Georg Etscheit / 22.12.2021 / 06:15 / Foto: Heinrich-Böll-Stiftung / 203 / Seite ausdrucken

Annalena Baerbock: English for advanced beginners

Baerbocks Brüsseler Volkshochschulseminar „Englisch for advanced beginners“ ist wegen ihres (mehrfach korrigierten) Lebenslaufs nicht ohne Brisanz. Wer spricht nach dem Studium an einer Londoner Eliteuniversität noch wie eine Oberstufenschülerin?

In den sozialen Medien kursiert ein drolliges Video. Es zeigt Deutschlands neue grüne Bundesaußenministerin Annalena Baerbock bei ihrem Antrittsbesuch in Brüssel. Baerbock trägt ein rotes Kostüm und liest in Gegenwart des aus Spanien stammenden EU-Außenbeauftragten Josep Borell, immer wieder vom Blatt oder Teleprompter aufschauend, einen englischen Text ab, in dem sie sich als „wahrhaftige Europäerin“ zu erkennen gibt. Dabei wirkt sie so backfischhaft wie eine Oberstufenschülerin, die im Englisch-Oberstufenkurs über die letzte Klassenfahrt nach London referiert.

Das wirkt nicht unsympathisch, doch was sie hier bietet, ist, wenn es hoch kommt, mittelprächtiges Schulenglisch. Kein wirkliches Desaster wie einst bei Günther Oettinger (Oettinger spricht englisch – YouTube), aber für die neue Chefin des ehrwürdigen Auswärtigen Amtes im 21. Jahrhundert eine fragwürdige Vorstellung. Man möchte sich nicht vorstellen, wie Baerbocks Englisch klingt, wenn sie gezwungen ist, völlig frei zu sprechen. Wobei der einstige EU-Energiekommissar und vormalige baden-württembergische Ministerpräsident nicht einmal in der Lage war, einen englischen Text halbwegs verständlich abzulesen. Aber wenn die Sonne der politischen Kultur tief steht, werfen auch Zwerge lange Schatten.

Muss eine Bundesaußenministerin gut, vielleicht sogar ausgezeichnet Englisch sprechen können? Wie sattelfest sollte sie in der Lingua franca des 21. Jahrhunderts sein, wo sie doch auf einen Stab erfahrener Diplomaten und ein Heer von Simultandolmetschern zählen kann, vor allem bei möglicherweise heiklen internationalen Verhandlungen? Eigentlich ergibt sich die Antwort von selbst. Natürlich sollte, ja muss sich die oberste Repräsentantin der deutschen Außenpolitik fließend, auf jeden Fall „verhandlungssicher“ auf Englisch verständigen können. Dabei geht es nicht darum, ob sie mit oder ohne Akzent spricht. Es geht nur darum, dass man nicht sofort den Eindruck bekommt, es mit einer völlig unbeleckten Novizin zu tun zu haben.

Aber Annalena Barbock wurde ja nicht ins Außenministerium gehievt, weil sie auf internationalem Parkett eine so gute Figur machen würde, sondern weil sie als einstige Bundeskanzlerin in spe, die über ihren geboosterten Lebenslauf stolperte und wohl ein grünes Rekordergebnis bei den Bundestagswahlen vereitelte, mit einem zumindest in der Außendarstellung wichtig wirkenden Amt abgefunden werden musste, um ihr und ihrer Partei die Möglichkeit der Gesichtswahrung zu geben. Im Zweifelsfall ging man bei dieser Personalentscheidung wohl davon aus, dass Olaf Scholz, wie schon Angela Merkel, das Amt des Bundesaußenministers in Personalunion mit dem des Bundeskanzlers führt. Auch Maas war nicht viel mehr als ein freundlicher und gut aussehender Grüßgott-Onkel. Und gar so schlecht sieht Annalena ja nicht aus.

„Stoppt endlich das Baerbock-Bashing!“

Echte Brisanz gewinnt das Brüsseler Volkshochschulseminar „Englisch for advanced beginners“ jedoch vor dem Hintergrund ihres (mehrfach korrigierten) Lebenslaufs, wonach sie nicht nur während ihrer Schulzeit einen halbjährigen Aufenthalt als Austauschschülerin in den USA verbracht, sondern auch längere Zeit an der renommierten London School of Economics studiert und dort einen Abschluss in Völkerrecht erworben haben will. Kann es sein, dass eine britische Eliteuniversität eine junge Bewerberin aus Deutschland akzeptiert und mit akademischen Würden ausstattet, die sich in der Sprache des Gastlandes nur auf einem vergleichsweise rudimentären Niveau bewegt? Kann es sein, dass man nach einem oder zwei Jahren Studium in London immer noch nicht den Duktus der Oberstufenschülerin abgelegt hat? Hat sich Baerbock überhaupt längere Zeit am Stück in Großbritannien aufgehalten? Hat sie vielleicht nur aus der Ferne studiert und ist lediglich zu den Prüfungen angereist? Wer ermöglichte ihr das Studium? Wer schrieb ihr die nötigen Empfehlungen?

Und noch ein Phänomen sollte im Zusammenhang mit Baerbocks Auftritt nicht unbeachtet bleiben. Als sich Günther Oettinger dereinst mit einem YouTube-Video an die Spitze der Socialmedia-Charts setzte, das aus Teilen einer Rede zusammengeschnitten war, die er im Dezember 2009 in Berlin anlässlich einer Konferenz der New Yorker Columbia University auf Englisch gehaltenen hatte und die, gelinde gesagt, erhebliche Lücken in puncto Aussprache und Textverständlichkeit offenbarte, wurde er nicht nur im Netz, sondern in der gesamten Presse mit Kübeln voller Häme und Spott übergossen.

