Henryk M. Broder / 26.09.2008 / 11:37 / 0 / Seite ausdrucken

Antifa ohne Fa

Erschienen in DIE WELTWOCHE vom 25.09.2008

Je länger das Dritte Reich tot ist, desto beliebter wird der Widerstand dagegen. Wie jüngst in Köln, das eine besonders bizarre Variante des wohlfeilen Heldentums inszenierte.

Artikel 8 des Grundgesetzes für die Bundesrepublik Deutschland bestimmt: «Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln.» Nur Versammlungen «unter freiem Himmel» müssen angemeldet werden, benötigen aber ebenfalls keine Erlaubnis. Seit dem vergangenen Wochenende muss Artikel 8 mit einem Zusatz versehen werden: «Mit Rücksicht auf militante Gegendemonstranten kann eine friedliche Demonstration verboten werden, das Nähere bestimmt die örtliche Antifa in Zusammenarbeit mit der Polizei.» Genau das ist in Köln passiert, einer Stadt, die sich viel auf ihre Gastfreundschaft und Toleranz einbildet. Eine öffentliche Kundgebung, zu der die mit fünf Sitzen im Rat der Stadt vertretene «Bürgerbewegung pro Köln» aufgerufen hatte, wurde kurzerhand verboten - nicht weil die etwa 150 angereisten Teilnehmer randaliert oder gegen irgendwelche Auflagen verstossen hatten, sondern weil eine grosse Koalition, die vom CDU-Oberbürgermeister bis zu autonomen Schlägertrupps reichte, beschlossen hatte, die Kundgebung nicht stattfinden zu lassen - im Namen von Gastfreundschaft, Liberalität und Toleranz. Man habe verhindert, freute sich das Neue Deutschland, dass Köln als «Stadt der Bewegung» in die Geschichte eingeht; «heute ist unsere weltbekannte Toleranz zu Ende», verkündete der Oberbürgermeister, als gäbe er das vorzeitige Ende der tollen Tage bekannt. Und alle waren glücklich.

Wer freilich die Kölner Ereignisse aus sicherer Distanz im Fernsehen verfolgte, der wunderte sich. Von den «Rechtsradikalen», «Nazis» und «Rechtspopulisten», die in Köln gegen die drohende «Islamisierung» demonstrieren wollten, war nur eine Handvoll verlorener Gestalten zu sehen, während sich Hundertschaften maskierter Autonomer Strassenschlachten mit der Polizei (wie letztes Jahr beim G-8-Gipfel in Heiligendamm) lieferten. Wie in einem asynchronen Film lieferten die Bilder ganz andere Informationen als die Tonspur: Da hiess es, aufgrund des beherzten Eingreifens Kölner Bürger sei eine Kundgebung fremdenfeindlicher Rechtspopulisten bzw. Rechtsradikaler bzw. Nazis ins Wasser gefallen. Warum dabei 500 «friedliche» Autonome festgenommen werden mussten, die Polizeiautos angegriffen und Mülltonnen angezündet hatten, blieb ungeklärt.

Nun kann vieles, was in Köln, dem nördlichsten Vorort von Rom, passiert, mit der örtlichen Folklore erklärt werden. Die Kölner feiern gerne, und da es bis zum Beginn der närrischen Saison am 11. 11. noch ein paar lange Wochen sind, ist ihnen jeder Anlass recht, um auf die Strasse zu gehen, zu schunkeln und sich volllaufen zu lassen. Und wenn es nur ein paar «Rechtsradikale» sind, die keiner bemerken würde, wenn die örtliche Antifa nicht zu einer Demo gegen sie aufgerufen hätte. Denn die wichtigste Faustregel der militanten Antifa lautet: Antifaschismus macht nur dort Spass, wo es keinen Faschismus gibt; oder andersrum: je weniger Fa, umso mehr Antifa. Wir haben es also mit einem Akt nachgeholten Widerstands zu tun, der in Deutschland umso beliebter wird, je länger das Dritte Reich tot ist. Die kölsche Variante des wohlfeilen Postheroismus kommt vor allem beim Karneval zum Zuge, wenn jedes Jahr die Legende von der «Narrenrevolte» im Jahre 1935 erzählt wird, als sich der organisierte Kölner Karneval seiner Vereinnahmung durch «Kraft durch Freude»-Funktionäre widersetzte; man habe sich damals nicht gleichschalten lassen. Was insofern richtig ist, als die Gleichschaltung schon früher stattgefunden hat. Beim Karnevalsumzug 1934 fuhr ein «Palästina»-Wagen mit, auf dem Juden mit Handgepäck zu sehen waren: «Die letzten ziehen ab.» Auch die «Büttenreden» und Schunkellieder waren so antisemitisch und völkisch wie der damalige Zeitgeist; der Hitler-Gruss und das Horst-Wessel-Lied gehörten zum närrischen Repertoire wie die Witze über Tünnes und Schäl. Nach 1945 wollte man davon natürlich nichts wissen. Erst im Jahre 2005 erschien das Buch eines Historikers, der die «Kölner Mythen» zerlegte: «Wie sich die Kölner ihre Wahrheit(en) basteln». Und nun wird wieder an einem Mythos gebastelt. Wie ein paar Rechtsradikale in Köln beinah das vierte Reich ausgerufen hätten, wenn ihnen die Kölner nicht in den Arm gefallen wären. Kölle Alaaf!

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