Roger Letsch / 03.09.2022 / 06:15 / Foto: Imago / 200 / Seite ausdrucken

Annalenas Alternativlosigkeit

Grie­chen­land­ret­tung, Ban­ken­ret­tung, Euro­ret­tung, Kli­ma­ret­tung, Uni­per-Ret­tung, Ukrai­ne-Ret­tung – in die­se Lis­te woll­te Baer­bock sich eintragen, und wie alle ihre Koste-es-was-es-wol­le-Kol­le­gen inter­es­siert sie sich nur wenig für die Kollateralschäden bei jenen, die ihre Poli­tik zu ertra­gen und zu bezah­len haben.

Die Auf­re­gung ist groß und hält an über eine Äuße­rung unse­rer Außen­mi­nis­te­rin, die sie auf einem Panel des Forum 2000 in Prag getä­tigt hat: Sie wer­de lie­fern, „no mat­ter what my German voters think, but I want to deli­ver to the peop­le of the Ukrai­ne.“ Eben­so laut wie die kri­ti­schen Stim­men sind jedoch die zustim­men­den, die in der Rede Baer­bocks vor allem die bedin­gungs­lo­se Unter­stüt­zung der Ukrai­ne sehen wol­len und fei­ern.

Zunächst mal unter­strei­che ich mei­nen Stand­punkt, dass ich prin­zi­pi­ell für die Unter­stüt­zung der Ukrai­ne bin, wenn ich auch stark bezweif­le, dass die Art und Wei­se, wie unse­re Poli­tik dies zu tun vor­gibt, zu irgendetwas Posi­ti­vem füh­ren wird. Es war jedoch nicht der nun im Feu­er ste­hen­de Satz, der mich erstaunt hat, denn ers­tens bin ich nicht „ihr Wäh­ler“ und werde es nie sein, und zwei­tens kann es doch nie­man­den ernst­haft über­ra­schen, dass eine Exe­ku­ti­ve sich einen feuch­ten Keh­richt um das schert, was Wäh­ler denken!

Wie so oft bei die­ser Regie­rung ist es das man­geln­de diplo­ma­ti­sche Deko­rum, wel­ches vermisst wird. In die­sem Fall durch die Deut­schen, die nun die Tor­te im Gesicht spü­ren, während den Ukrai­nern das Des­sert schme­cken dürf­te. Es hät­te die­ses unbe­dach­ten Sat­zes kei­nes­falls bedurft, um das zu sagen, was zu sagen war, und wir dür­fen davon aus­ge­hen, dass solch eine ver­ba­le Ent­glei­sung, die zu empör­ten Reak­ti­onen gera­de­zu her­aus­for­dert, einem Gen­scher, Kin­kel oder Wes­ter­wel­le nicht pas­siert wäre. Aber wis­sen Sie was, lie­be Leser: geschenkt!

Im Gedächt­nis wird die­ser Faux­pas blei­ben und nicht die Essenz der Rede, näm­lich ein weite­rer „whatever it takes“-Moment in einer lan­gen Rei­he zu sein. Grie­chen­land­ret­tung, Ban­ken­ret­tung, Euro­ret­tung, Kli­ma­ret­tung, Uni­per-Ret­tung, Ukrai­ne-Ret­tung – in die­se Lis­te woll­te Baer­bock sich ein­tra­gen und wie alle ihre Kos­te-es-was-es-wol­le-Kol­le­gen interessiert sie sich nur wenig für die Kol­la­te­ral­schä­den bei jenen, die ihre Poli­tik zu ertra­gen und zu bezah­len haben.

„Desinformation von der Stange“

Dass nun das gro­ße Gera­de­rü­cken und die Schuld­zu­wei­sun­gen begon­nen haben, über­rascht auch nur jene, die sich als Wäh­ler Baer­bocks irgend­wie mit­ge­meint füh­len. Peter Ptas­sek, im Außen­mi­nis­te­ri­um für stra­te­gi­sche Kom­mu­ni­ka­ti­on zustän­dig, sieht pflichtschuldigst rus­si­sche Des­in­for­ma­ti­on am Werk – was denn auch sonst! Das viral gehen­de Video sei sinn­ent­stel­lend zusam­men­ge­schnit­ten und „Des­in­for­ma­ti­on von der Stange“. Er emp­fiehlt statt die­ses kur­sie­ren­den Schnip­sels das kom­plet­te – und fast vier Stun­den lan­ge – Video zur Erbau­ung und Unter­maue­rung der lau­te­ren Absich­ten sei­ner Che­fin – wie über­ra­schend! Sie kön­nen aber bis zu 1:22:55 sprin­gen, lie­be Leser. Erst da kommt der Auf­tritt der Ministerin.

Auch der Spie­gel schlägt in die­se Ker­be und spricht von „pro­rus­si­scher Des­in­for­ma­ti­on“. Ansons­ten trägt der Arti­kel lei­der nichts dazu bei, die soge­nann­te „Des­in­for­ma­ti­on“ richtigzustel­len. Wie auch: Der Satz wur­de so gesagt und war sicher auch so gemeint. Der Rest ist Framing und Dele­gi­ti­mie­rung von Empö­rung und Kri­tik. Viel inter­es­san­ter sind ohnehin die Kom­men­ta­re zum Arti­kel, also die Mei­nungs­äu­ße­run­gen, die der Spie­gel selbst zulässt. Zustim­mung allent­hal­ben! Baer­bock habe sich klar geäu­ßert, sei authen­tisch, die Maß­nah­men der Regie­rung notwendig.

