Georg Etscheit / 27.03.2021 / 10:00 / Foto: Pixabay / 7 / Seite ausdrucken

Anleitung zum Ungehorsam (5): Die „Besen“-Revolution in Burkina Faso

Soziale Bewegungen, die sich eine Veränderung politischer Verhältnisse auf die Fahnen geschrieben haben, verfügen stets über ein Repertoire von Symbolen und Slogans. In Portugal waren es rote Nelken in Gewehrläufen, in der DDR die zum Mythos gewordenen und vielfach kopierten „Montagsdemonstrationen“ mit dem Schlachtruf „Wir sind das Volk“, im Irak bewarfen wütende Bürger eine Statue des kurz zuvor gestürzten Machthabers Saddam Hussein mit Schuhen, ein vor allem im arabischen Raum verbreitetes Zeichen der Verachtung.

In der Ukraine schmückten sich die Anhänger der Majdan-Proteste 2004 mit orangenen Tüchern und trugen orangene Fahnen, daher der Name „orangene Revolution“. In Hongkong „bewaffneten“ sich Bürgerrechtler bei den anti-chinesischen Demonstrationen 2014 mit gelben Regenschirmen und bei den regimekritischen Protesten 2009 im Iran waren es grüne Bänder, die die Demonstranten und ihre Idee von einem „Islam mit menschlichem Antlitz“ verbanden (siehe hier).

Gemeinsame Symbole verdichten komplexe politische Botschaften auf einen gemeinsamen, allgemein verständlichen „Nenner“, sie schaffen ein Gemeinschaftsgefühl und tragen zu jener Emotionalisierung bei, die einer Bewegung oft den entscheidenden Schub verleiht. In Burkina Faso waren es Besen, Kochlöffel und Rapsongs, die 2014 den seit 27 Jahren autokratisch regierenden Präsidenten Blaise Compaoré aus dem Amt und schließlich außer Landes trieben. Es war gewissermaßen die afrikanische Variante des arabischen Frühlings, allerdings ohne eine vergleichbare Kettenreaktion von Protesten und Umstürzen in anderen Staaten des „schwarzen“ Kontinents.

Burkina Faso, das einstige Obervolta, ist ein kleines Land mit rund zwanzig Millionen Einwohnern in Westafrika. Nach der Unabhängigkeit von Frankreich im Jahre 1960 kam das Land nie wirklich zur Ruhe, Umstürze und Militärcoups wechselten sich in kurzer Folge ab, bis 1983, ebenfalls durch einen Putsch, der linksgerichtete, charismatische Politiker Thomas Sankara an die Macht kam. Sein Ziel war eine soziale Revolution, mit der die Lebensbedingungen der arbeitenden Bevölkerung verbessert werden sollte. Um mit der kolonialen Vergangenheit endgültig zu brechen, benannte er 1984 das Land um – Burkina Faso heißt so viel wie „Land der ehrenwerten Menschen“. Er investierte in Bildung und Infrastruktur und kämpfte für die Gleichstellung der Frauen. Trotzdem ist Burkina Faso bis heute eines der ärmsten Länder des Kontinents.

Sankara wurde vor allem von der vielfach unterbeschäftigten und frustrierten Jugend in der Hauptstadt Ouagadougou als „Che Guevara“ Afrikas verehrt und ist bis heute ihr Idol. Doch Sankaras sozialistische Utopie mündete wiederum in Dogmatismus und Machtmissbrauch. 1987 putschte sein einstiger Weggefährte Blaise Compaoré. Dabei kam Sankara unter weitgehend ungeklärten Umständen ums Leben. Der neue Staatschef schuf eine Fassadendemokratie, liberalisierte die Wirtschaft und näherte sich wieder der einstigen Kolonialmacht Frankreich an. Das alte Spiel begann von neuem, doch konnte sich Compaoré trotz wiederholter Putschversuche mehr als ein Vierteljahrhundert im Amt halten.

