Georg Etscheit / 03.04.2022 / 14:00 / Foto: Manfred Werner / 66 / Seite ausdrucken

Anna zwischen allen Stühlen

Die vom Westen angefeindete Operndiva Anna Netrebko hat sich dazu breitschlagen lassen, den Ukrainekrieg öffentlich zu verurteilen. Prompt wird sie nun in Russland gecancelt – und im Westen weiterhin auch.

Wie tief muss der Bückling sein, zu dem man sich gezwungen sieht, um noch teilhaben zu dürfen am internationalen Kulturzirkus? Wie groß muss der Grad der Selbsterniedrigung sein? Gibt es einen Devotions-Koeffizienten, nach dem sich bemisst, ob man sich in „ausreichendem“ (Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper) Maße vom neuen, größten Unhold aller Zeiten, vom „Schlächter“ (Biden) und „Kriegsverbrecher“ (Biden) Wladimir Putin distanziert hat?

Bei Anna Netrebko hat es offenbar noch nicht gereicht. Die russische Diva, die wegen ihrer angeblichen oder tatsächlichen Nähe zu Putin und seinem Regime im Westen ebenso in Ungnade gefallen ist wie ihr Dirigentenkollege Waleri Gergijew (dessen Fall indes etwas anders liegt), hatte am 30. März folgende Erklärung abgegeben:

„Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien. Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden. Ich erkenne und bedauere, dass meine Handlungen oder Aussagen in der Vergangenheit zum Teil falsch interpretiert werden konnten. Tatsächlich habe ich Präsident Putin in meinem ganzen Leben nur eine Handvoll Mal getroffen, vor allem im Rahmen von Verleihungen von Auszeichnungen für meine Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Ich habe ansonsten nie finanzielle Unterstützung von der russischen Regierung erhalten und lebe in Österreich, wo ich auch steuerlich ansässig bin. Ich liebe mein Heimatland Russland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an. Nach der angekündigten Auftrittspause werde ich meine Opern- und Konzertauftritte Ende Mai, zunächst in Europa, wieder aufnehmen.“

Man plane, Netrebko zu ersetzen

Was soll man noch schreiben, wenn man nicht gleich zum Tyrannenmord aufrufen will oder, wie der senile US-Präsident Joe Biden ohne Teleprompter zum „regime change“, koste es, was es wolle. Die New Yorker Metropolitan Opera jedenfalls, die einst, wie die meisten großen Opernhäuser und Musikfestivals, vom Netrebko-Rummel nicht genug kriegen konnte, weil Tickets für Auftritte der göttlichen Anna weggingen wie geschnitten Brot, ließ mitteilen, sie bleibe dabei, die Zusammenarbeit mit der Sopranistin nicht wieder aufnehmen zu wollen.

Wie der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, die neuen Einlassungen Netrebkos bewertet, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen. Eine diesbezügliche Anfrage blieb unbeantwortet. Zuvor hatte er noch mitgeteilt, dass es in den nächsten Jahren „mit Sicherheit“ nicht zu Auftritten von ihr bei den Festspielen kommen werde. Das stand in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen, wonach russische Künstler nicht geächtet werden sollten. Wegen der politischen Repression in Russland sei es falsch, allen Menschen mit russischem Pass Stellungnahmen abzuverlangen, die sie kaum geben könnten. „Das hat nichts mit einer Art von Putin-Hörigkeit zu tun. Das kann auch die nackte Überlebensangst sein.“

Touché! Gerade wurde bekannt, dass das Opernhaus in Novosibirsk einen für den 2. Juni geplanten Auftritt Netrebkos in der sibirischen Metropole abgesagt habe. Die Sängerin habe ihr Heimatland verraten, warf ihr die Leitung des Hauses indirekt vor. „In Europa zu leben und die Gelegenheit zu haben, in europäischen Konzertsälen aufzutreten, hat sich für sie als wichtiger erwiesen als das Schicksal ihres Vaterlandes“, kritisierte das Opernhaus Netrebko in einer Mitteilung. Man habe ausreichend andere Künstler in Russland, die „eine klare staatsbürgerliche Haltung“ hätten und plane daher, Netrebko zu ersetzen, hieß es in einer Verlautbarung.

