Rüdiger Stobbe / 28.01.2019 / 08:30 / Foto: Pixabay / 32 / Seite ausdrucken

Anne Will: Von politischen Grenzwerten und Willkür

Von Rüdiger Stobbe.

In seinem Eingangsstatement bei Anne Will am 27.1.2019 erläuterte der Epidemiologe Erich Wichmann, wie die Prozedur der Richtwertwertfindung bei der Weltgesundheitsorganisation (WHO) vonstatten ging. Er sei selbst Mitglied einer 55-köpfigen Gruppe von Wissenschaftlern aus aller Welt gewesen, die von 2003 bis 2006 für die WHO Empfehlungen/Richtwerte für die Grenzwerte diverser Luftschadstoffe für die Außenluft ausgearbeitet hätten.

Neben Stickstoffdioxid (NO2) erwähnte Wichmann auch Feinstaub (PM2.5, PM10). Für Feinstaub habe die EU den Richtwert der WHO verdoppelt, das heißt der Grenzwert ist nur halb so streng. Für NO2 hingegen seien die Empfehlungen 1:1 übernommen worden. Das zeige, dass die Grenzwerte politische Grenzwerte seien, dass bei der Festsetzung der Grenzwerte durch die Politik auch Willkür im Spiel sei. Schauen Sie sich die entscheidende Passage hier an, das komplette Eingangsstatement Wichmanns rufen Sie hier auf. Die Talkshow wurde in vielen Medien besprochen und diskutiert, hier beispielsweise bei BILD.

Tatsächlich ist der NO2-Richtwert der WHO der einzige, der 1:1 von der EU sowohl im Tages- und Stundenwert als auch im Durchschnittswert übernommen wurde. Bei allen Luftschadstoffen wurden die strengeren Richtwerte aufgeweicht und in weniger strenge Grenzwerte umgesetzt, wie diese Tabelle belegt. Die von der WHO 1:1 übernommenen Richtwerte NO2 – es sind zwei, der Stundenmessgrenzwert 200 µg und der Jahresdurchschnittsgrenzwert 40 µg – lassen eine realistische Bewertung der Schadstoffbelastung deutscher Städte durchaus zu. Fahrverbote sind vollkommen unnötig. 

Dass bei Anne Will der Stundengrenzwert 200 µg NO2 / m3 Luft, der in der Tabelle oben aufgeführt ist, nicht erwähnt wurde, wundert nicht. Das würde die Debatte um den Grenzwert NO2 sofort ad absurdum führen. Die fortlaufenden Messungen zur Ermittlung der für den Stundenmessgrenzwert relevanten Menge NO2 geben die tatsächlich im Bereich der Messstelle vorhandene Menge NO2 an. Die Menge NO2, der Erwachsene, Kinder, Babys, aber auch Asthmakranke tatsächlich ausgesetzt sind, wenn sie sich im Bereich der Messstelle aufhalten. 200 µg plus 18 Überschreitungen pro Jahr sind laut Gesetz erlaubt.

Was bedeutet, dass bis zu dieser Menge NO2 dem Menschen zumindest kurz- und mittelfristig kein gesundheitlicher Schaden entsteht. Sonst wäre der Richtwert sicher geringer. Die erlaubten 18 Überschreitungen der 200 µg werden in Deutschland übrigens an keiner einzigen Messstelle erreicht. Fakt ist, dass die 200 µg NO2 in ganz Deutschland insgesamt lediglich 52-mal (zweiundfünfzig!!) überschritten wurden. Im gesamten Jahr 2017 – Zahlen 2018 liegen noch nicht vor. Bei Millionen Messungen. Mehr dazu und zum „verschwiegenen Grenzwert“, obwohl er im Gesetz steht, lesen Sie hier. Auch das Verhältnis des 200 µg hohen Stundenmessgrenzwertes NO2 zum 40 µg niedrigen Jahresdurchschnittsgrenzwert wird dort betrachtet. Zur Beruhigung: Die Luft in Deutschland – auch in den Städten – ist gut. So gut wie fast nirgendwo auf der Welt.

