„Ich muss sofort zu Ajatollah al-Ozma Abdul Alhazred!“
„Unmöglich! Seine Heiligkeit schläft! Nichts und niemand...“
„Die Situation erlaubt keinen Aufschub! Es geht um ihre Heiligkeit, die Wasir-e Azam!“
Mit diesen Worten stürmte Amir al-mu'minin Aymiran, der Befehlshaber der Gläubigen, an Çorbaci Odabasi, dem Kapi Agasi, vorbei, in das Schlafgemach des Ajatollah...
So atemlos und dramatisch beginnt der neue Historienthriller von Simon Voetschimmel, bekannt durch seine zuvor erschienen Bestseller „Die Nebenfrau, die dem Sultan eine Tochter gebar“, „Der Oberrüdenwärter“, „Die Magd des Knechts“ und „Epistemologie und Nominalismus in der Theorie Kara Nirwans über die Praxis des Suppenverteilens“; alle Bände erschienen in der Edition Phimose.
Der neue Roman spielt im 2. Lockdown (alte Bezeichnung: Sommer) des Jahres 2035. Deutschland ist seit sechs Jahren eine türkisch-arabische Provinz, an deren Spitze Ajatollah al-Ozma Abdul Alhazred (89) steht. Die alltäglichen Regierungsgeschäfte werden weiterhin von Angela Merkel geführt, die seit 2030 den Ehrentitel Hasseki („der Altgediente“) führt. Im Herbst stehen die umfangreichen Feierlichkeiten zum dreißigjährigen Amtsjubiläum statt. Seit mehr als 10 Jahren wurde Hasseki Merkel nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen, doch an jedem ersten Montag eines Monats sendet das völlig und komplett unabhängige Staatsfernsehen eine Ansprache aus dem Haus des Schlüssel-, Tischtuch-, Sorbet- und Kannenwärters (alte Bezeichnung: Kanzleramt). Hasseki Merkel, so die offizielle Verlautbarung ihres Turnacibasi Altmaier-Emin, habe sich aus Respekt vor dem Volk aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, um noch gewissenhafter die Amtsgeschäfte im Dienst von Liebe und Friede führen zu können.
Doch es droht eine Katastrophe, und mit dieser beginnt Voetschimmels Thriller. Was nur wenige Eingeweihte wissen: 2022 ist Hasseki (damals noch Bundeskanzlerin auf Lebenszeit) Merkel an einem verschluckten Fingernagel erstickt. Ein Unglück, das der Bevölkerung, immer noch „Wir schaffen das!“ in den Ohren, um jeden Preis verschwiegen werden muss. Unter höchster Geheimhaltung wird die Kanzlerin tief unter ihrem Amtssitz im Beisein ihrer engsten Mitarbeiter in einer super geheimen Zeremonie bei minus 196 Grad eingefroren und unter Aufsicht eines extra dafür engagierten Teams von Kryonikern des Wigbash Technomedia Cryonics Institute, eine Tochtergesellschaft der Flunker Mediengruppe, eingelagert.
Reden und semi-öffentlichen Auftritte in den Medien werden fortan von Experten mit entsprechender Software als virtuelle Realität erschaffen. Bei den reinen Wortbeiträgen bedarf dies kaum nennenswerten Aufwandes, mit einem Wortschatz von nicht mehr als 500 Wörtern kann alles gesagt werden; mehr würde nur auffallen. Für die Erstellung realistischer Videos bedient man sich der gleichen Software, mit welcher auch Filmfiguren wie der Hulk, die Minions oder die Bewohner des erdähnlichen, fernen Mondes Pandora im Alpha-Centauri-System in „Avatar“ visualisiert wurden.
Alles funktioniert reibungslos, vor allem dank der Mitwirkung chinesischer Ingenieure und Computerspezialisten sowie einiger aus Hollywood abgeworbener Tricktechniker.
