Klaus Alfs
Der Philosoph Leonard Nelson (1882-1927) sah die Achtung vor den Rechten der Tiere als “untrüglichen Maßstab für die Rechtlichkeit des Geistes einer Gesellschaft” an. Mahatma Gandhi meinte: “Die Größe und den Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt”. Vegetarier und Veganer betrachten sich gerne als Avantgarde der Zivilisation; eifrig zitieren sie Behauptungen wie die von Nelson oder Gandhi, um als Vorboten einer besseren Welt zu erscheinen. Menschen, die ohne schlechtes Gewissen in Steaks, Bouletten oder Bratwürste beißen, gelten ihnen als rückständige Exemplare des Homo sapiens.
Doch solches Eigenlob stinkt zum Himmel. Dass sich die sittliche Qualität einer Gesellschaft daran messen lassen könne, wie pfleglich sie mit Tieren umgehe und wie stark deren rechtliche Stellung sei, ist ein historisch längst widerlegtes Ammenmärchen. Denn keine “Nation” zuvor hat Tiere rechtlich besser gestellt und besser behandelt als das nationalsozialistische Deutschland. Wie der in Harvard lehrende Historiker Daniel Jütte schreibt, war es das Ziel nationalsozialistischer Politik, den “Stand der Tierschutzgesetzgebung in einem Lande als Gradmesser für die Kulturstufe eines Volkes [...] etablieren.”
Mit dem Reichstierschutzgesetz vom 24. November 1933 trat das bis dahin umfassendste Tierschutzgesetz der Welt in Kraft. Es “verbesserte die Rechtsstellung des Tieres mithin erheblich”, resümiert der Rechtshistoriker Winfried C. J. Eberstein in einer vergleichenden Studie. Die Präambel legte erstmals gesetzlich fest, dass Tiere um ihrer selbst willen zu schützen seien. 1934 folgte das Reichsjagdgesetz, ein Jahr später das Naturschutzgesetz, 1937 wurden Tiertransporte rechtlich geregelt.
Diese Gesetze verschafften den Nationalsozialisten weltweites Ansehen. Hitler, der sich als oberster Tierschützer Deutschlands verstand, erhielt 1934 von der Eichelberger Humane Award Foundation in Seattle (USA) die Goldmedaille für seine besonderen Verdienste um den Schutz der Tiere. Der deutsche Botschafter in New York nahm im selben Jahr von einem Komitee gegen Tierversuche eine Ehrenurkunde für Hitler entgegen. 1935 wurde das Reichstierschutzgesetz bei der internationalen Tierschutzversammlung in Brüssel als Meilenstein gefeiert. Auch das Reichsjagdgesetz galt als das beste der Welt.
Nimmt man Gandhis Zitat ernst, müsste man “untrüglich” zu dem Schluss kommen, dass Hitlerdeutschland damals die größte und fortschrittlichste Nation der Erde war. Die Nazis werteten Tiere nicht nur juristisch höher, als es in anderen Staaten je üblich war; sie sorgten auch für die konsequente Umsetzung ihrer Gesetze auf allen gesellschaftlichen Ebenen. “Die Misshandlung und Quälerei von Tieren wurde bis tief in die Kriegszeit vom Staatsapparat streng verfolgt und geahndet. Teilweise befasste sich sogar das Militär mit dem Tierschutz”, stellt der Rechtshistoriker Stefan Dirscherl fest.
Es gab damals Tieranwälte, die als Interessensvertreter der Tiere agierten; Blockwarte wurden bei Verstößen gegen den Tierschutz ebenso zur Denunziation angehalten wie Kinder, die jede Misshandlung ihren Eltern oder direkt der Polizei melden sollten. Für besondere Verdienste ums Tierwohl gab es die “Adolf-Hitler-Medaille” mit dem schönen Eintrag: “Adolf Hitler – ich bin ein entschiedener Gegner der Tierquälerei”.
Den Nationalsozialisten war es sehr wichtig, den Tierschutz durch “Volksaufklärung” gesellschaftlich zu verankern, damit er aus innerer Überzeugung von allen “Volksgenossen” beherzigt werde. Mit Plakaten, Postkarten, Merkblättern, in Wochenschauen und Rundfunkbeiträgen wurde die “gute Sache” vorangetrieben. Für die Kinder gab es u.a. den “Reichstierschutzkalender”, der bunte Bilder und Geschichten rund ums liebe Mitgeschöpf enthielt. Ab 1938 wurde der Tierschutz als Unterrichtsfach an Schulen eingeführt. “Da der Tierschutz für den Nationalsozialismus eine ethische Frage war und die kulturelle Stufe eines Volkes anzeigte, war der Tierschutz auch in der HJ besonders wichtig. Die Jugend sollte das Tier als ‚beseeltes Mitgeschöpf’ erkennen, welches ‚keine Sache’ sei”, schreibt Dirscherl.
