Oliver Marc Hartwich, Gastautor / 10.03.2007 / 10:58 / 0 / Seite ausdrucken

Antisemitische Verschwörung?

Seit elf Monaten ermittelt Scotland Yard in der Affäre um angeblich verkaufte Ehrentitel durch die britische Labour-Partei. Dabei ging es um die Praxis, dass Großspender offenbar damit rechnen konnten, für Zuwendungen an die Partei mit einem Officer of the British Empire, einem Sir oder gar mit dem Titel eines Lord (nebst Sitz im britischen Oberhaus) belohnt zu werden. Im Zuge der Ermittlungen wurden gleich mehrere Personen aus dem Umfeld von Premierminister Tony Blair vorübergehend verhaftet, während Blair selbst bereits zweimal von der Polizei vernommen wurde. Zu den zwischenzeitlich Verhafteten gehörten unter anderem Ruth Turner, eine enge Mitarbeiterin Blairs, und Lord Michael Levy, Labours oberster Fundraiser.

Die Situation Levys verschlechterte sich abermals, als die Zeitung Daily Mail in dieser Woche berichtetete, dass Levy Einfluss auf die Vorschlagsliste des Premierministers für Sitze im Oberhaus genommen haben soll. Zitat:

The revelation of Lord Levy’s involvement appears to blow a hole in long-standing claims that he played no part in the official process for awarding honours. It suggests an unaccountable crony was allowed to play a pivotal role in influencing who should be rewarded by the Queen and given a seat in the House of Lords. Lord Levy has insisted until now that his job was simply to raise money for Labour, but that decisions on peerages were a matter for Tony Blair and the Downing Street machine. But it emerged last night that in a meeting inside Number 10, Lord Levy brandished a piece of paper with the names of people he wanted Tony Blair to appoint to the House of Lords. A insider said: “Levy was there when the list was being drawn up and he did not hesitate to suggest who should be on it - and who shouldn’t.”

Im Grunde passt diese Version ins das Bild der bisher bekannt gewordenen Ermittlungen. Als vor zwei Jahren die Ernennungskommission für das House of Lords vier Vorschläge des Premierministers ablehnte, weil es sich um Großspender der Labour-Partei handelte, schrieb Blairs Stabschef in einer später bekannt gewordenen Email, dass Michael Levy über diese Entscheidung nicht glücklich sein dürfte. Es fällt nicht schwer, aus dieser Bemerkung den Schluss zu ziehen, dass es zwischen den Spenden und den Titeln wohl einen Zusammenhang gegeben haben könnte. Wenn auch der konkrete Nachweis über den Verkauf von Lordtiteln schwer zu erbringen ist (schließlich werden über derart illegale Geschäfte in der Regel kaum Akten angelegt), so ist das Bestehen dieser Praxis doch ein offenes Geheimnis in Westminster.

Man sollte nicht vergessen, dass diese Korruptionsaffäre eine Regierung betrifft, die 1997 mit dem Versprechen, sie werde “whiter than white” sein, ins Amt gewählt wurde. Gerade deshalb ist die Öffentlichkeit empört über immer neue Enthüllungen. Wenn es aber einen Aspekt gibt, der in dieser ganzen Affäre bislang überhaupt keine Rolle gespielt hat, dann ist es die Religionszugehörigkeit der beteiligten Personen. Blair ist Protestant mit einer Neigung zum Katholizismus, Ruth Turner ist Katholikin und Michael Levy Jude. “So what?” könnte man meinen, denn in den Anschuldigungen ging es schließlich nicht um das Privatleben von Blair, Turner oder Levy, sondern um Handlungen, die sie in ihren jeweiligen politischen Funktionen vorgenommen haben und mit denen sie möglicherweise gegen geltendes Recht verstoßen haben.

Doch Michael Levy und einige seiner Freunde versuchen derzeit, die Anschuldigungen gegen ihn als antisemitische Kampagne darzustellen. Anti-Semitic forces out to get Levy titelt der heutige Daily Telegraph und berichtet:

The fightback by Lord Levy’s friends continued yesterday with the Jewish Board of Deputies joining the growing clamour that the Labour peer was being undermined in the cash-for-honours affair by anti-Semitic forces.

The editor of the Jewish Chronicle, which has devoted four pages of its present issue to Tony Blair’s personal fund-raiser, joined in by accusing unnamed figures in Downing Street of being happy to see the deliberate scapegoating of the “Jewish money man”.

The carefully choreographed offensive came at the end of another remarkable week in the 11-month police inquiry. An emotional Lord Levy, who has been arrested twice but not charged, issued a statement condemning a series of leaks about the investigation and objecting to trial by media. Yesterday, some of his friends privately questioned the wisdom of the anti-Semitic issue being raised to try to win him support. But even as they denied that Lord Levy was behind it, a spokesman for the Jewish Board of Deputies told The Daily Telegraph that there was concern at the portrayal of the peer in certain sections of the media. The spokesman said: “It is the rich Jew. It is the moneybags thing. Those are historical stereotypes of Jewish people which we must be careful to avoid.”

Mit Verlaub: Das ist Unsinn. Als jemand, der die ganze Cash for Honours-Affäre nun schon seit Monaten mit Interesse verfolgt, ist mir zumindest noch kein Pressebericht aufgefallen, in dem auf Levys Religion Bezug genommen worden wäre. Es wäre den britischen Kollegen gegenüber unfair, ihnen diesen Vorwurf zu machen. Im Gegenteil: Gerade weil es sich um ein laufendes Ermittlungsverfahren handelt, war mein Eindruck, dass sich die Presse insgesamt sehr bemüht hat, sachlich über die immer komplizierter werdende Affäre zu berichten.

Levy beschwert sich also (indirekt, d. h. über seine Freunde) über seine Behandlung in der britischen Presse. Doch damit sucht er sich eigentlich den falschen Adressaten für seine Klage. Levys missliche Lage verdankt er nämlich vor allem der Tatsache, dass Tony Blair ihn öffentlich in dieser Affäre bislang im Stich gelassen hat. Der Kolumnist Richard Littlejohn brachte es auf den Punkt:

Beyond the thicket lies one obvious truth. Tony Blair is a crook who sold knighthoods and peerages in exchange for large sums of money, in direct contravention of a law he passed. As I have always argued, Levy is simply his pimp. Neither Ruth Turner, Levy, Jonathan Powell nor that other Labour muppet whose name escapes me have anything to sell. Honours are the exclusive gift of the Prime Minister.

Dass die Affäre für Blair, Levy und Turner alles andere als angenehm ist, kann man sich vorstellen. Daraus nun aber eine antisemitische Verschwörung machen zu wollen, lenkt vom eigentlichen politischen Skandal ab - und dieser Skandal trägt vor allem den Namen Blair, nicht Levy.

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