Zum Verhängnis wurde ihm der Versuch, sich im Rahmen einer Verfassungsänderung eine dritte Amtszeit zu ermöglichen. In kürzester Zeit bildete sich Ende Oktober 2014 die mächtige Protestbewegung „Bürgerbesen“ (Balai citoyen), anknüpfend an das vielfach als fortschrittlich erinnerte Erbe Sankaras und die Protestbewegung „Es reicht“ (Y’en a marre), die 2011 dem damaligen Präsidenten Abdoulaye Wade im Senegal eine Wahlniederlage eingebracht und Wahlfälschungen verhindert hatte. Fotos von den Massendemonstrationen in Ouagadougou zeigen riesige Menschenmengen, die drohend Kochlöffel und Besen in die Höhe halten, Zeichen ihres Willens, das korrupte politische System hinwegzufegen. Quasi das primitivere Pendant zum „Kärcher“, dem von Frankreichs Präsident Nicholas Sarkozy in anderem Zusammenhang verbal bemühten Hochdruckreiniger.

Von stabilen politischen Verhältnissen noch weit entfernt

Die burkinische „Oktoberrevolution“ hatte nicht nur populäre Symbole, sondern auch populäre und charismatische Köpfe wie den Reggaemusiker und Radiomoderator Sams’k Le Jah, in dessen Songs der ermordete Thomas Sankara verherrlicht wird, sowie den Rapper Serge Bambara, genannt Smockey, der selbst dann nicht aufgab, als sein Aufnahmestudio von einer Panzerfaust zerstört wurde. Ihr cooles Image mobilisierte vor allem die Jugend und ließ die Revolution teilweise zum künstlerischen Happening werden, wobei man nicht vergessen darf, dass einige Dutzend Menschen im Verlauf der Ereignisse zu Tode kamen. „Imagination ist die Hefe der Revolte, Phantasie der Katalysator sozialer und politischer Veränderung“, sagt Peter Stephan, der frühere Leiter der Goethe-Institute in Burkina Faso und Ruanda.

Die Revolution brachte zwar das politische Ende des verhassten Präsidenten Compaoré, der schließlich auch die Rückendeckung des Militärs verloren hatte und ins Exil ging, doch trotz einer durchaus erfreulichen ökonomischen Entwicklung ist das Land von wirklich stabilen politischen Verhältnissen noch weit entfernt. Allerdings zeigten die Ereignisse des Oktobers 2014, dass sich Diktatoren und Autokraten auch in Ländern ohne lange, demokratische Traditionen ihrer Macht nie sicher sein können. Und wie entscheidend die Macht der Symbole ist.

Weitere Teile dieser Reihe:

Die EDSA-Revolution auf den Philippinen

Solidarność

Die Nelkenrevolution

Der arabische Frühling

Foto: Pixabay

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Sabine Heinrich / 27.03.2021

Sehr geehrter @Herr Seitz, ganz herzlichen Dank für Ihren Kommentar, der ein so ganz anderes Bild von Burkina Faso und vor allem Thomas Sankara zeigt als das von Herrn Etscheid gezeichnete. Sie sind in meinen Augen durch Ihren langjährigen Aufenthalt, Ihre Arbeit mitten im Leben von Afrika und ihre scheuklappenfreie Sicht auf diesen Kontinent DER Afrikakenner für mich! Danke für all Ihre bisherigen Beiträge!

Ulrich Pletzer / 27.03.2021

@Rolf Mainz Sie fragen wie sich die christlichen Kirchenfürsten Westeuropas heute Jesus Christus gegenüber Verhalten würden? Nun, sie würden ihm die Dornenkrone ab- und einen Aluhut aufsetzen und ihn wegen nicht gendergerechter Sprache aus dem Kirchentag hinaus jagen

