Gute-Gesinnungs-Demonstration mit X-Boykott

Neben wichtigtuerischen Einzelpersonen der ABC-Prominenz sind es zunehmend Organisationen, die ihren Rückzug von X mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für dies & das begründen.

Es ist schon zum Schießen: Wie man früher, als noch Brettspiele gespielt wurden, im Gewahr werden einer sich abzeichnenden Niederlage dem Imperativ des Spiels „Mensch, ärgere dich nicht“ zuwider Brett und Spielsteine vom Tisch fegte, dabei aufsprang, die Arme verschränkte und unter der Ankündigung „Ich spiel nicht mehr mit“ trampelnd das Zimmer verließ, scheint es derzeit immer mehr in Mode zu kommen, die Plattform X unter einem Getöse zu verlassen. Das fällt umso stärker aus, je geringer der Verlust für die Zurückbleibenden ist. Dabei löschen die wenigstens ihre Accounts, vielmehr legen die meisten diese lediglich (vorübergehend) still. Man wolle schließlich wieder zurückkommen, sobald X den eigenen Forderungen nachkommt. In der Regel ist man vorher (und ziemlich schnell) wieder da und begründet das dann damit, dass man den anderen das Feld doch nicht kampflos überlassen wolle. Darunter geht es nie. Pathos und Peinlichkeit sind stets eng beieinander.

Neben wichtigtuerischen Einzelpersonen der ABC-Prominenz sind es zunehmend Organisationen, die ihren Rückzug von "X" (vormals Twitter) mit ihrer gesellschaftlichen Verantwortung für dies & das begründen (vgl. Merkur vom 14.01.25, WDR vom 12.01.25, Der Spiegel vom 09.01.25): Gedenkstätten, Kirchen, Städte, Polizeidienststellen, Bundesliga-Vereine, Gewerkschaften, der Bundesgerichtshof.

Manchmal sind es einzelne Ereignisse, die für sich nichtig und lächerlich sind, aber moralisch aufgeblasen das Fass zum Überlaufen gebracht haben sollen. Elon Musk unterhält sich mit Alice Weidel, ohne vorher bei einer deutschen Gewerkschaft nachzufragen, wie sie das findet, also um Erlaubnis zu bitten. Da ist die Empörung bei den Übergangenen natürlich groß, da zeigt man es dem Elon, indem man seinen eigenen Account stillstellt, mal so richtig. Man zeigt Gesicht, indem man es (auf X) nicht mehr zeigt. Wirkungsvoller als der Boykott Einzelner, ist, so glaubt man, der verabredete Rückzug in der Meute, zu der sich nicht nur Personen (Schriftsteller und andere Intellektuelle), sondern auch Organisationen zusammentun können.

Es geht bevorzugt um Grundsätzliches

Zuletzt machten in diesem Sinne über 60 Hochschulen – darunter zum Beispiel die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, die Freie Universität und Humboldt-Uni aus Berlin, die Universität Frankfurt und die Universität Heidelberg) – mittels sympathisierender Medienberichte (z.B. FAZ, 15.01.2025) auf sich aufmerksam. Und wenn Akademiker protestieren und boykottieren geht es selten um einzelner Anlässe, sondern bevorzugt um Grundsätzliches. Die Hochschulen sehen nämlich ihre eigenen Werte – angeblich: „Weltoffenheit, Transparenz und einen fairen, demokratischen Diskurs“ – von X in Frage gestellt. (Für diese und die folgenden Zitate siehe hier und hier.)

Als wären „faktenbasierte Kommunikation“/Demokratie und Hochschule/Wissenschaft nicht schon ein Widerspruch in sich (Stichwort: Klima, Gender, Corona), unterstreiche der Rückzug der Hochschulen und Forschungsinstitutionen von X laut der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) „ihren Einsatz für eine ‚faktenbasierte Kommunikation und gegen antidemokratische Kräfte.‘“

Enttäuscht über die eigene geringe Reichweite und wohl auch aus Neid auf die größere Reichweite anderer heißt es in dem Statement der FAU so verschwörungstheoretisch wie standardisiert weiter:

„Die Veränderungen der Plattform X – von der algorithmischen Verstärkung rechtspopulistischer Inhalte bis zur Einschränkung organischer Reichweite – machen eine weitere Nutzung für die beteiligten Organisationen unvertretbar.“

Keine Lüge zu doof

Es handelt sich bei den Protestnoten um eine verkehrte Welt der Lügen und Fake News. Transparenz? Elon Musk hat den Quellcode von X vergleichsweise transparent open source veröffentlicht (hier). Daran oder auf anderem Wege hat bisher noch niemand beweisen können, das X eine „algorithmische Verstärkung rechtspopulistischer Inhalte“ betreiben würde (vgl. dazu auch: Berliner Zeitung vom 07.01.25).

