Bernhard Lassahn / 20.01.2010 / 19:22 / 0 / Seite ausdrucken

Argumente auf Rezept

Ich bin ein Freund von ‚Schotts Sammelsurium’ und gehöre tatsächlich zu den Lesern, die das Buch von vorne bis hinten durchgelesen haben. Es ist einfach zu komisch. Ich weiß nicht genau, worin der Witz liegt, aber das heillose Nebeneinander hat mich immer wieder zum Lachen gebracht: Da stehen meldepflichtige Krankheiten neben Todesarten burmesischer Könige; es gibt Listen von Schutzheiligen, Primzahlen und Weltwunder; allen Autos, die in James-Bond-Filmen vorkommen, sowie eine Auswahl von berühmten Belgiern.

Vergnügen bereitet mir auch Oliver Kuhns ‚Alles, was ein Mann wissen muss’, wo ich ein Verzeichnis der Fußballer des Jahres neben einer Liste berühmter Hochstapler und politischer Attentäter finde; die zehn Gebote, neben den zehn ägyptischen Plagen und dem aktuellen Bußgeldkatalog. Aus dem ‚Handbuch des nutzlosen Wissens’ von Hanswilhelm Haefs weiß ich, dass in der Bibel kein einziges Mal das Wort „Katze“ vorkommt; und in dem unentbehrlichen ‚Ein Mann. Ein Buch’ kann ich nachschlagen, wie man Krawatten bindet, Flugzeuge notlandet und sich im Gefängnis richtig benimmt. Das ist immer gut zu wissen und macht mir Spaß.

Die Juxtaposition macht den Jux. Ein wenig davon hatte ich schon in meinem nach ABC geordneten Bücherregal, in dem sich Hans Magnus Enzensberger neben Heinz Erhardt und Groucho Marx neben Karl Marx finden. Aber das sind nur Bücher. Im Internet geht die Party erst richtig los und nimmt kein Ende mehr, der digitale Kramladen hat keine geregelten Öffnungszeiten; je später der Abend, desto zweifelhafter die Gäste. Bei Wikipedia finde ich Glasperlen neben Diamanten; ich kann bei Shakespeare nachschlagen oder ersatzweise nachgucken, wie die Mitglieder, der zu recht in Vergessenheit geraten Popgruppe Tremeloes heißen. Da habe ich endlich wieder das Gefühl, ein gut synchronisierter Zeitgenosse zu sein, verloren im Kosmos der Willkürlichkeit, in einer „schlechten Unendlichkeit“, wie es Hegel vermutlich nennen würde, aber das müsste ich noch mal googeln bzw. googlen (und würde damit womöglich an die Grenzen der Möglichkeiten des neuen Mediums geraten).

Wenn sich herausstellen sollte, dass Wikipedia durch seine Art der Aufbereitung von Informationen nicht ganz unbeteiligt ist an der Förderung der Passiv-Raucher-Panik und der Klimahysterie, sollte einen das zumindest rein theoretisch nicht wundern. Es wird durch so eine Plattform nämlich automatisch eine Weltsicht befördert, die Binärziffern ohne Zusammenhang und Hierarchie nebeneinander stellt und damit einen Monismus nahelegt; eine Sichtweise also, die sich mit dem Gewicht von vielen angehäuften, arbiträren Daten auf eine Ursache beschränkt. Und irgendwann hört der Spaß dann auf.

Man kann auch nicht immer nur Spaß haben. Man muss irgendwann wieder zurück finden zum allgegenwärtigen Jammern und Wehklagen. Ich leide auch. Ich leide unter Selachophobie. So nennt man die Angst vor Haifischen, und die gehört zu den 42 Phobien, die in ‚Schotts Sammelsurium’ aufgeführt werden. Zum Glück leide ich nicht unter Philematophobie (Angst vor Küssen) oder unter Keraunothnetophobie (Angst vor herabstürzenden Satelliten). Aber - so sehr ich das Buch auch schätze - ich vermisse da noch zwei Phobien: die Homophobie und die Islamophobie. Aber vielleicht kommen die in einer Neuauflage dran.

Oder auch nicht. Vielleicht gehören sie gar nicht auf die Liste. Ich habe mich sowieso schon gefragt, was diese Leute, die einem Homo- oder Islamophobie unterstellen, eigentlich erwarten. Sind denn diese Phobien neuerdings heilbar? Kann man die ablegen wie ein T-Shirt, das nicht mehr modern ist? Schickt man beispielsweise die Klaustrophoben kurzerhand zur Behandlung in einen Bergstollen? Schon krabbeln sie wieder raus und verkünden erleichtert: Och, war gar nicht so schlimm!

Und ich dachte immer, mit einer Phobie wäre man ein waschechtes Opfer. Damit wäre man schutzwürdig. Damit könnte man Gleichbehandlung einfordern und sich jegliche Diskriminierung verbitten. Und was ist nun? Nun wird einem eine Phobie als Vorwurf um die Ohren gehauen, als wäre man ein Raucher! Oder haben diese Leute, die so gerne von Phobien reden, da irgendetwas falsch angeklickt und meinen eigentlich etwas anderes?

Es ist schon eine mittelschwere Unhöflichkeit. Aber ich lasse mir das nicht andichten. Denn damit werde ich, ohne dass ich es merken soll, zum Kranken erklärt, und der Phobienkenner spielt den Onkel Doktor ohne Lizenz. Vielleicht sollte ich noch mal in der Liste der berühmten Hochstapler nachgucken, ob sich da Beispiele von falschen Doktoren finden, die sich der Volkshygiene verschrieben haben.

Jedenfalls kann ich von einem, der mir eine Phobie anhängen will, nicht ernsthaft erwarten, dass er auch noch mit guten Argumenten kommt. Höchstens mit teuren Rezepten.  Oder gleich mit der Spritze. Schrecken können sie mich damit allerdings auch nicht. Ich gehöre nicht zu den Leichtmatrosen, die Angst davor haben und sich lieber eine tropische Krankheit anfangen.

Aber ich gehöre auch nicht zu denen, die sich von selbsternannten Hobbychirugen etwas anhängen lassen. Auch keine Krankheiten, die (wie ich schnell noch mal nachgeguckt habe) nicht meldepflichtig sind.

 

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