herausgefunden: Alphamännchen werden von ihren weniger machtgierigen Geschlechtsgenossen ausgetrickst. So nutzen rangniedere Rhesusaffen jede Gelegenheit, um sich heimlich mit den Weibchen zu vergnügen. Klugerweise verhalten sich die weiblichen Affen bei diesen Affären viel leiser, als wenn sie mit dem Hordenchef kopulieren. Würzburger Wissenschaftler ermittelten durch Gentests die Herkunft der Nachkommen von Perugia-Kärpflingen, einer kleinen Fischart. Ergebnis: Kein einziger Jungfisch stammte von einem dominanten Männchen ab. Die armen Alphas mussten von früh bis spät ihren Rang verteidigen. Fische mit niedrigerem Rang zeugten dagegen die Mehrheit der Nachkommen. Denn sie wendeten nur fünf Prozent ihrer Zeit für Konkurrenzkämpfe auf und versuchten den Rest des Tages, die Weibchen zu betören.

Nachkommen sind die Währung der Evolution. Wer möglichst viele hinterlässt, hat im darwinschen Wettbewerb gewonnen. Rangniedere Affen und Fische siegen also dort, wo es drauf ankommt. Auch Weibchen haben übrigens mehr Reproduktionserfolg, wenn sie sich nicht nach ganz oben kämpfen. Weibliche Anubispaviane, die sich einen Spitzenplatz in der Gruppenhierarchie erobern, kriegen oftmals weniger Junge als der Durchschnitt. Offenbar ist der Kampf um die soziale Position mit solchem Stress verbunden, dass die Fortpflanzungsfähigkeit verkümmert.

Und noch eine andere Wissenschaft gibt Wulffs Bekenntnis zum Betadasein recht: die Psychologie. Der Schweizer Psychiater Gerhard Dammann und der amerikanische Psychologe Paul Babiak stellten fest, dass im Alphagehege des Menschenzoos schwere seelische Störungen besonders häufig vorkommen. Der Anteil von psychisch kranken Menschen, sagen die Experten, sei in Chefetagen signifikant höher. Für Führungsaufgaben stellten große Konzerne bevorzugt pathologische Narzissten ein, denn die Krankheit würde genau jene Eigenschaften verstärken, die dort gewünscht sind. „Jeder denkt“, sagt Babiak, „sie hätten Visionen.“ Die Auswahlverfahren seien zu sehr an den vermeintlichen Stärken der Ellenbogenmenschen orientiert und würden ihre Schwächen ignorieren. Angesichts dieser Erkenntnisse erscheint Wulffs Bekenntnis weise. Man sollte jetzt seinen weiteren Reproduktionserfolg im Auge behalten.

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