Fast alle Nazi-Größen sympathisierten mit dem Vegetarismus. Goebbels hielt den Fleischverzehr für eine “Perversion des modernen Menschen”; Heß, Himmler und Hitler waren praktizierende Vegetarier. Himmler ließ in Dachau Versuche an Häftlingen mit veganer Ernährung durchführen, um die Überlegenheit der Pflanzenkost zu beweisen. Die Jagdleidenschaft von Reichsjägermeister Göring stieß bei seinen Mitstreitern auf nahezu einhellige Ablehnung. Hitler hielt die Jagd schlichtweg für Mord und duldete sie nur aus “ökologischen” Gründen.
Das Wort “Konzentrationslager” tauchte öffentlich erstmals im Zusammenhang mit dem Tierschutz auf. Göring hatte 1933 als preußischer Ministerpräsident alle Tierversuche verboten. Wer sich nicht daran hielt, sollte unverzüglich in ein Konzentrationslager überführt werden. Hitler wollte ursprünglich alle Tierversuche im Reich verbieten lassen, musste dann aber Konzessionen an ökonomische und medizinische Notwendigkeiten machen. Versuche an höher entwickelten Tieren (Pferde, Hunde, Affen, Katzen) wurden jedoch nur gestattet, wenn “durch Versuche an anderen Tieren der beabsichtigte Zweck nicht erreicht werden kann.” (§ 7 Abs. 5) Im Vergleich zum neuen Tierschutzgesetz der Bundesrepublik (1972) bedeutete dies eine strengere Reglementierung.
Die Tierliebe der Nazis war genauso echt wie ihr Rassenhass. Viele Historiker scheinen sich mit diesem Gedanken nicht abfinden zu können. Die Historikerin Edeltraud Klueting meint etwa, dass “die menschenverachtende Ideologie des NS-Staates unter dem Deckmantel des Tierschutzes versteckt wurde.” Dies verfehlt jedoch den Kern der Sache: Die Nazis haben ihre Ideologie keineswegs unter dem Deckmantel des Tierschutzes versteckt, sondern letzteren mit ersterer verbunden. Dass der Tierschutz allein propagandistischen Zwecken gedient und nicht auch den Überzeugungen der Nazis entsprochen habe, ist angesichts der Fakten eine unhaltbare These, welche nur die Ratlosigkeit der Wissenschaftler widerspiegelt. Tier- und Naturschutz waren keine Fremdkörper, sondern integrale Bestandteile nationalsozialistischer Politik.
Der überwältigen Mehrheit der damaligen Tierschützer waren Blut-und-Boden-Ideologie und Judenhass entweder gleichgültig oder gerade recht. Ihr Widerstand nahm sich insgesamt ebenso gering aus wie bei den meisten anderen Gruppierungen Deutschlands. Bereits vor der “Gleichschaltung” ließen sie sich willig von den “schlagkräftigen” Nazis vereinnahmen. Spätestens nachdem Benito Mussolini 1930 ein Gesetz zur Einschränkung der Tierversuche erlassen hatte, “war ein Großteil der deutschen Tierschützer bereit, mit der NSDAP zusammenzuarbeiten und sich politisch von ihr vertreten zu lassen, um dadurch eigene Ziele zu verfolgen.” (Dirscherl)
Die intensive “Volksaufklärung” in Sachen Tierschutz wirkt bis heute nach: Der deutsche Vegetarierbund (Vebu) zitiert z.B. den Kirchenkritiker Karlheinz Deschner mit dem Satz “Wer Tiere isst, steht unterm Tier”, ohne zu erkennen, dass diese Formulierung der Nazi-Definition vom “Untermenschen” entlehnt ist. So wurden im Nationalsozialismus vor allem die “tierfeindlichen” Juden bezeichnet. “Untermenschen” standen moralisch nicht zwischen Mensch und Tier, sondern unterhalb des Tieres und konnten deshalb vernichtet werden. Deschner überbietet die Nazidefinition sogar noch, indem er sie von den Tierquälern auf alle Fleischesser ausweitet. Eine abscheuliche Entgleisung.
Milliarden Menschen sind weltweit von der Tierhaltung abhängig; vor allem in armen Regionen wie Afrika haben sie oft gar keine Alternative. Die Organisation “Tierärzte ohne Grenzen” stellt auf ihrer Homepage fest: “Weltweit leben viele Menschen von der Tierhaltung, allein in Ostafrika sind es 24 Millionen. Ackerbau ist dort in vielen Regionen aufgrund der klimatischen Bedingungen nur in sehr begrenztem Umfang möglich, sodass Nutztiere wie Rinder, Ziegen, Schafe, Kamele und Hühner den Menschen geben, was sie zum Leben brauchen. Häufig bilden Milch, Eier und Fleisch bis zu 60% ihrer täglichen Nahrung.” All diese Menschen werden von Deschner und dem Vegetarierbund zu Untermenschen erklärt, weil sie Fleisch essen. Mehr Verachtung ist kaum möglich.
