Thilo Sarrazin / 17.08.2016 / 09:52 / Foto: Patricia Ilizaliturri / 21 / Seite ausdrucken

Kopf in den Sand: Und jetzt alle!

In den letzten Wochen erlebte Deutschland drei Terroranschläge, zwei davon durch Asylbewerber mit islamistischem Hintergrund. Es erlebte, wie Erdogans Zivilputsch, der dem gescheiterten Militärputsch folgte, mit seinen Massenverhaftungen und Säuberungen die türkischstämmige Minderheit in Deutschland spaltete. Über 30.000 Deutschtürken demonstrierten in Köln in einem Meer von roten türkischen Fahnen und jubelten dem türkischen Sportminister zu, der dort sprach. Erdogan war empört, dass er nicht per Großleinwand zugeschaltet werden durfte.

Deutlich wurde: Es gibt Millionen Türkischstämmige in Deutschland, die sich eher der türkischen Halbdiktatur als der deutschen Demokratie verpflichtet fühlen. Die eingeschüchterten türkischstämmigen Aleviten und Kurden demonstrierten naturgemäß nicht. Ebenso wenig die Anhänger der Gülenbewegung. Viele türkischstämmige Deutsche hielten mutig dagegen, z.B. der Grünen-Chef Cem Özdemir oder die Schriftstellerin Necla Kelek. Sie berichtete von ihrer jüngsten Türkeireise, dass mittlerweile Frauen, die das Kopftuch nicht tragen, häufig auf den Straßen beschimpft und bedroht werden.

Türken leben seit einem halben Jahrhundert in Deutschland. Allenfalls die Hälfte ist aber wirklich hier angekommen und hat die liberalen und demokratischen Werte des Westens innerlich angenommen. Auch erleichterte Einbürgerungen und Möglichkeiten zur doppelten Staatsbürgerschaft haben daran nichts geändert. 2010 hatte Angela Merkel noch gesagt: Multikulti ist gescheitert. Die Türken in Deutschland liefern jetzt dazu den aktuellen Beweis.

Es wird nicht gerüttelt

Aber ob Angela Merkel die damalige Aussage wohl noch einmal wiederholen würde? Wohl kaum. Sie würde damit ja zugleich ihre Politik der offenen Grenzen kritisieren. An dieser aber will sie nach wie vor nicht rütteln. Ihre Sommerpressekonferenz stand ganz unter dem Eindruck der Ereignisse in der Türkei und der Terroranschläge. Ihr Neunpunkteplan enthielt nichts Neues. Die von ihr geforderte Verstärkung der Polizei wird in Bayern von ihrem Widersacher Horst Seehofer längst ins Werk gesetzt. Selbst Linkspartei und Grüne wollen mittlerweile die Polizei verstärken. Diese Forderung - so richtig sie ist - ist zum gemeinsamen Nenner all jener geworden, die an der Flüchtlings- und Einwanderungspolitik nichts ändern wollen, aber gleichwohl wissen, dass man jetzt irgendwelche Aktionen vorzeigen muss.

Auf der Pressekonferenz bekräftigte Angela Merkel ihre Auffassung, dass jeder, der die deutschen Grenzen erreicht, Asyl oder Schutz als Flüchtling beantragen kann und Anspruch auf ein entsprechendes Verfahren hat, auch dann, wenn er aus einem sicheren Drittland kommt. Würden also die Balkanstaaten, Italien und Österreich erneut dazu übergehen, Flüchtlinge und illegale Einwanderer nach Norden durchzuwinken, so stünden allen Ankömmlingen wie vor einem Jahr erneut die deutschen Grenzen offen. So musste man die Aussage der Bundeskanzlerin verstehen.

Ihr Vertragspartner Erdogan droht mittlerweile damit, die türkischen Grenzen nach Griechenland und Bulgarien erneut zu öffnen, wenn den Türken keine Visafreiheit gewährt wird. Dies wiederum ist durch die Ereignisse nach dem Militärputsch vollends unmöglich geworden. Angela Merkel hat gegenüber einer neuen Flüchtlings- und Migrantenwelle kein Konzept außer der Behauptung, vor einem Jahr Recht gehabt zu haben und immer noch Recht zu haben.

Selbst linksliberale Sympathisanten in den Medien fühlten sich milde irritiert und brachten das in ihren Kommentaren auch zum Ausdruck, als die Bundeskanzlerin ihr Wort "Wir schaffen das" wiederholte und erneut bekräftigte. Sie sprach  von einer "historischen Bewährungsprobe" für Deutschland und überging, dass dieser Bewährungsprobe erst durch ihre Politik der offenen Grenzen entstanden ist.