Zwar mag die Relevanz/ Bedeutung von Content durch Reichweite zustande kommen und diese sich tautologisch verstärken (viel Reichweite führt zu noch mehr Reichweite), wobei „Populistisches“/Einfaches besser abschneidet als „Reflektiertes“/Komplexes – aber dies betrifft das gesamte Netz und ist auch schon in der analogen Welt so gewesen. Boulevard triumphiert übers Feuilleton, die Bild verkauft sich besser als die FAZ. Man mag dies – auch aus guten, nicht nur elitären Gründen – bedauern, mit Musk und X hat es nichts zu tun.  Auch darauf, dass X manuell rechtspopulistische Inhalte gegen linkspopulistische pushen würde, deutet nichts hin. Anekdotische Evidenz spricht sogar explizit dagegen.

Beispiel: Die linkspopulistische Fake-News-Schleuder Georg Restle, Redaktionsleiter bei Monitor (ARD),postete am 6. Januar 2025 auf X: 

„Shut up, Elon Musk! We don‘t want your fascism in Europe!”

Restle, der bei X 158.000 Follower hat, erreichte mit diesem Beitrag 2,8 Millionen Views. Keine Zensur. Keine Reichweitenbeschränkung. Kein Fake-News-Hinweis der Art, dass Musk kein Faschist sei oder Beleidigungen gegen Regeln verstoßen würden. Viele Kommentare. Zustimmende. Ablehnende. Einer von Malca Goldstein-Wolf:

„Der #ÖRR-Günstling @georgrestle, bekannt auch für seine Israelbesessenheit, will @elonmusk auf seiner eigenen Platform den Mund verbieten. Wie reagiert Musk? Er löscht Restles Kommentar nicht, zeigt anschaulich, wie freie Meinungsäußerung funktioniert. Selbst dann, wenn ihm ein unflätiger User ins eigene Wohnzimmer kotzt.“

Ein Streit, eine Diskussion. Definitiv offen, frei, demokratisch, fair. Der Nutzer macht damit, was er will. Freilich nicht konstruktiv, nicht verantwortungsvoll, nicht respektvoll. Nur, dass Kritik und Streit immer konstruktiv zu sein hätten, Denken von Moderatoren betreut werden müsse, das ist eine durch nichts Vernünftiges begründete Setzung allein der Woken.

Liberalisierung als Problem der „Demokraten“

In Wirklichkeit hat X durch Musk und wird Meta demnächst durch Zuckerberg eine Re-Liberalisierung erfahren. Vorher herrschte (spätestens seit Corona verstärkt) Zensur. Beiträge wurden mit Faktenchecks, die selber Fake News waren, relativiert, Accounts wurden gesperrt oder mit einem Shadow Ban belegt. Musk hatte diese Vorgänge – in die auch die Regierungen involviert waren – nach der Übernahme von Twitter durch Publikation der Twitter Files – mit wenig Resonanz in den Mainstream-Medien – offengelegt (vgl. NZZ vom 16.12.22 und taz vom 31.12.22).

Aktuell zitiert die Bild-Zeitung vom 11.01.2025 Zuckerbergs Klagen darüber, wie er seinerzeit von Mitarbeitern der Biden-Regierung unter Druck gesetzt wurde: 

„Es war brutal. […] „Sie drängten uns superhart, Sachen zu löschen, die wahr sind. Alles, was besagt, dass Impfstoffe Nebenwirkungen haben könnten, musste grundsätzlich runter. “

Zuckerberg wird künftig also die Faktenchecker, wie Elon Musk es vormachte, hinauswerfen und wie bei X sogenannte Community Notes einführen. Man hat so die Möglichkeit, direkt unter Beiträgen den Hinweis abzulegen, dass und warum man die entsprechende Information für falsch oder irreführend hält. Der Nutzer entscheidet, was ihn als plausibler überzeugt; in den Kommentaren wird es lebhaft diskutiert. Ein Wahrheitsinstitut, das ihn an die Hand nehmen würde, gibt es nicht. Wie im echten Erwachsenenleben – jedenfalls in einer liberalen, freiheitlichen Gesellschaft.

Sie fliehen auf Plattformen, wo sie unter sich sind

Das ist es, was die Linksgrünen nervt: dass ihnen auf X widersprochen werden kann und dass sie dort ihre einstige Hegemonie verlieren, die sich nicht dem besseren Argument oder realen Mehrheiten verdankte, sondern allein der Unterstützung durch die Regierung und deren Agenturen, die ihre Kritiker zensierten, löschten oder ausblendeten. Darum – nicht, weil sie jetzt umgekehrt gelöscht, zensiert, beschränkt werden würden, was nicht stattfindet – fliehen die Empfindsamen auf Plattformen, wo sie unter sich sind, ohne Widerspruch und damit auch ohne jede Denkanregung. Sie sind es, die nicht demokratiefähig sind, versteckt unter hohlen Phrasen gar dezidiert antidemokratisch gesinnt. 

