Stefan Frank / 03.07.2024 / 10:00 / Foto: Montage achgut.com / 13 / Seite ausdrucken

Argentiniens Präsident Milei und das Judentum

Javier Milei ist nicht nur wirtschaftlich bewandert, sondern hat sich bereits viel mit dem Judentum und der Tora auseinandergesetzt. Er versprach sogar, „der israelfreundlichste argentinische Präsident“ zu werden.

Argentiniens Präsident Javier Milei ist römisch-katholisch, aber mit einer sehr engen Beziehung zum Judentum. Im Februar besuchte er Israels Hauptstadt Jerusalem. Dort betete er auch an der Klagemauer. Der Besuch sei Teil seiner spirituellen Reise zum Judentum und seines Strebens nach einem moralischen und kulturellen Wandel in Argentinien, sagte Shimon Axel Wahnish, Mileis persönlicher Rabbiner und seit kurzem Argentiniens Botschafter in Israel, in einem Interview mit der Jerusalem Post.

Er habe Milei am 28. Januar 2022 zum ersten Mal getroffen, so Wahnish, und kannte ihn seinerzeit „als populären Wirtschaftswissenschaftler und Professor“. Milei habe als Kind den Charlton-Heston-Film Die Zehn Gebote von 1956 gesehen und sei von Moses als Menschenführer inspiriert gewesen. Das Interesse am Spirituellen habe sich im Erwachsenenalter fortgesetzt, und als die beiden Männer sich trafen, hätten sie über Gott gesprochen.

Aus dem geplanten 15-Minuten-Gespräch wurde eine zweistündige Diskussion. Im jüdischen Gemeindezentrum, so Rabbi Wahnish, gab es einen Fernseher mit einer Live-Übertragung von der Klagemauer. Wahnish habe Milei gefragt, ob er jemals dort gewesen sei. Als Milei verneinte, hätten sie einander das Versprechen gegeben, die Klagemauer gemeinsam zu besuchen. Es war ein Versprechen, so Wahnish, an das Milei sich „immer wieder erinnerte... Von da an sagte er, er habe einen Rabbiner und einen spirituellen Führer.“

Milei habe begonnen, zum Schabbatmahl zu kommen wie zu einer Familie“ und begonnen, den wöchentlichen Textabschnitt der Tora zu lesen, wobei er „schnell gelernt“ habe. Er habe Fragen zu den Toraabschnitten gestellt und den Rabbi jeweils eine Stunde lang in Textgespräche verwickelt. Wahnish fasste seine Gespräche mit Milei mit einem Zitat des talmudischen Weisen Rabbi Hanina zusammen, der sagte: „Viel habe ich von meinen Rabbinern gelernt, noch mehr habe ich von meinen Kollegen gelernt, aber von meinen Schülern habe ich mehr gelernt als von jedem anderen.“

„Frage der Demut“

Im Hinblick auf Mileis Vorbild Moses erklärte Wahnish, die Einsicht, dass man immer mehr wachsen und lernen müsse, sei eine Frage der „Demut“: „Moses war vor allem deshalb so groß, weil er bescheiden war. Er hatte eine angesehene Position im Palast des Pharaos inne, entschied sich aber zu gehen, um zu sehen, was das Volk fühlte. Viele Politiker haben das Gefühl, dass das Volk ihnen dient – dabei ist es genau umgekehrt. Viele Menschen sehen in ihm die Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise in Argentinien.“

Wirtschaft und Politik, so Wahnish, seien Werkzeuge für moralische Werte. Wer nicht wisse, was richtig und was falsch sei, wer keinen „starken moralischen Kompass“ habe, der sei nicht in der Lage, als Führungspersönlichkeit die richtigen Entscheidungen zu treffen. Mileis wirkliche Revolution in Argentinien, so der Rabbi, sei nicht eigentlich wirtschaftlich und politisch, sondern „kulturell und spirituell“. „Auch wenn man ein hohes Amt bekleidet, ist man in erster Linie ein Mensch. Ein großer Präsident muss ein großes Herz haben.“

Als anderer wichtiger jüdischer Freund Mileis gilt Julio Goldestein, Politiker in Mileis Partei Libertad Avanza. „Im Jahr 2021 begannen wir, uns über bestimmte Fragen zur Tora zu unterhalten, und wir stritten darüber, wer mehr wusste“, sagte Goldestein gegenüber dem jüdisch-amerikanischen Magazin Tablet. „Ich habe gesagt, dass das erste Wirtschaftsprojekt darin enthalten ist, und es war das von Joseph, als er in Ägypten sieben Jahre lang magere Kühe und sieben Jahre lang fette Kühe sah und die Wirtschaftszyklen begriff.“ Milei schicke ihm manchmal Tora-Passagen per SMS, erzählte Goldestein. „Er ist jemand, den ich sehr liebe und den ich regelmäßig konsultiere, und manchmal dauern unsere Gespräche zwei oder drei Stunden. Er regt mich an, sparsam mit der Lektüre der Tora umzugehen.“

Was bedeutet Israel für Milei?