Es ist die Fort­füh­rung der Pres­se-Akkla­ma­ti­on der Regie­rungs­ar­beit mit Hil­fe des Leserkommen­tars. Ein Kom­men­ta­tor ver­stieg sich sogar zu fol­gen­der Aus­sa­ge: „Bär­bock hat recht. Deutsch­land ist ein sehr rei­ches Land und wir wer­den es nicht mer­ken, wenn wir einige 100 Mil­li­ar­den Euro für Waf­fen und den Wie­der­auf­bau an die Ukrai­ne über­wei­sen.“ Natür­lich weiß ich nichts über die finan­zi­el­len Reser­ven eines regis­trier­ten (und zah­len­den) Spie­gel-Lesers, habe aber den Ver­dacht, dass die­ser kei­ne Vor­stel­lung davon hat, auf wessen Fell unse­re gelieb­te Außen­mi­nis­te­rin da gera­de zum Markt rei­tet, mit wel­chem Auftrag sie eigent­lich unter­wegs ist und wie dünn das Fell des „rei­chen Lan­des” mitt­ler­wei­le gewor­den ist.

Whatever it takes!

Es ist näm­lich nicht die klei­ne Ent­glei­sung oder Wäh­ler­be­lei­di­gung, son­dern die im wei­te­ren Gespräch immer wie­der zuta­ge tre­ten­de Amts­an­ma­ßung, die zu kri­ti­sie­ren ist. Etwa „Die Ukrai­ne wird Mit­glied der EU. Punkt!“ oder „Es wird so lan­ge dau­ern, wie er braucht, aber am Ende wer­den wir gewin­nen.“ Alles igno­ran­te, präfak­ti­sche und besitz­ergrei­fen­de Aus­sa­gen, die Baer­bock nicht zuste­hen und Putin genau die Argu­men­te in die Hand geben, um genauso wei­ter­zu­ma­chen wie bis­her und sein Pro­xy-Feind­bild „expan­sio­nis­ti­sche EU“ zu füttern. „Seht ihr“, wird er sagen, „sie hal­ten sich nicht an ihre eige­nen Regeln, an die Kriterien, die man erfül­len muss, um EU-Mit­glied zu wer­den und um all die lan­gen Pro­zes­se und Prü­fun­gen, die es dazu braucht. Sie sagen: Du wirst Mit­glied und Punkt. Und sie sprechen vom Sieg, war­um sol­len wir das nicht auch tun?“

Die Leicht­fer­tig­keit der Ver­spre­chen ist es, die mir Angst macht, nicht die Wäh­ler­be­lei­di­gung oder ein ver­mu­te­ter ver­letz­ter Amts­eid, um den sich hier­zu­lan­de ohne­hin nie­mand küm­mert, am wenigs­ten die Poli­tik selbst, die sich viel lie­ber in fle­xi­blen Not­wen­dig­kei­ten als star­ren Grund­sät­zen bewegt, auch wenn stän­dig das Gegen­teil behaup­tet wird. Doch ist dem gebeu­tel­ten und belei­dig­ten Wäh­ler nicht ganz im Sin­ne Höl­der­lins Abhil­fe ver­spro­chen? Wächst nicht, wo Gefahr ist, das Ret­ten­de auch? Die nega­ti­ven Fol­gen der Sank­tio­nen (bzw. der deut­schen Abhän­gig­keit von rus­si­scher Ener­gie) wer­de man durch Maß­nah­men abfedern, meint Baer­bock. Doch wie kommt sie dar­auf, dass dies gelin­gen wird? Das Stickstoff­werk Pies­teritz, das Zie­gel­werk Nels­kamp oder die Por­zel­lan­ma­nu­fak­tur Eschenbach gin­gen bei die­sem „Abfe­dern“ schon zu Bruch, wei­te­re Kol­la­te­ral­schä­den in der Indus­trie und Mil­lio­nen Pri­vat­haus­hal­ten wer­den kaum noch abzu­wen­den sein.

Die Mög­lich­keit, dass das Baerbock‘sche „wha­te­ver“ buch­stäb­lich alles sein und es am Ende den­noch nicht rei­chen könn­te, die EU, den Euro, das Kli­ma und die Ukrai­ne zu ret­ten, scheint unse­re Außen­mi­nis­te­rin mit ihrem „… in the end we will win“ jeden­falls nicht in den Sinn zu kom­men. Ich bin da weit­aus skep­ti­scher, zumal wir uns durch den Krieg gegen Russ­land und dem gegen die ener­ge­ti­sche Ver­nunft mal wie­der in einem Zwei­fron­ten­krieg befin­den. Die Rede Georgs VI. am 3.9.1939 zum Kriegs­ein­tritt Groß­bri­tan­ni­ens, die sich gerade zum 83. Mal jährt, ende­te mit der Wen­dung „…with God’s help, we shall pre­vail.“ Eine ver­gleich­ba­re Demut – nicht nur den Wäh­lern, son­dern auch den eige­nen Fähig­kei­ten gegen­über – las­sen die Äuße­run­gen Baer­bocks lei­der vermissen.

Der Beitrag erschien zuerst hier auf Roger Letschs Blog unbesorgt.de
 

Foto: Imago

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A.Schröder / 03.09.2022

Zitat Baer­bock: „Ich gebe den Menschen in der Ukraine das Versprechen: Wir stehen zu euch, solange ihr uns braucht. Unabhängig davon, was meine deutschen Wählerinnen und Wähler denken, möchte ich für die Menschen in der Ukraine handeln.“ Baerbocks Wähler gehören nicht zu den denkenden Menschen. Ein Amt ist aber für das ganze Volk da. So die Amtsverpflichtung.

Nico Schmidt / 03.09.2022

Sehr geehrter Herr Letsch, das, was Annalena heute verspricht, kann morgen ganz anders sein oder sie hat es vergessen, was sie versprochen hat. Geht ja schnell heute. Mfg Nico Schmidt

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