Die Polizei hatte keine Erkenntnisse

Die Attentate bei Würzburg und in Ansbach waren beide durch junge Asylbewerber begangen worden, die der IS dazu angestiftet hatte. Kein Wort fiel von Angela Merkel dazu, dass diese Attentäter erst durch ihre Politik Deutschland betreten und so lange verweilen konnten. Kein Wort auch dazu, dass zu beiden keine Erkenntnisse der Polizei oder der Nachrichtendienste vorlagen. Das zeigt die engen Grenzen noch so großer Bemühungen um bessere Prävention. Wie immer fiel natürlich auch kein Wort zur inneren Verbindung von Islam und Islamismus und zum gleitenden Übergang zwischen Islamismus und Terrorismus.

Ihre moralische Empörung über die Terrortaten brachte Angela Merkel klar zum Ausdruck. Diese Empörung ist aber wohlfeil und bleibt politisch folgenlos, solange die strukturelle Verbindung des Terrors zur Einwanderung und zum Islamismus tabuisiert wird. Über Sahra Wagenknecht, der Vorsitzenden der Linkspartei, brach ein Shitstorm herein, als sie in vorsichtigen Worten sagte, die Attentate zeigten, dass die Politik der offenen Grenzen Probleme mit sich brächte, die nur schwer zu bewältigen seien. Gregor Gysi verdammte sie mit den Worten,  niemals dürfe ein Politiker der Linken Argumente aus dem  rechten Spektrum verwenden. Das war entlarvend, es soll eben um Gesinnung gehen und nicht um die Wahrheit.

Bei dem Amokläufer von München,  einem achtzehnjährigen Deutschiraner, war in den ersten Stunden nach der Untat noch unklar, was die Tat für einen Hintergrund hatte. Peinlich, dass einige AfD-Politiker voreilig und noch dazu mit triumphierendem Unterton auch hier eine Verbindung zu Islamismus und Flüchtlingspolitik herstellten. Tatsächlich stellte sich heraus, dass der Amokläufer an die Überlegenheit der arischen Rasse glaubte und deshalb Araber hasste. So wurde er flugs, und zur großen Erleichterung aller Linken und Liberalen, dem rechtsradikalen Spektrum zugeordnet.

Der ökumenische Trauergottesdienst für die Opfer des Münchner Amoklaufs wurde dann zum Fest der guten Gesinnung. Der Höhepunkt: Eine junge Muslima im Kopftuch trug einen Text über die Liebe vor. So konnte über die Bildschirme des deutschen Staatsfernsehens die Botschaft flimmern: Der Islam an sich gut, seht die junge Muslima. Böse dagegen sind die Attentäter, und wenn sie sich auf den Islam berufen, kann es sich nur um einen Zufall handeln.

Gäbe es eine olympische Disziplin für "Kopf in Sand stecken", so hätten die Deutschen gute Chancen auf die Weltmeisterschaft.

Zuerst erschienen in der Zürcher Weltwoche

Foto: Patricia Ilizaliturri CC-BY-SA 4.0 via Wikimedia

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Leserpost

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Cathy Kleemann / 18.08.2016

Danke, für dieses Beitrag. Sie haben mal wieder mit allem Recht. Unsere Regierung lebt in einer Scheinwelt, sie denkt es wird schon wieder alles gut, wenn man es nur lange genug wiederholt. Das viele der Flüchtlinge weder unsere Werte, noch unsere Demokratie oder den Rechtsstaat überhaupt anerkennen wollen, will oder kann Frau Merkel nicht verstehen.  Die Mehrheit der Flüchlinge stellt entweder den Islam oder ihren eigenen Clan über den Staat, da brauch man nicht mit Integration kommen.

Oliver Kerner / 17.08.2016

Ich kann mich nur wiederholen: Thilo Sarrazin hatte mit allem Recht, was er 2010 prophezeit hat. Nicht nur das, es ist noch viel schlimmer geworden. 1,1 Millionen Menschen sind teils ohne registriert zu werden im letzten Jahr nach Deutschland gekommen. Und die exakte Zahl ist nicht einmal bekannt. Die Salafisten und ähnliche Gruppierungen freuen sich.

Anna Hofbauer / 17.08.2016

Attentate Woche nach Woche sind Einzelfälle: Wunschdenken! Wir brauchen die Migranten wegen des demographischen Wandels: Wunschdenken! Selbst wenn die erwachsenen Migranten sich nicht integrieren, den Kindern gelingt die Integration sofort: Wunschdenken! Die Flüchtlinge liegen uns nicht auf der Tasche, sie gründen Unternehmen und beleben unsere Wirtschaft: Wunschdenken! Zwischen Terrorismus, Islam und Einwanderung besteht kein Zusammenhang: Wunschdenken! Wir schaffen das: Wunschdenken!