Ihm erging es dabei ähnlich wie Guido Westerwelle, der es gewagt hatte, auf seiner ersten Pressekonferenz als siegreicher FDP-Chef nach der Bundestagswahl 2009 von einem BBC-Korrespondenten zu verlangen, seine Fragen auf Deutsch zu stellen. Westerwelle tat dies offenbar nicht aus sprachlichem Unvermögen, sondern aus einem Anflug von Patriotismus heraus, der sofort die linksgrünen Reflexe der Journaille aktivierte.

Im Fall Baerbock dagegen überschlagen sich die Medien darin, die neue Außenministerin in Schutz zu nehmen. Ein paar Kostproben: „Spricht Außenministerin Baerbock schlechtes Englisch? Deutsche machen sich lustig, aber Briten loben sie“ (Münchner Merkur), „Seltsamer Humor: Über Baerbocks Englisch spotten – typisch deutsch“ (Tagesspiegel Berlin), „Baerbock, Lindner und die deutsche Sprachpolizei“ (Berliner Zeitung), „Annalena Baerbock und die Posse um ihren Akzent“ (Süddeutsche Zeitung). Und auf n-tv fordert eine Kolumnistin: „Stoppt endlich das Baerbock-Bashing!“

Ein Spaß für Annalena

Statt sich die Frage zu stellen, warum eine Absolventin der London School of Economics so herzzerreißend unbeholfen auf Englisch daher plaudert wie Annalena Baerbock, werden vermeintliche Experten zurate gezogen, die der deutschen Chefdiplomatin eine tadellose Performance attestieren. „Englische Muttersprachler (zu Wort kommt nur ein einziger, der zudem keiner ist) lobten die Außenministerin für ihr Englisch. Für die Kritik des deutschen Publikums an der Grünen-Politikerin zeigten sie kein Verständnis“, schreibt der „Merkur“ und zitiert den CNN International-Korrespondenten Frederik Pleitgen mit dem Satz: „Sieht für mich aus wie außergewöhnlich gutes Englisch.“

Frederik Pleitgen ist der in Köln geborene Sohn des früheren WDR-Intendanten Fritz Pleitgen, der im Windschatten des Vaters eine steile Journalistenkarriere absolvierte. Auch wenn er zeitweise in den USA zur Schule ging und auch eine gewisse Zeit dort studierte: Ein echter „Muttersprachler“ ist er nicht, dafür darf man ihm unterstellen, dass er im deutschen beziehungsweise internationalen Medienzirkus nicht der Rechtsaußen-Fraktion angehört.

Dass sich auch Finanzminister Christian Lindner bei seinem Antrittsbesuch bei seinem französischen Amtskollegen Bruno le Maire redlich auf Englisch abmühte und dabei nur wenig besser abschnitt als Baerbock, ist kein Trost für Deutschland, das in den nächsten vier Jahren den Regierungskünsten einer Laienspielschar ausgeliefert sein wird, die mangelhafte Ausbildung und fehlende Erfahrung mit ideologischem Furor zu kompensieren versucht. Le Maire studierte gleich an drei französischen Elitehochschulen. Er schrieb seine Abschlussarbeit an der Pariser Sorbonne über Marcel Prousts Roman „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“, bevor er weitere Abschlüsse am Institut d’études politiques de Paris (Scienes Po) und der Verwaltungshochschule ENA ablegte. Er spricht neben Englisch auch Deutsch, wovon er beim Pressestatement mit Lindner eine kleine, aber auf tief reichende Kenntnis der deutschen Literatur schließen lassende Kostprobe gab. Derweil freut sich das einstige Flaggschiff des deutschen Bildungsbürgertums, die FAZ, dass Annalena Baerbock ihr „Job“ als Außenministerin „sichtlich Spaß“ mache. „Sie hat wieder ein Stück jener Unerschrockenheit und Unbefangenheit zurückgewonnen, die sie im Wahlkampf verloren hat.“

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Leserpost

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Hans J. Scholl / 22.12.2021

Why don’t we give her the benefit of a doubt? LSE offers online classes in international law, and good is. ;)

Thomas Hechinger / 22.12.2021

Wer nicht in früher Jugend in einem fremden Land aufgewachsen ist, zumindest dort längere Zeit verbracht hat, wird es nicht schaffen, den Akzent seiner Muttersprache vollständig abzulegen. Wie für alles gibt es auch hier Ausnahmen, Menschen mit sprachlichem Talent. Aber es bleiben Ausnahmen. Ich finde es daher nicht schlimm, wenn man Englisch sprechenden Politikern ihren deutschen Akzent anhört. Auch wenn sich der ein oder andere Grammatikfehler einschleicht oder mal eine sprachliche Wendung zu sehr nach Deutsch als nach Englisch klingt, geht die Welt nicht unter. Was bei Frau Baerbock nur zum wiederholten Male auffällt, ist, daß die Angaben der “Völkerrechtlerin” nicht zur Wirklichkeit passen. Wer ein ganzes Jahr lang in London studiert hat, sollte Englisch besser beherrschen, als sie es zeigt. Wieder hat es den Anschein, daß sie aus einer Sache mehr macht, als diese eigentlich hergibt. Man sollte ihrem London-Studium einmal genau hinterherforschen. Es wäre interessant zu erfahren, was davon zum Schluß noch übrigbleibt.

Walter Weimar / 22.12.2021

Dieses Kabinett ist das beste Beispiel für mich, das endlich die Gleichstellung und Integration von Intelligenz und Behinderten erfolgreich abgeschlossen ist.

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