Von Deborah Ryszka.
Mit „12“ bringt die Band „AnnenMayKantereit“ ihr drittes Album heraus. Man hört: Corona hat den Sound merklich beeinflusst.
Wir leben in apokalyptischen Zeiten. Zumindest gefühlt. Hier der unausweichliche Klimawandel, dort der unkontrollierte Machtausbau Chinas und hüben wie drüben die schicksalhafte Spaltung demokratischer Gesellschaften. Aber es ist nicht mehr 5 vor 12. Es ist schon 12. Zumindest, wenn es nach den Jungs von „AnnenMayKantereit“ geht.
Wie sonst kann man den Titel ihres neuen Musikalbums „12“ und seine düstere und dunkle Endzeitatmosphäre verstehen? Der Weltschmerz mutet fast liturgisch an. Er überkommt einen als Schauder. Eiskalte Klaviertöne, schwere Gitarrenchords, die rauchige Stimme Henning Mays. Daran ändern Songs, wie „Aufgeregt“ oder „Ganz egal“, die musikalisch wie textlich einige Hoffnungsschimmer bieten, wenig. Der Sound bleibt wie er bleibt. Schwer und gedämpft über das ganze Album.
Wie verzweifelt es beginnt, so ernüchternd endet es auch. Es ist die Konsequenz eines emotionalen Reifungsprozesses, der mit dem letzten Song seinen Höhepunkt erreicht. Während das „Intro“ musikalisch-minimalistisch einführt, schafft es May, im „Outro“ das Unsagbare sprachlich zu fassen. Gefühle und Gedanken werden geordnet und sortiert. Das Kafkaeske wird akzeptiert: „Jeder glaubt es besser zu wissen. Sogar beim Küssen.“
Ist das der neue Zeitgeist?
Währenddessen überwiegen zwischen „Intro“ und „Outro“ schwerfällig-träumerische Töne. Das Hier und Jetzt überfordert offensichtlich zu sehr. Wie in „Gegenwart“ mit „Morgen könnte alles anders sein oder bilde ich mir das ein?“
Die Sehnsucht nach der Vergangenheit keimt auf. Mit ihr aber auch das schmerzerfüllte Wissen, dass sich die Uhr nicht zurückdrehen lässt. „So, wie es war, so wird es nie wieder sein“ hören wir in „So wies war“ und „Zukunft“.
Diese Melancholie findet ihren verzweifelten Höhepunkt in „Die letzte Ballade“. Weltuntergangsstimmung ist ihr Sujet. Da ist die Rede von „Meer von Plastik“, „Hanau“ und anderen Desastern. Hoffnung, Zuversicht, Kampfeswillen hören wir nicht. Weder in der samtenen, rau-tiefen Stimme von Henning May noch in einem fetzigen Gitarrenriff oder vollmundigen Klavierakkorden. Gesang und Klavier scheinen mit Resignation zu erklingen.
Das lässt die Frage aufkommen: Ist das der neue Zeitgeist? Oder nur eine Phase? Wie dem auch sei. Wer sich bei dem novemberuntypischen Wetter nach etwas Winter-Blues sehnt, der sollte in das neue Album von „AnnenMayKantereit“ reinhören. „12“ ist das dunkelste und niedergedrückteste ihrer bisherigen Alben. Es ist Apokalypse zum Hören.