Foto: Pixabay

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Leserpost

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Helmut Driesel / 28.01.2019

Für eine professionelle Studie zum NOx und auch zum Feinstaub sollten einmal die Sportschützen heran gezogen werden. Die treiben sich nämlich überproportional häufig in schlecht belüfteten kontaminierten Räumen herum, wenn sie ihrem Hobby nachgehen. Und weiterhin habe ich den Verdacht, dass moderne hochtourende Elektrorasierer die ultimativen Feinstaubschleudern sind, das auch noch sehr nahe am Atmungssystem. Vielleicht können die vielen Experten das mal falsifizieren. Was die Autofahrverbote angeht, so denke ich ganz schlicht, wenn ein Auto nicht in die Stadt fahren darf, dann erfüllt es nicht, was der Hersteller oder Händler beim Erwerb versprochen hat. Für diesen Fall ist die Verbraucherschutzgesetzgebung eindeutig. Was freilich noch nichts über die Schuldigen aussagt.

Klaus Peter / 28.01.2019

Es kommen Erinnerungen auf, es sind keine guten: “Jetzt ist er halt nun mal da!” (der Grenzwert) In Griechenland stellt man Messstationen auf die 4-geschössigen Flachbauten neben angrenzenden viel befahrenen Straßen auf. In Deutschland 1,5m neben dem Randstein.

Veronika Geiger / 28.01.2019

Nun es stehen in Kürze Europawahlen an. Die deutschen BürgerInnen können ja dann ihren Unmut freien Lauf lassen. Werden sie es tun? Ich befürchte nein. Die Propagandamaschine gegen die AfD läuft bereits auf Hochtouren.

Viktor Otte / 28.01.2019

@ Matthias Böhnki Sehr geehrter Herr Böhnki, möglicherweise haben Sie nicht so recht verstanden, worin der Unterschied zwischen Wissenschaftlern und Talk-Show-Plapper*innen besteht. Versuchen Sie bitte einfach künftig, den Argumenten zu folgen und dabei nicht auf die Stoppuhr zu schauen.

Wolfgang Sauer / 28.01.2019

Wenn 200 μg der massgebliche Stndengrenzwert ist der auch noch 18 mal überschritten werden darf (aber nie überschritten wurde) dann versteh ich nicht wie die deutsche Umwelthilfe ihre Prozesse gewinnen konnte.

Helge-Rainer Decke / 28.01.2019

Ahso, Grenzwerte schaden, nicht Stickstoffdioxid, oder Feinstäubchen als solche. Eine Hundertschaft bedeutender Lungenärzte haben es bewiesen. Schon olle Jöte soll auf dem Sterbebett nicht nach „mehr Licht“, sondern nach mehr Stickstoffdioxid gefleht haben:-)

Enrique Mechau / 28.01.2019

Wie überall wird verfälscht, gefälscht und im Bedarfsfall gelogen, dass sich die Balken biegen. Zur Aufklärung tragen dumm daher schwätzende, dreist-arrogante und sich im Besitz der allumfassenden Wahrheit glaubende sogenannte “Talkmasterinnen”  leider nicht bei. Im Gegenteil; sie insinuieren mit Phrasen und pseudo-Fakten aus der Kristallkugel, dass die kritischen Stimmen alle im Unrecht sind. Dieses Jahrhundert wird als das Jahrhundert der Schwätzer und Geschwätzigen in die Annalen eingehen, nachdem jeder Dummbeutel der einmal irgendwo vor einer Kamera gestanden hat und Starstatus dritter Klasse genießt, sich zum Experten aufwirft und seine unausgegorene und völlig irrelevante Meinung ausdünstet.

Karla Kuhn / 28.01.2019

“Dass bei Anne Will der Stundengrenzwert 200 µg NO2 / m3 Luft, der in der Tabelle oben aufgeführt ist, nicht erwähnt wurde, wundert nicht. “ “Weil, so schließt er messerscharf, // nicht sein kann, was nicht sein darf.” Christian Morgenstern

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