Der Vegetarierbund distanziert sich kraft seines Leitbildes zwar vollmundig “von allen extremistischen, wie z. B. von rechtsradikalen Positionen, Organisationen und Parteien.” Zugleich prangt aber auf der Vebu-Homepage ausgerechnet unter der Rubrik “Tierschutz konsequent” jener Gandhi-Satz über die Größe und den Fortschritt einer tierlieben Nation. Konsequenz scheinen die Prediger des Fleischverzichts immer nur von anderen zu fordern; für die krassen Widersprüche ihrer einfältigen Obst- und Gemüsereligion sind sie hingegen gänzlich blind. Wenn nämlich Gandhi Recht hat, erscheint die verbale Distanzierung von “rechtsradikalen Positionen” unglaubwürdig. Dann müsste der Vegetarierbund das “Dritte Reich” loben und Neonazis willkommen heißen. Wenn aber Gandhi Unrecht hat, sollte der Vebu ihn nicht zustimmend zitieren. Dann müsste jegliche Selbstbeweihräucherung unterbleiben, weil es keinerlei menschliche Vorzüglichkeit bewiese, Blumenkohl statt Braten zu essen.
Um ihrer Selbsttäuschung nicht gewahr werden zu müssen, bedienen sich Vegetarier und Tierrechtler eines einfachen Tricks: Alles, was ihrem Selbstbild zuwiderläuft, wird als “nicht echt” bezeichnet. Hitler war gar kein “echter Vegetarier”, weil er Eier aß; die Tierliebe der Nazis sei “unecht” gewesen, weil sie nur bestimmte Arten und Rassen bevorzugt hätten etc. etc. Dies trifft jedoch auf jeden x-beliebigen Vegetarier und Tierrechtler von heute zu. Alle sind in irgend einer Weise inkonsequent; alle bevorzugen bestimmte Arten. Ob man nun z.B. Ratten noch als Ungeziefer bezeichnet, wie Göring, oder ob man sie zu empfindsamen Wesen erklärt, wie es die Tierrechtler tun: Getötet werden müssen sie in jedem Fall. Gerade um die Lieblingsspeisen der Vegetarier (Getreide, Hülsenfrüchte) zu sichern, müssen Nagetiere massenweise vernichtet werden. Es kann den emsigen Nagern also herzlich egal sein, ob ihnen vorm qualvollen Vergiftungstod noch große Portionen Scheinheiligkeit in die Köder gegeben und Oden an die Mitgeschöpflichkeit gedichtet werden. Um die faktische Bevorzugung bzw. Benachteiligung bestimmter, auch hochentwickelter Arten kommen Tierethiker und Vegetarier genauso wenig herum wie Fleischkonsumenten, wollen aber davon partout nichts wissen.
Das tierethische Lippenbekenntnis, man wolle Menschen nicht abwerten, sondern lediglich Tiere aufwerten, gab es schon bei den Nazis. Auch heute ist diesem Bekenntnis nicht zu trauen. “Völker”, welche nicht am Vegetarierwesen genesen wollen, gelten jener Logik entsprechend ebenso als “Untermenschen” wie schächtende Juden und Moslems. Angesichts ihrer entspannten Haltung zum Tier bemerkte der britische Popmusiker und Veganer Morrissey vor ein paar Jahren: “Man kann nicht anders, als das Gefühl zu bekommen, dass Chinesen Untermenschen sind”.
Jäger, Landwirte, Metzger oder Wissenschaftler, die Tierversuche machen, stehen bei vielen “ethischen Vegetariern” inzwischen auf derselben Stufe wie Kinderschänder oder sogar noch darunter. “Es gibt nichts Widerlicheres als ordinäre Fleischfresser im Konzertsaal und Restaurant”, tönt der populäre, vom Vegetarierbund hofierte Tierrechtler Helmut F. Kaplan. “Sie simulieren Moral, obwohl sie meilenweit unter jedem Kinderschänder und Massenmörder stehen.”
In der Simulation von Moral werden es die “ordinären Fleischfresser” jedoch niemals so weit bringen wie ordinäre Pflanzenfresser, die ihre Menschenverachtung mit Ethik verwechseln. Sie sind keineswegs die Avantgarde der Zivilisation, sondern Vorboten einer neuen Barbarei. Je mehr Menschen auf ihre Selbstinszenierung hereinfallen, desto schlimmer für die Gesellschaft.
Klaus Alfs ist ausgebildeter Landwirt und Diplom-Sozialwissenschaftler. Im November erscheint im Hirzel-Verlag das von ihm zusammen mit Udo Pollmer und Georg Keckl verfasste Buch ‘Don’t go Veggie’ - eine umfassende, allgemeinverständliche Kritik vegetarischer und tierrechtlicher Ideologien.
Zuerst erschienen auf der Website des Deutschen Arbeitgeberverbandes