Mareike Suhr / 17.08.2016

Viele Politiker sind Studienabbrecher oder haben nie ordentlich Praxiserfahrung im Berufsleben gesammelt. Positiv an Sarrazin ist, dass er weder Studienabbrecher ist, ordenliche Praxiserfahrung hat und zudem klar, vernünftig und im Interesse unseres Landes denkt. Jeder der von der Integration von unseren etwa 3 Millionen türkischen Nachbarn schwärmt, hat nie richtig mit den Türken zu tun gehabt. Es gibt Integrierte, aber das ist eine Minderheit. Selbst viele, die integriert aussehen, sind es nicht, was man merkt, wenn man länger mit ihnen spricht. Nicht wenige sind für die Todesstrafe und verbieten ihren Schwestern oder Töchtern Sex vor der Ehe. Sarrazin geht am Ende seines Artikels auf den Moment ein, als eine junge Muslima beim Trauergottesdienst über die Liebe spricht. Fast ist es so, als würde sich Deutschland freuen, dass es kein muslimischer Attentäter war und dass man deswegen die Muslima beim Gottesdienst als Zeichen unseres demokratischen Landes präsentieren kann. Mehr “Kopf in den Sand” stecken geht wohl nicht!

Giovanni Köhler / 17.08.2016

Sarrazin bringt es auf den Punkt: Es ist nur noch peinlich, dass die aktuelle Regierung, vor allem Angie, sich weigert,  die strukturelle Verbindung des Terrors zur Einwanderung und zum Islamismus zu thematisieren. Die ist längst von zig Experten bewiesen. Und von grauenvollen Attentaten europaweit! Das nennt man Verdrängung! Aber: Solange das Problem nicht erkannt und angesprochen wird, solange werden wir auch nicht effektiv die Konsequenzen bekämpfen. Auch bei der Analyse des internen Streites zwischen Wagenknecht und Gysi beweist Sarrazin wieder einmal, was für ein hervorragender Denker er ist. Gysi entlarvte sich - es ging ihm nur um political correctness, aber nicht um die realen Gegebenheiten. Wie peinlich! Auf so eine Politik kann ich verzichten!

Maja Schmidt / 17.08.2016

Es geht mir nicht in den Kopf, dass die wenigen klugen und vernünftigen Realpolitiker, die wir haben, nicht aktiver an der Gestaltung von Politik mitwirken. Als Sarrazin sein Buch Deutschland schafft sich ab veröffentlichte, schmiss man ihn aus dem Vorstand der Bundesbank und schickte ihn auch in politischer Hinsicht auf die Hinterbank. Sechs Jahre später sehen wir, welche Folgen es nehmen kann, wenn man auf wichtige Warnrufe nicht hört. Die Regierung, besonders Frau Merkel, sind noch im Modus “Wunschdenken” bzw. “Kopf in den Sand” verhaftet. Das Problem ist nur, dass die größten Leidtragenden von einer solchen Fehlpolitik nicht die Politiker sind, sondern die Bürger dieses Landes. Und alle Nachfolgegenerationen. Auch das wird Sarrazin nicht müde, zu betonen. Ich bewundere seinen Kampfgeist.

Robert Hintermann / 17.08.2016

Millionen Türken in Deutschland sind nicht integriert und legen größeren Wert auf die Religion und einen starken Führer als auf einen demokratischen Rechtsstaat. Obwohl sie seit einem halben Jahrhundert bei uns leben oder sie in Deutschland geboren wurden. Ich tippe mal: Wenn sie das in 50 Jahren nicht geschafft haben, und ihre Kinder und Kindeskinder auch nicht, dann haben sie bei uns nichts verloren. Außerdem leidet unser Bildungssystem an einer massenhaften Einwanderung von Menschen mit weniger entwickelten Fähigkeiten und fundamental anderen Wertevorstellungen. Sarrazin hat auf die Herausforderungen, denen sich Deutschland stellen muss, um seine Stellung als führende Industrienation nicht zu verlieren, stets hingewiesen. Wie kaum ein anderer analysierte er die Probleme, die mit einer zunehmender Heterogenität der Gesellschaft einhergehen: eine Abnahme der Leistungsfähigkeit in der Gesellschaft, eine zunehmende Radikalisierung von Gruppierungen und die Zunahme von bildungsfernen Milieus. Es ist alles so gekommen, wie Sarrazin es gesagt und geschrieben hat.

Lukas Müller / 17.08.2016

Dass Polizei, BKA und Nachrichtendienste in puncto Terrorismusbekämpfung in Deutschland scheitern, hat schlichtweg mit der Naivität der Kanzlerin zu tun. Sie haben alle Merkel deutlich vor den Gefahren einer unkontrollierten Einwanderung gewarnt. Und nicht nur vor den Gefahren einer unkontrollierten Einwanderung. Denn die Gefahren brodeln nicht erst seit Sommer 2015 in Deutschland und im restlichen Europa. Seit Jahrzehnten können sich religiöse fundamentalistische Tendenzen in Deutschland ausbreiten. Der politisch geförderte Islamunterricht, ebenso wie die politisch geförderten Gründungen von Moscheen und so genannten interkulturellen Begegnungszentren dienen weniger der Integration als der Radikalisierung der Generation Allah. Die deutsche Politik kurbelt geradezu die Entstehung von Parallelgesellschaften an. Es ist eine Tragödie, dass Thilo Sarrazins Bestseller Deutschland schafft sich ab zwar über 1,5 Millionen mal verkauft, aber offenbar noch immer nicht von den richtigen Leuten gelesen wurde.

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