Die vom Westen angefeindete Operndiva Anna Netrebko hat sich dazu breitschlagen lassen, den Ukrainekrieg öffentlich zu verurteilen. Prompt wird sie nun in Russland gecancelt – und im Westen weiterhin auch.
Wie tief muss der Bückling sein, zu dem man sich gezwungen sieht, um noch teilhaben zu dürfen am internationalen Kulturzirkus? Wie groß muss der Grad der Selbsterniedrigung sein? Gibt es einen Devotions-Koeffizienten, nach dem sich bemisst, ob man sich in „ausreichendem“ (Serge Dorny, Intendant der Bayerischen Staatsoper) Maße vom neuen, größten Unhold aller Zeiten, vom „Schlächter“ (Biden) und „Kriegsverbrecher“ (Biden) Wladimir Putin distanziert hat?
Bei Anna Netrebko hat es offenbar noch nicht gereicht. Die russische Diva, die wegen ihrer angeblichen oder tatsächlichen Nähe zu Putin und seinem Regime im Westen ebenso in Ungnade gefallen ist wie ihr Dirigentenkollege Waleri Gergijew (dessen Fall indes etwas anders liegt), hatte am 30. März folgende Erklärung abgegeben:
„Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien. Meine Position ist klar. Ich bin weder Mitglied einer politischen Partei noch bin ich mit irgendeinem Führer Russlands verbunden. Ich erkenne und bedauere, dass meine Handlungen oder Aussagen in der Vergangenheit zum Teil falsch interpretiert werden konnten. Tatsächlich habe ich Präsident Putin in meinem ganzen Leben nur eine Handvoll Mal getroffen, vor allem im Rahmen von Verleihungen von Auszeichnungen für meine Kunst oder bei der Eröffnungsfeier der Olympischen Spiele. Ich habe ansonsten nie finanzielle Unterstützung von der russischen Regierung erhalten und lebe in Österreich, wo ich auch steuerlich ansässig bin. Ich liebe mein Heimatland Russland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an. Nach der angekündigten Auftrittspause werde ich meine Opern- und Konzertauftritte Ende Mai, zunächst in Europa, wieder aufnehmen.“
Man plane, Netrebko zu ersetzen
Was soll man noch schreiben, wenn man nicht gleich zum Tyrannenmord aufrufen will oder, wie der senile US-Präsident Joe Biden ohne Teleprompter zum „regime change“, koste es, was es wolle. Die New Yorker Metropolitan Opera jedenfalls, die einst, wie die meisten großen Opernhäuser und Musikfestivals, vom Netrebko-Rummel nicht genug kriegen konnte, weil Tickets für Auftritte der göttlichen Anna weggingen wie geschnitten Brot, ließ mitteilen, sie bleibe dabei, die Zusammenarbeit mit der Sopranistin nicht wieder aufnehmen zu wollen.
Wie der Intendant der Salzburger Festspiele, Markus Hinterhäuser, die neuen Einlassungen Netrebkos bewertet, war bislang nicht in Erfahrung zu bringen. Eine diesbezügliche Anfrage blieb unbeantwortet. Zuvor hatte er noch mitgeteilt, dass es in den nächsten Jahren „mit Sicherheit“ nicht zu Auftritten von ihr bei den Festspielen kommen werde. Das stand in Widerspruch zu seinen früheren Äußerungen, wonach russische Künstler nicht geächtet werden sollten. Wegen der politischen Repression in Russland sei es falsch, allen Menschen mit russischem Pass Stellungnahmen abzuverlangen, die sie kaum geben könnten. „Das hat nichts mit einer Art von Putin-Hörigkeit zu tun. Das kann auch die nackte Überlebensangst sein.“
Touché! Gerade wurde bekannt, dass das Opernhaus in Novosibirsk einen für den 2. Juni geplanten Auftritt Netrebkos in der sibirischen Metropole abgesagt habe. Die Sängerin habe ihr Heimatland verraten, warf ihr die Leitung des Hauses indirekt vor. „In Europa zu leben und die Gelegenheit zu haben, in europäischen Konzertsälen aufzutreten, hat sich für sie als wichtiger erwiesen als das Schicksal ihres Vaterlandes“, kritisierte das Opernhaus Netrebko in einer Mitteilung. Man habe ausreichend andere Künstler in Russland, die „eine klare staatsbürgerliche Haltung“ hätten und plane daher, Netrebko zu ersetzen, hieß es in einer Verlautbarung.