Darling der Feuilletons bleiben

Jetzt darf man gespannt sein, wie es um die weitere Karriere von Teodor Currentzis steht. Der gebürtige Grieche hatte sich dereinst in Russland seine ersten Meriten als exzentrischer Pultstar verdient und war dafür als „Wunder von Perm“ gefeiert worden. Dass er dabei auch auf die Hilfe russischer Finanziers – darunter die auf der aktuellen Sanktionsliste stehende VTB-Bank – gesetzt hatte, war kein Geheimnis, wird ihm aber jetzt, wo er längst im Westen Fuß gefasst hat, zur Last gelegt. Mit politischen Äußerungen war er bislang nicht hervorgetreten.

Doch der gleiche Markus Hinterhäuser, der Currentzis zum neuen Star der Salzburger Festspiele nach dem Tod von Nikolaus Harnoncourt aufgebaut hat, forderte jetzt auch von ihm ein „klares Bekenntnis“. Im Sommer stehen damit seine Auftritte zusammen mit seinen russischen musicAeterna-Ensembles auf der Kippe, Angelpunkte des Festspielprogramms. Aber was tut man nicht alles, um die Meute in Schach zu halten und Darling der Feuilletons zu bleiben.   

Der Südwestrundfunk (SWR), dessen renommiertes Symphonieorchester von Currentzis geleitet wird, scheint ihm bislang noch die Stange zu halten, steht aber unter Druck von Journalisten, die ihm vorwerfen, jahrelang vom „System Putin“ profitiert zu haben. Dagegen legte die Bayerische Staatsoper die für dieses Frühjahr geplante Premiere einer zeitgenössischen Oper unter Currentzis‘ musikalischen Leitung auf Eis, offiziell wegen einer in diesen Zeiten nicht leistbaren „anspruchsvollen Probenarbeit“.

Keine Grautöne mehr

Dass Currentzis, mittlerweile Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters in Stuttgart, bislang nicht dazu bereit war, den Kotau zu leisten, mag damit zu tun haben, dass er in diesen prekären Zeiten seine russischen Musiker, denen er so viel zu verdanken hat, nicht im Regen stehen lassen will. Aber in Kriegszeiten gibt es kein Lavieren, keine Graustufen. Da gibt es nur dafür oder dagegen, schwarz oder weiß, Freund oder Feind. Auch im mitunter so selbstgerecht auf seine freiheitlichen Werte pochenden Westen.

Postskriptum: Während auf zum Teil gehässige Weise schon über ein Ende von Anna Netrebkos Karriere spekuliert wird, dürfte Gergijew die Arbeit nicht ausgehen. Er war als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker geschasst worden, nachdem er ein Ultimatum, sich von Putins Krieg zu distanzieren, hatte verstreichen lassen. Jetzt soll er wohl neben seinem Posten als künstlerischer Leiter des St. Petersburger Marijnsky-Theaters auch das Moskauer Bolschoi übernehmen und damit so etwas wie ein allrussischer Generalsuperintendant werden. Der bisherige Bolschoi-Musikchef Tugan Sokhiev hatte sich entschlossen, die Position niederzulegen, weil er sich aus politischen Fragen heraushalten wollte. Auch seine Funktion als Leiter eines französischen Orchesters hatte er niedergelegt.

Foto: Manfred Werner CC BY-SA 3.0 via Wikimedia Commons

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Sofie Lauterbach / 03.04.2022

Dieser ganze Irrsinn ist nicht neu. Stefan Zweig berichtet in “Die Welt von gestern” ähnliches über den Sommer 1914

Burkhart Berthold / 03.04.2022

Anna Netrebko ist eine großartige Künstlerin. Das ist das einzige, was unter künstlerischen Gesichtspunkten zählt. Sie sollte - wie generell jeder Künstler in jedem Konflikt - darauf verzichten, sich vereinnahmen zu lassen oder Fähnchen zu schwenken. Und wie erbärmlich sind die Rechtgläubigen, die Vereinnahmungen planen und Fähnchen verteilen.

Walter Weimar / 03.04.2022

Wer sich bei einem Schurkenstaat, wie Deutschland, anbiedert, muß sich nicht wundern in der Heimat verstoßen zu werden. Mein Mitleid hält sich in Grenzen.

