Bis vor kurzem war der Sudan noch als „Schurkenstaat“ schlechthin bekannt. Das Land in Nordostafrika mit seiner überwiegend muslimischen Bevölkerung galt als Hort des islamistischen Terrors, fest verortet auf der „Achse des Bösen“. Doch damit ist es vorbei. Als eine seiner letzten Amtshandlungen strich US-Präsident Donald Trump den Sudan von der seit 1993 geführten Liste staatlicher Terrorismusunterstützer. Nicht nur das: Unter Vermittlung der US-Regierung kündigte der Sudan an, diplomatische Beziehungen zum einst verhassten Israel aufnehmen zu wollen.
Was kam es zu dieser Aufsehen erregenden Wandlung eines international geächteten Staates zum langsam wieder wohl gelittenen Mitglied der Völkergemeinschaft?
Von der Weltöffentlichkeit wenig beachtet, hatte sich im Frühjahr 2019 im Sudan eine Revolution ereignet. Der langjährige Diktator Umar al-Baschir war im Verlauf der turbulenten und zum Teil auch blutigen Ereignisse gestürzt worden. Seither regiert der „Souveräne Rat“, ein elfköpfiges Gremium aus Militärangehörigen und Zivilisten, das viele der drakonischen Gesetze aus der Baschir-Ära abschaffte und den 40 Millionen Sudanesen endlich mehr demokratische Rechte und Freiheiten zugestehen will. Für 2022 sind erstmals seit Jahrzehnten freie Wahlen geplant.
Prügelstrafe für Frauen, wenn sie eine Hose trugen
Seit der Unabhängigkeit von Großbritannien war der Sudan, im Norden in etwa deckungsgleich mit dem uralten nubischen Reich von Kusch am Oberlauf des Nils, politisch nicht zur Ruhe gekommen. Wie in vielen nachkolonialen Staaten wechselten sich Militärregimes mit Zivilregierungen ab, die ebenfalls autoritären Charakter besaßen. Sie setzten oft auf sozialistische und panafrikanische Rezepte, die wirtschaftlich wenig effizient und ähnlich korruptionsanfällig waren. Ein endloser Bürgerkrieg im christlich geprägten Süden, der schließlich zur Abspaltung des Südsudans als eigener Staat führte, schwächte das von ethnischen und religiösen Konflikten zerrissene Land.
Nach einem unblutigen Militärputsch 1989 hatte der General Umar al-Baschir das Präsidentenamt inne. Offenbar mit Unterstützung des Irans errichtete er ein islamisch-fundamentalistisches Regime, führte das Scharia-Recht ein und steckte Unsummen in Militär und Sicherheitsapparat. Vor allem für Frauen, Nicht-Muslime und sexuelle Minderheiten verschlechterten sich die Lebensbedingungen tiefgreifend. So drohte Frauen die Prügelstrafe, wenn sie eine Hose trugen, auch Genitalverstümmelungen waren an der Tagesordnung. Al-Baschir war zudem verantwortlich für groß angelegte Vertreibungen und Massaker in der Darfur-Region. Der Internationale Strafgerichtshof erließ deswegen einen Haftbefehl gegen Al-Baschir, es war der erste gegen einen amtierenden Staatschef. Die neue Regierung kündigte 2020 an, den früheren Machthaber nach Den Haag auszuliefern.
Auslöser der Revolution war, wie so oft, eine angekündigte Erhöhung der Lebensmittelpreise durch das Regime im Dezember 2018. Damit sollte die Wirtschaft stabilisiert werden, die nach der Sezession des an Erdöl reichen Südsudans in eine schwere Krise geschlittert war. Die vor allem auch von Frauen getragene Revolte – anfänglich sollen rund 70 Prozent der Demonstranten weiblich gewesen sein – breitete sich rasch über große Teile des Landes aus, wobei sich die Forderungen radikalisierten und schließlich nicht mehr nur auf wirtschaftliche Verbesserungen zielten, sondern auf eine Beseitigung al-Baschirs und seiner Gewaltherrschaft.
Zunächst blieb die Revolution auf halbem Wege stecken
Die Köpfe der sudanesischen Revolution waren weiblich: Die Studentin Alaa Salah wurde als „Lady Liberty of Sudan“ weltbekannt durch ein Foto, das sie singend auf einem Autodach zeigt. Auch die Radiomoderatorin Maya Gadir leistete ihren Beitrag zur Mobilisierung der Massen im zu dieser Zeit noch zensierten Rundfunk: Sie spielte Songs von Musikerinnen, die währen des arabischen Frühlings veröffentlicht worden waren.
Zunächst blieb die Revolution auf halbem Wege stecken. Das Militär stürzte zwar al-Baschir, setzte jedoch einen Übergangsrat ein, der mit großer Härte gegen die anhaltenden Proteste vorging. Dabei kam es am 3. Juni 2019 zum sogenannten Khartoum-Massaker, bei dem ein friedliches Sit-in vor dem Militärhauptquartier brutal zerschlagen wurde. Das Blutbad und darauf folgende Verhaftungen heizten die Proteste weiter an und führten zu einem dreitägigen Generalstreik, der erst endete, als der Übergangsrat einlenkte, politische Gefangene freiließ und zusicherte, mit der Opposition, die sich unter dem Namen „Forces of Freedom and Change“ (FFC) zusammengeschlossen hatte, Verhandlungen über eine zivile Übergangsregierung aufzunehmen.
Seither teilen sich Vertreter des Militärs und der Opposition FFC die Macht, wobei einem zivilen Premierminister – Abdallah Hamdok – der General Abdel-Fattah al-Burhan als Vorsitzender des Souveränen Rates und faktisches Staatsoberhaupt sowie Mohammed Dagalo alias „Hemeti“ als dessen Stellvertreter gegenüberstehen. Hemeti war als Anführer einer paramilitärischen Einheit an den Völkermord-Aktionen in Darfur beteiligt. Alte und neue Kräfte ringen im Sudan weiter um die Zukunft des Landes, doch wurden bereits mehrere frauenfeindliche Gesetze zurückgenommen und der Presse mehr Freiheit gewährt. Außerdem gelang es, mit einem großen Teil der Rebellen aus Darfur und anderen Regionen ein Friedensabkommen zu unterzeichnen. Jetzt hängt es vor allem von der wirtschaftlichen Entwicklung ab, ob der Sudan von der Liste des „failed states“ endgültig gestrichen werden kann.
Weitere Teile dieser Reihe:
Die EDSA-Revolution auf den Philippinen
Solidarność
Die Nelkenrevolution
Der arabische Frühling
Die „Besen“-Revolution in Burkina Faso