In einem Interview mit Jonatan Viale, einem jüdischen Journalisten in Argentinien, sprach Präsident Milei über seine Bewunderung für Moses: „Wer ist die Person, die ich in der Geschichte der Menschheit am meisten bewundere? Moses. Was war die grundlegende Eigenschaft von Moses? Einzigartige Bescheidenheit. Er war der größte und erste Befreier der Geschichte. Er stellte sich dem Pharao entgegen, was damit vergleichbar ist, dass er sich heute gegen die Vereinigten Staaten, China und Russland gemeinsam zur Wehr setzt. Der Sieg im Krieg hängt nicht von der Anzahl der Soldaten ab, sondern von den Kräften des Himmels.“

Was bedeutet Israel für Milei? „Es ist so wichtig“, sagte er in einem Interview mit dem amerikanischen Journalisten Ben Shapiro, „die Verbindung zwischen Freiheit und Israel zu verstehen, weil sie wesentlich ist. Es ist eine Nation, die die Verbindung zwischen dem Geistigen und dem Körperlichen erreicht hat, und die geistige und materielle Harmonie führt zu Fortschritt.“ Trotz seiner Nähe zum Judaismus hat Milei derzeit nicht vor, zu konvertieren. Im Gespräch mit dem Tablet-Journalisten Martin Sivan beschreibt er seinen Gedankengang:

Wenn Sie Jude sind, weil Ihre Mutter Jüdin ist, sind Sie nicht verpflichtet, sich an die Gebote des Judentums zu halten. Wenn Sie konvertieren, sind Sie dazu verpflichtet. Wenn ich Präsident werde, was werde ich dann am Schabbat tun? Werden Sie sich von Freitag bis Samstag bei Sonnenuntergang vom Land abmelden? Fragen wie diese machen es unvereinbar.“ Nach seiner Außenpolitik gefragt, antwortete er: „Unsere natürlichsten Verbündeten sind die Vereinigten Staaten und Israel. Mit den Kommunisten in Kuba, China und Nordkorea will ich nichts zu tun haben. Was das bedeutet? Treiben Sie Handel, mit wem Sie wollen, aber ich werde diese Beziehungen nicht fördern.“ Milei will die argentinische Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen. Argentinien ist das Land mit den meisten Juden in Lateinamerika und rangiert an fünfter Stelle der jüdischen Bevölkerung außerhalb Israels.

18. Juli: Jahrestag des antijüdischen Terrors

Am 18. Juli jährt sich der LKW-Bombenanschlag auf das Jüdische Gemeindezentrum in Buenos Aires (AMIA). Damals wurde dieses völlig zerstört, 87 Menschen wurden dabei getötet, über hundert weitere verletzt. Es war der schwerste Bombenanschlag in der Geschichte Argentiniens. Als Urheber gilt das iranische Regime. Der argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman führte zehn Jahre lang Ermittlungen, um die Anschläge aufzuklären und die Urheber vor Gericht zu bringen. Er wurde am 18. Januar 2015 von Unbekannten ermordet, nachdem er die argentinische Präsidentin Christina Fernández de Kirchner und ihre Vorgänger beschuldigt hatte, aus Rücksicht auf den Iran die Aufklärung der Anschläge zu verhindern. Am folgenden Tag hätte Nisman diese Vorwürfe einer Parlamentskommission vorstellen sollen.

Laut Nismans 675-seitiger Anklageschrift handelte der Selbstmordbomber Ibrahim Hussein Berro, der den Anschlag auf das AMIA verübte, auf Befehl aus dem Iran. Es war, so Nisman, „eine Entscheidung, die ausführlich diskutiert und letztendlich im Einvernehmen der seinerzeit höchsten Vertreter der iranischen Regierung getroffen wurde, im Kontext einer Außenpolitik, die durchaus gewillt war, Gewalt anzuwenden, um die Ziele der … Islamischen Republik zu erreichen“. Im April 2024 stellte ein Berufungsgericht in Argentinien die Schuld der iranischen Regierung offiziell fest. Argentiniens Regierung hat Interpol gebeten, den derzeitigen iranischen Innenminister Ahmad Vahidi zu verhaften. Er wird verdächtigt, einer der Drahtzieher des Terroranschlags zu sein. Es wird angenommen, dass Präsident Milei am 18. Juli an der Gedenkzeremonie für die Opfer des Anschlags teilnehmen wird.

Einen Tag nach den Massakern und Entführungen vom 7. Oktober 2023 – neun der Toten waren Argentinier – fand in Buenos Aires die zweite Debatte vor der Präsidentschaftswahl statt. Milei erklärte damals seine Solidarität mit Israel und dessen „vollem Recht, sein Territorium gegen Terroristen zu verteidigen“. Kein anderer Kandidat, so Milei, würde in seiner Unterstützung so weit gehen. Er versprach, „der israelfreundlichste argentinische Präsident“ zu werden.