Darling der Feuilletons bleiben
Jetzt darf man gespannt sein, wie es um die weitere Karriere von Teodor Currentzis steht. Der gebürtige Grieche hatte sich dereinst in Russland seine ersten Meriten als exzentrischer Pultstar verdient und war dafür als „Wunder von Perm“ gefeiert worden. Dass er dabei auch auf die Hilfe russischer Finanziers – darunter die auf der aktuellen Sanktionsliste stehende VTB-Bank – gesetzt hatte, war kein Geheimnis, wird ihm aber jetzt, wo er längst im Westen Fuß gefasst hat, zur Last gelegt. Mit politischen Äußerungen war er bislang nicht hervorgetreten.
Doch der gleiche Markus Hinterhäuser, der Currentzis zum neuen Star der Salzburger Festspiele nach dem Tod von Nikolaus Harnoncourt aufgebaut hat, forderte jetzt auch von ihm ein „klares Bekenntnis“. Im Sommer stehen damit seine Auftritte zusammen mit seinen russischen musicAeterna-Ensembles auf der Kippe, Angelpunkte des Festspielprogramms. Aber was tut man nicht alles, um die Meute in Schach zu halten und Darling der Feuilletons zu bleiben.
Der Südwestrundfunk (SWR), dessen renommiertes Symphonieorchester von Currentzis geleitet wird, scheint ihm bislang noch die Stange zu halten, steht aber unter Druck von Journalisten, die ihm vorwerfen, jahrelang vom „System Putin“ profitiert zu haben. Dagegen legte die Bayerische Staatsoper die für dieses Frühjahr geplante Premiere einer zeitgenössischen Oper unter Currentzis‘ musikalischen Leitung auf Eis, offiziell wegen einer in diesen Zeiten nicht leistbaren „anspruchsvollen Probenarbeit“.
Keine Grautöne mehr
Dass Currentzis, mittlerweile Chefdirigent des SWR-Symphonieorchesters in Stuttgart, bislang nicht dazu bereit war, den Kotau zu leisten, mag damit zu tun haben, dass er in diesen prekären Zeiten seine russischen Musiker, denen er so viel zu verdanken hat, nicht im Regen stehen lassen will. Aber in Kriegszeiten gibt es kein Lavieren, keine Graustufen. Da gibt es nur dafür oder dagegen, schwarz oder weiß, Freund oder Feind. Auch im mitunter so selbstgerecht auf seine freiheitlichen Werte pochenden Westen.
Postskriptum: Während auf zum Teil gehässige Weise schon über ein Ende von Anna Netrebkos Karriere spekuliert wird, dürfte Gergijew die Arbeit nicht ausgehen. Er war als Chefdirigent der Münchner Philharmoniker geschasst worden, nachdem er ein Ultimatum, sich von Putins Krieg zu distanzieren, hatte verstreichen lassen. Jetzt soll er wohl neben seinem Posten als künstlerischer Leiter des St. Petersburger Marijnsky-Theaters auch das Moskauer Bolschoi übernehmen und damit so etwas wie ein allrussischer Generalsuperintendant werden. Der bisherige Bolschoi-Musikchef Tugan Sokhiev hatte sich entschlossen, die Position niederzulegen, weil er sich aus politischen Fragen heraushalten wollte. Auch seine Funktion als Leiter eines französischen Orchesters hatte er niedergelegt.