Marcel Seiler / 03.04.2022

Mein Mitleid hält sich in Grenzen: Als Nachkriegsdeutscher wurde ich zeitlebens (und werde es immer noch) dazu angehalten, mich zu schämen und meinen Kopf zu senken für Verbrechen, die ich nie begangen habe. Während des Ersten Weltkriegs wurden Deutsche als “Feindbevölkerung” in den USA so drangsaliert, dass seitdem das Deutschtum als Subkultur in den USA praktisch nicht mehr existiert. Warum soll es den Russen besser ergehen? Und natürlich ist die Frage berechtigt: Was haben diese privilegierten Russen getan, um Putin und seine unmenschliche Diktatur zu verhindern?

Ludwig Luhmann / 03.04.2022

Bevor die schöne neue Welt entstehen kann, werden wir lernen, auf Knien zu betteln.

Oliver König / 03.04.2022

Fazit: Einknicken und Selbsterniedrigung vor dem Shitstürmchen selbsternannter “Moralisten” lohnt sich nicht. Die treten dich trotzdem weiter in den Arsch, dann aber noch mit Verachtung.

Weitere anzeigen Leserbrief schreiben:

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Georg Etscheit / 22.03.2024 / 06:15 / 124

Ricarda Lang als Dampfwalze – eine Klatsche aus der bayerischen Provinz

Das „Königlich Bayrische Amtsgericht“ war seinerzeit eine launige ZDF-Fernsehserie. Gestern gab es eine Fortsetzung mit der Grünen-Spitze – humorlos und beleidigt. Der vorgebliche Übeltäter war…/ mehr

Georg Etscheit / 17.03.2024 / 14:00 / 19

Cancel Cuisine: Kopfsalat

Auf vielen Speisekarten taucht gerade ein „ganz besonderes Gericht“: ein Salatkopf im Ganzen, nur mit etwas Dressing verfeinert. Für mich ist ein roh servierter Salat kein Gericht, allenfalls…/ mehr

Georg Etscheit / 10.03.2024 / 12:00 / 29

Cancel Cuisine: Fleischersatz von Bill Gates

Bill Gates investiert Millionen und Milliarden Dollar in Dinge, die ihm wichtig erscheinen. Zum Beispiel in die Landwirtschaft. Und in Fleisch aus dem Drucker. „Ich denke,…/ mehr

Georg Etscheit / 09.03.2024 / 06:15 / 111

Der heimatlose Stammkunde

Der Niedergang der Fachgeschäfte zwingt den Kunden, von Pontius zu Pilatus zu laufen oder selbst zu suchen und dann im Internet zu bestellen. Unlängst hat in…/ mehr

Georg Etscheit / 03.03.2024 / 12:00 / 7

Cancel Cuisine: Spaghetti alle vongole

Ein Abend Italienurlaub lässt sich auch in der heimischen Küche mit Pasta und Venusmuscheln simulieren. Hier steht, wie's geht. Was wäre die Welt ohne Katastrophenszenarien? Klimawandel,…/ mehr

Georg Etscheit / 02.03.2024 / 14:00 / 11

Hauptsache Alarm – Jetzt läuft der Gardasee über 

Der Gardasee kann es den Medien einfach nicht recht machen, entweder es ist eine ausgetrocknete Mondlandschaft oder vom Überlaufen bedroht. Eines aber bleibt konstant: Er…/ mehr

Georg Etscheit / 25.02.2024 / 12:00 / 19

Cancel Cuisine: Über Profigeräte

In Besserverdiener-Haushalten finden sich immer öfter beeindruckende Apparate – von der Kaffeemaschine bis zum Racletteofen. Ich meine, Profigeräte sollten Profis vorbehalten bleiben. „Soll ich dir einen Espresso…/ mehr

Georg Etscheit / 24.02.2024 / 14:00 / 4

Die Schattenseiten des „sanften“ Wintertourismus

In den niedrigen Lagen Oberbayerns stirbt der Skitourismus aus. Wegen immer weniger Schnee zieht die Ski-Karavane einfach daran vorbei. Doch hat sich die Zahl der…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com