Ein Nachrichten-Portal, das in Sachen Information den etablierten Medien zunehmend den Rang abläuft, kann auf Hochschulen sicher gut verzichten. Aber ziemlich „irre“ ist das alles schon. Im gleichnamigen Roman von Rainald Goetz (Suhrkamp 1987) heißt es (S. 324):

„Nichts produziert so viel geistigen Schlamm wie das Verantwortungsvolle Denken (VD). Dieses Denken hat den Kopf schon abgegeben, bevor es überhaupt die Augen aufgemacht und zum Schauen angefangen hat. Als Blindling rennt dieses Denken durch die Welt und darf nichts sehen. Stattdessen muss das Verantwortungsvolle Denken dauernd an die Verantwortung denken. Deshalb kommt nie eine Wahrheit über die Welt heraus, oder wenigstens mal eine kleine Neuigkeit. Nein, dieses Denken produziert automatisch […] immer wieder das gleiche: Wackertum, Empörung, dümmste engagierte Richtigkeiten und das Allerallerplattgewalzteste.“

 

Thomas Maul ist Autor mehrerer Bücher, unter anderem zum Islam und zu Kritischer Theorie. Er war bis März 2020 Autor (seit 2007) und Redakteur (seit 2012) der ideologiekritischen Zeitschrift BAHAMAS. Seit 2023 ist er Redakteur der von ihm mitgegründeten Halbjahreszeitschrift „casa|blanca. Texte zur falschen Zeit“ (https://textezurfalschenzeit.de/).

Foto: Montage achgut.com

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Leserpost

netiquette:

E Ekat / 18.01.2025

Vance, sehr bald VP der USA äußerte, daß US Social Medien sich zukünftig in Sachen Meinungsfreiheit an der US-Verfassung zu orientieren haben.  Hatte die EU in der Vergangenheit versucht, mit Nichts in der Hand ihre Rechtsauffassung der restlichen Welt überzustülpen dreht sich der Wind nun womöglich. Wenn die Amerikaner ernst machen werden deren Social Media zukünftig nur noch in jenen Ländern verbreitet sein dürfen, die den 1. Zusatzartikel zur Verfassung der Vereinigten Staaten, also das “Recht auf freie Meinungsäußerung” akzeptieren. Warum auch nicht, es wäre Folgerichtig und billiger, als amerikanische Freiheitsvorstellungen weiterhin per Militär durchsetzen zu wollen.  Schließlich: wir verzichten ja auch auf unsere Industrie.  Das wäre ein Spaß, wenn die amerikanische Social Industrie in der EU abschalten muß, weil Brüssel diese Kehrtwendung nicht hinnehmen dürfte.  Für wenige Tage würde es sehr ruhig in Europa werden. Die X- und FB- Abschalter nehmen das nur vorweg. Keine Bußgelder mehr aus Brüssel. Könnte sich sogar lohnen.

Sam Lowry / 18.01.2025

“One thing I can´t fuckin` stand is warm beer, makes me fuckin´ puke…” Nur bei X möglich!

Didi Hieronymus Hellbeck / 18.01.2025

Aktuelle Worte von „Hausmeister Krause“ (Tom Gerhardt): „Die woke Bewegung ist so verklemmt und so kleinbürgerlich und pedantisch, wie ich es als Krause nie geschafft habe zu sein .... Wir reden heutzutage laufend von Verboten, das Bespitzeln wird auch schon wieder salonfähig. Und das ausgerechnet von denen, die sich früher immer so für die Freiheit eingesetzt haben”. Und: „die Mimimi-Bewegung“ könne ihn “mal gerne haben”. Carmen, Tom, unterstützt auch ihr euern Vattern!

Sam Lowry / 18.01.2025

Empfehlung: Aktien mit Kopf auf Youtube “Brisantes Interview: Maximilian Krah lässt es knallen!” Bester Mann der AfD…

Christine Holzner / 18.01.2025

Wer - wie im Artikel - “populistisch” mit “einfach” gleichsetzt und “reflektiert” bzw. “komplex” dazu in Gegensatz stellt, überzeugt mich leider - bei allem Richtigen, was sich da sonst noch so findet - genausowenig wie die woken Auszüge aus X.

Sam Lowry / 18.01.2025

Ernsthaft, auch wenn ich nicht bei X oder sonstigen Portalen bin: Ist doch gut, wenn Idioten die Plattform nicht zuspammen mit ihrem Müll… oder?

Michael Schweitzer / 18.01.2025

Herr Maul,wenn Verwöhnte nicht ihren Willen durchsetzen können werden sie respektlos und aggressiv. Verwöhnte sind nicht kritikfähig.

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