An der Erdoberfläche läuft in den folgenden Jahren das von Harvard-Politikwissenschaftler Yascha Mounk einst in der ARD Tagesschau angekündigte „historisch einzigartige Experiment“ ab und entwickelt sich vom anfangs als „zentrales Narrativ in rechtsradikalen Kreisen“ diffamierte, angeblich unsinnige Geplapper („Bei solchen Interviews ist man ein bisschen aufgeregt“, so Mounk sich anschließend rausredend) zum Alltag auf deutschem Boden, und 2029 übernimmt Ajatollah al-Ozma Abdul Alhazred das Amt des Bundespräsidenten von Claudia Roth, da diese als Frau nicht dazu legitimiert ist. Über sie hüllt sich der Schleier des Vergessens.
Für den reibungslosen Ablauf der Transformation absolut unerlässlich sind die regelmäßigen Durchhaltereden und „Auftritte“ der Kanzlerin, welcher trotz einiger Bedenken infolge von unschönen Kollateralschäden immer noch 97,9 Prozent der Bewohner Deutschlands vertrauen. Und daher sind ihr zu Ehren für den 22. November, im 4. Lockdown 2035, kolossale Feierlichkeiten geplant, natürlich mit den seit nunmehr 15 Jahren vorgeschriebenen Abständen von (inzwischen) 150 Metern zueinander.
Doch dann kommt der September. Infolge einer außergewöhnlichen Kälteperiode ist der Stromverbrauch im Lande – er wird seit Jahren mit 100 Prozent Windkraft erzeugt – immens angestiegen. Damit nicht genug – es treten die für seine Speicherung zuständigen Kobolde in einen unbefristeten Streik. Die Folge zeigt sich in der Nacht auf den 11. des Monats: Ein landesweiter Blackout schlägt zu. Sämtliche Kommunikationsmittel fallen aus, aber das Schlimmste: Das Kühlsystem unter dem Kanzleramt (bei den Eingeweihten liebevoll „Uckereuro“ genannt) fällt komplett aus. Da die Tanks der dieselbetriebenen Notstromaggregate seit drei Jahren nicht mehr gefüllt werden durften, ist eine „Kernschmelze“ nicht zu vermeiden, kurz: Die Kanzlerin beginnt aufzutauen...
Mit dieser Botschaft also stürmt Amir al-mu'minin Aymiran, der Befehlshaber der Gläubigen, an Çorbaci Odabasi, dem Kapi Agasi, vorbei, in das Schlafgemach des Ajatollah. Dieser, durch den Lärm aufs Äußerste geweckt und erbost, will Amir al-mu'minin Aymiran nicht zu Wort kommen lassen und gibt seinem anwesenden, stets über ihn wachenden Bostancibasi und den diesen hütenden Bölükbasi ein unmissverständliches Zeichen. Der Kopf muss ab...
Mit atemloser Anspannung habe ich den neue Historienthriller Simon Voetschimmels von der ersten bis zur letzten Seite verschlungen. Man merkt dem Buch bei jedem Wort an, dass der Autor sich bis in kleinste Details in sein Thema eingearbeitet hat. So ist es ihm unter anderem gelungen, an geheimste, technische Informationen über die Kryonik zu gelangen. Dass er in den Danksagungen am Ende der 670 Seiten an erster Stelle Jens Hermann Rabunke erwähnt, ist kein Wunder: Rabunke war einer seiner Informanten aus dem innersten Kreis des Wigbash Technomedia Cryonics Institute und verschwand spurlos nach dem ersten von geplanten zwei Treffen. Folgerichtig hat der Autor die anderen Namen seiner Informanten in der Danksagung geschwärzt. Und Voetschimmel selber ist seit Erscheinen des Thrillers nur noch über Uber zu erreichen.
Vor Kälte nicht zittern. Politthriller.
Simon Voetschimmel
Gebundene Ausgabe: 670 Seiten
Halbseiden, Lesebändchen
ISBN-13: 978-6663130815911
Edition Phimose, Kützelmütz /Maar
27,95 €
And now for something completely different:
And here something even more completely different: