Von Volker Seitz.
Der Kölner „Express“ machte am 15. Januar 2017 mit einem Artikel über den Kölner Chirurgen Dr. Karl-Heinz Moser auf. Berichtet wurde über Mosers Entwicklungshilfe der kleinen Schritte in Ghana. Der Arzt reist jedes Jahr nach Ghana und operiert eine Woche lang vor allem Leisten-, Nabel und Bauchwandbrüche und wird dort als Messias gefeiert. Jede Hilfe, die direkt den Menschen zugutekommt, ist richtig. Ich kenne zahlreiche Ärzte, die vorübergehend in Afrika helfen. Überall, wo es durch Versäumnisse der Regierenden unzureichende Gesundheitsstrukturen gibt, leisten diese Ärzte großartige Arbeit. Allerdings lohnt ein umfassenderer Blick auf das Gesundheitssystem in afrikanischen Ländern.
Afrikanische Eliten lassen Krankenhäuser in ihren Ländern verkommen, qualifizierte Ärzte, Hebammen und Krankenschwestern verlassen die Länder. Sie werden dann teilweise durch Europäer im Rahmen der Entwicklungshilfe mit hoch dotierten Verträgen ersetzt. Wäre es nicht sinnvoller, afrikanisches Gesundheitspersonal aus der Diaspora wenigstens zeitweise für eine Rückkehr in ihr ursprüngliches Heimatland zu gewinnen? Denn europäische Ärzte legen, wie ich beobachtet habe, oft westliche Maßstäbe an. Afrikaner, auch wenn sie schon längere Zeit in Europa leben, kennen die lokalen Besonderheiten, Werte, Traditionen und Machtstrukturen. Soziokulturellen Faktoren wird in der Entwicklungshilfe nicht genug Raum gegeben.
In Ghana gibt es eine geringe Ärztedichte, nämlich nur einen Mediziner pro 10.000 Einwohner, das sind derzeit 2.587 Ärzte. Mindestens genauso viele ghanaische Ärzte arbeiten in Großbritannien. In Frankreich arbeiten mehr Beniner Ärzte als in Benin selbst. Etwa 12.000 Mediziner aus Sub-Sahara sind in den USA zugelassen. Das sind mehr Ärzte, als es derzeit in den Ländern Äthiopien, Ghana, Liberia, Tansania, Uganda, Sambia, Sierra Leone und Simbabwe zusammen gibt. 37 Prozent der in Südafrika ausgebildeten Ärzte arbeiten in OECD-Ländern. Die Migrationsbewegung des Gesundheitspersonals wird in Zukunft zunehmen, wenn afrikanische Regierungen nicht durch bessere Bezahlung (mit speziellen Anreizen für die Arbeit in abgelegenen Gegenden) und Ausrüstung der Krankenhäuser gegensteuern. Der schmerzliche Aderlass, der die meisten Länder in Afrika betrifft, ist gefährlich.
Wer in Afrika nicht zu den Herrschenden gehört, sollte besser nicht krank werden
In allen Ländern, in denen ich gearbeitet habe, gab es zu wenige Krankenhäuser, mangelnde Hygiene in diesen Häusern, administrative Unzulänglichkeiten, mangelhaft ausgebildetes medizinisches Personal, keine Nothilfestationen, kaum Krankenwagen, keine medizinische Hilfe ohne finanzielle Vorleistung, teure Medikamente, die oft durch unsachgemäße Aufbewahrung unbrauchbar werden.
Selbst die größten Krankenhäuser haben nicht immer Strom, fließendes Wasser oder Isolierstationen. Vielen Ländern südlich der Sahara ist gemein, dass Kranke kilometerweit bis zum nächsten Arzt oder Krankenhaus gehen müssen.
Die Summen, die ein Patient zusätzlich bezahlen muss, um gut behandelt zu werden, können sehr hoch sein. Manche nennen das Korruption, andere machen die schlechte Bezahlung des medizinischen Personals dafür verantwortlich. Es gibt kein leistungsfähiges soziales Sicherungssystem. Krankenversicherungen sind mit Ausnahme von Ruanda weitgehend unbekannt oder bestehen nur ansatzweise, wie zum Beispiel in Kamerun.
Die Gesundheit der Bevölkerung wird ruiniert. Viele Menschen sterben an Krankheiten, die problemlos heilbar wären oder durch Vorsorge vermieden werden könnten.
Wer in Afrika nicht zu den Herrschenden gehört, sollte besser nicht krank werden. Staatliche Kliniken sind oft in einem erbärmlichen Zustand. Es fehlt überall an einer grundlegenden Gesundheitsversorgung – nicht weil die Mittel nicht da sind, sondern weil die Regierenden, ihre Beamten und deren Angehörige nicht im eigenen Land behandelt werden. Genolier Swiss Medical Network (GSMN) in der Schweiz ist seit 1970 für medizinischen Tourismus afrikanischer Machthaber bekannt. Wer Genolier in Anspruch nimmt, kann darauf vertrauen, dass der Aufenthalt nicht in den Medien bekannt wird. Im Haushalt einiger afrikanischer Länder sind sogar eigens Mittel für solche Reisen eingestellt. Da gibt es wenig Anreiz, das eigene Gesundheitswesen zu reformieren.
Die ärmsten und schwächsten Zahlen den Preis der kaputten Gesundheitsysteme
Wenn die Eliten selbst krank werden, haben sie eben die Möglichkeit und ziehen es vor, sich in Europa oder den USA behandeln zu lassen. Deshalb sterben auch so viele afrikanische Staatschefs im Ausland:
Guineas Diktator Sekou Touré, 1984 nach einer Herzoperation in Cleveland/Ohio.
Der autokratisch regierende Präsident von Togo, Gnassingbé Eyadéma, 2005 auf dem Flug zur Behandlung in Israel.
Präsident von Sambia, Levy Mwanawasa, 2008 in Paris.
Präsident von Gabun, Omar Bongo, 2009 während einer Behandlung in Barcelona.
Premierminister Zeles Zenawi von Äthiopien 2012 in einem Brüsseler Krankenhaus.
Staatspräsident Malam Bacai Sanha von Guinea Bissau 2012 in dem französischen Militärkrankenhaus Val-de-Grace bei Paris.
Der sambische Präsident Michael Sata 2014 im King Edward VII Hospital in London.
Die jahrelange Vernachlässigung der Gesundheitssysteme bezahlen wieder einmal die Ärmsten und Schwächsten. Dabei hatten 2001 alle Regierungen des Kontinents in Abuja versprochen, mindestens 15 Prozent des Staatshaushalts in die Gesundheitsversorgung der Bürger zu investieren. Nur Ruanda, Burkina Faso und Südafrika haben das auch getan.
Wie eine Studie des afrikanischen Meinungsforschungsinstituts afrobarometer ergibt, die in 36 afrikanischen Staaten durchgeführt wurde, hat rund die Hälfte der Menschen keinen oder nur unzureichenden Zugang zu einer Gesundheitsversorgung. Den besten Zugang zu ärztlicher Versorgung haben die Menschen in Mauritius, Botswana und Kap Verde. Das dürfte kein Zufall sein, da diese Länder seit vielen Jahren gut regiert werden.
Ruanda könnte ein Vorbild sein
Gesundheit ist eine lebenswichtige Grundlage für die Entwicklung eines Landes. Kinder sterben an vermeidbaren Krankheiten, weil ländliche Krankenstationen verfallen. Es gibt zu wenige Gesundheitszentren in Afrika, so dass Patienten weite Entfernungen in Kauf nehmen müssen. Die Mütter- und Kindersterblichkeit wäre viel geringer, wenn die Eliten, die mit Geldern aus der Staatskasse und aus anderen Quellen finanziell gut gepolstert sind, zur Geburt ihrer Kinder nicht westliche Kliniken aufsuchen würden.
Afrikanische Staaten müssen endlich reagieren und zeigen, dass sie den Braindrain umkehren möchten und die Gesundheitssysteme verbessern, indem sie in medizinisches Personal investieren.
Ruanda könnte ein Vorbild sein. 90 Prozent der Ruander sind krankenversichert und haben Zugang zu einer einfachen Gesundheitsversorgung, die Geburtenrate ging von sechs Kinder pro Frau auf vier zurück, die Bürger bekommen Ausweise, Geburtsurkunden oder andere wichtige Dokumente inzwischen in ihrer Nähe. Gesundheits- und Bildungseinrichtungen werden überall im Land gebaut, und nicht nur im Dorf eines allmächtigen Ministers, wie das in anderen Staaten üblich ist. In keinem anderen Land Afrikas gibt es bisher eine flächendeckende Krankenversicherung.
Und der Westen? Schickt Ärzte und finanziert das absurde System mit. Gesundheitswesen, Bildung und Landwirtschaft sind bevorzugte Domänen der internationalen Spender. David Van Reybrouck zitiert in seinem Buch „Kongo“ (2010, deutsch 2012, S. 559) den Präsidenten Kabila. Er soll gesagt haben: „Ich kann Champagner-Partys feiern, eine NGO wird schon wieder ein Krankenhaus gründen.“
Volker Seitz war von 1965 bis 2008 in verschiedenen Funktionen für das deutsche Auswärtige Amt tätig, zuletzt als Botschafter in Kamerun, der Zentralafrikanischen Republik und Äquatorialguinea mit Sitz in Jaunde. Er gehört zum Initiativ-Kreis des Bonner Aufrufs zur Reform der Entwicklungshilfe und ist Autor des Buches „Afrika wird armregiert“, das im Herbst 2014 in erweiterter siebter Auflage bei dtv erschienen ist. Volker Seitz publiziert regelmäßig zum Thema Entwicklungszusammenarbeit mit Afrika und hält Vorträge.