 

Stefan Frank, geboren 1976, ist unabhängiger Publizist und schreibt u.a. für Audiatur online, die Jüdische Rundschau und MENA Watch. Buchveröffentlichungen: „Die Weltvernichtungsmaschine. Vom Kreditboom zur Wirtschaftskrise“ (2009); „Kreditinferno“. „Ewige Schuldenkrise und monetäres Chaos“ (2012).

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

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Holger Kammel / 03.07.2024

Ich hoffe, das wurde so nicht gesagt oder falsch verstanden, Das klingt nach Größenwahn, stünde aber in argentinischer Tradition. Das macht seinen fehlenden Antisemitismus nicht besser.

Franz Klar / 03.07.2024

@Dr. med. Jesko Matthes : “...Bürger dürfen selbstverständlich keinerlei Waffen besitzen. Juden schon gar nicht” .  Das stimmt nicht ganz : “Reizstoffsprühgeräte mit PTB-Prüfzeichen dürfen auch ohne Kleinen Waffenschein von Personen ab 14 Jahren in der Öffentlichkeit mitgeführt werden ...//...mit K.W. auch Signal-, Reizstoff- und Schreckschusswaffen (SRS-Waffen) . Diese müssen mit einem PTB-Prüfzeichen versehen sein” ( Quelle Wikipedia) . Das gilt religionsgruppenunabhängig !

Bernhard tom Dijk / 03.07.2024

Für mich als gläubigen Christ geht am Königtum des Christus/Mashiach Jesus aus Nazareth natürlich kein Weg vorbei oder zurück in die Zeit vor seiner Offenbarung. Allerdings meine ich, die Zeit für uns Christen ist gekommen, sich mehr als bisher auf die ursprünglichen Offenbarungen Gottes an Israel und seine Nachkommen zu besinnen. Auf die jüdische Substanz des christlichen Glaubens, wenn man so will. Die diesbezüglich ambivalenten bis negativen paulinischen Doktrinen mögen einmal vertretbar gewesen sein, um den Glauben an Gott für die nicht-jüdischen Neophyten des Altertums attraktiv zu machen, heutzutage jedoch sollten Christen durch das intensive Studium der originalen Tanakh-Schriften, des Talmud sowie jüdischer Theologie und Weisheit ihren Glauben und ihre Gottesliebe vertiefen und Anleitung für eine gottgefällige Lebenspraxis finden können. Auch die heute zu beobachtenden Aufspaltungen und dogmatischen Verirrungen der zahllosen christlichen Denominationen rufen geradezu nach einer solchen Besinnung. Ob Herr Milei hier eine Art Moses werden kann, wage ich zu bezweifeln, aber vielleicht kann er ja dem einen oder anderen Inspiration werden für eine intensivere Beschäftigung mit den verbindenden Fundamenten jüdischen und christlichen Glaubens.

E Ekat / 03.07.2024

Klingt gut. Kann was werden Masel tov

Helmut Driesel / 03.07.2024

  In Argentinien leben laut Wikipedia etwa 250 000 Juden, also zweieinhalb mal so viele wie in Deutschland. Aber auch mehr als 400 000 Muslime, 300 000 Roma und 500 000 Zeugen Jehovas. Das erklärt vielleicht, warum der Papst Franziskus derzeit eine etwas offenere Weltsicht hat als seine europäischen Kollegen. Was ihn aber nicht davon abhalten könnte, Milei zu exkommunizieren. In meinen Augen kann man nicht Katholik sein und an Jesus Christus als Erlöser glauben und gleichzeitig den alten Lehren von Gottes Zorn und Rachsucht der Rabbiner anhängen. Aber der hat nun wenigstens einen Ort, wohin er fliehen kann, wenn er in Argentinien zum Teufel gejagt wird. Er könnte auch die Juden nach Argentinien einladen, wenn sie aus dem gelobten Land fliehen müssten. Wahrscheinlich die einfachste Methode, zuverlässig einen Aufschwung zu bewirken.

L. Gerwig / 03.07.2024

Der betreffende Anschlag auf das AMIA fand in 1994 statt. Herr Frank wird dieses Datum vielleicht ergänzen. Interessant fand ich Mileis Argument, warum er nicht “rück"konvertiert ins Judentum: dass er dann nicht wie Kinder jüdischer Mütter Regeln ablehnen könne und demzufolge am Sabbat nicht arbeiten. Dazu wäre Herr Broder sicher inspiriert, ein paar Worte mit Augenzwinkern zu verlieren.

Rolf Mainz / 03.07.2024

“Argentiniens Präsident Javier Milei ist römisch-katholisch, aber mit einer sehr engen Beziehung zum Judentum.” Warum “aber”? Die römisch-katholische Kirche dürfte seit rd. 2000 Jahren die Religion mit der engsten Beziehung zum Judentum sein, falls ich nicht irre.

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