Volker Seitz / 27.03.2021

Teil 2 Machtmißbrauch ?? Sankara motivierte die Bevölkerung dazu, 105 Kilometer Eisenbahnschienen in Handarbeit zu verlegen, ließ Millionen Bäume gegen das Voranschreiten der Wüste pflanzen, baute Dämme und Bewässerungskanäle. Die landwirtschaftliche Produktion in Burkina Faso wuchs zwischen 1983 und 1986 um 75 Prozent. Immer mehr Burkinabe konnten von dem leben, was im Land produziert wurde. Der Hauptrohstoff des Landes Baumwolle wurde in eigenen Fabriken zu Kleidung verarbeitet. In Sankaras Regierungszeit entstanden Dorfkliniken und Gemeindezentren, mobile Gesundheitsteams impften 1984 in zwei Wochen mehr als zwei Millionen Kinder, 1986 lernten 35.000 Dorfbewohner in drei Monaten lesen und schreiben (Isabel Pfaff, „Afrikas Che Guevara“, in: SZ Nr. 210, 12./13. September 2015, S. 57) Nur sehr wenige Staatschefs in Afrika ( z.B. in Ruanda, Botswana, Mauritius) brennen dafür, ihr Land voranzutreiben. Bei Problemen wird nicht sofort nach einer Lösung gesucht, sondern man sieht sich lieber als Opfer. Die Autokraten haben Afrika mit ihrem Nichtstun zu Bettlern gemacht. Der Nachfolger Blaise Compaoré begann damit, viele Errungenschaften im Land zurückzudrehen. Es kam zu Einschüchterungen, über Sankara durfte nicht mehr gesprochen werden. Compaoré regierte von 1987 bis Oktober 2014 und versuchte, mit einer Verfassungsänderung länger an der Macht zu bleiben. Es kam zu Massenprotesten mit dem Abbild des bis heute von der jungen Generation in Burkina Faso wie ein Popstar verehrten Thomas Sankara. Nach 27 Jahren an der Macht floh Compaoré mit Hilfe der französischen Armee (!) in die benachbarte Côte d’Ivoire.

Volker Seitz / 27.03.2021

Teil 1 Der ermordete Sozialreformers Thomas Sankara, führte in seiner kurzen Amtszeit als Staatoberhaupt von Burkina Faso (1983-87) den Menschen deutlich vor Augen , dass sie selbst durch Eigeninitiativen und Konsumverzicht ihre Lage deutlich verbessern können. Noch heute, 34 Jahre nach seinem Tod bei einem Schusswechsel zwischen Putschisten und seiner Leibgarde, gilt Thomas Sankara als Volksheld und Vorbild für viele Afrikaner. Er träumte davon, einen Staat frei von Korruption zu schaffen, unabhängig vom Westen. Als Präsident trat er meistens in Uniform auf. Das rote Barett war sein Markenzeichen. Thomas Sankara ( war der fünfte Staatschef von Burkina Faso. Durch einen Staatsstreich übernahm er 1983 die Macht und regierte das Land bis zu seiner Ermordung.  (Als Hintermann seiner Ermordung gilt sein politischer Weggefährte und Nachfolger Blaise Compaoré.)  Zum ersten Jahrestag der Revolution benannte Sankara Obervolta in Burkina Faso („Land der aufrechten Menschen“) um. Er machte u.a. durch eine Landreform Burkina von Lebensmittelimporten unabhängig, in nur vier Jahren hatte er Nahrungsmittelautonomie für sein Land erreicht. Er förderte die Stellung der Frau (wie heute erfolgreich auch Ruanda). Seine Regierung hatte die höchste Frauenquote in Afrika. Erfolgreich wurden Korruption, Armut und Hunger bekämpft. Es gab verbesserte Bildungsmöglichkeiten und eine Gesundheitsversorgung, die den Namen verdiente. Er selbst, Minister und Staatsbedienstete hatten keine Privilegien.

Rolf Mainz / 27.03.2021

@Frances Johnson: Ihrem ersten Satz kann nur zugestimmt werden. Und Jesus würde im heutigen Deutschland von 95% der Medien verleumdet sowie bereits vom Verfassungsschutz beobachtet - wenn er denn überhaupt noch auf freiem Fuss wäre… Wie sich die christlichen Kirchen(fürsten/innen) Westeuropas zu ihm stellen würden, mag sich jeder selbst ausmalen.

Rolf Mainz / 27.03.2021

Der Autor hätte vielleicht noch die “Gelbwesten” in Frankreich erwähnen können. Auch schön farbig und von hohem Symbolgehalt ;-) Im Ernst: was ist die Quintessenz des Beitrags? Am ehesten noch, dass der afrikanische Kontinent in heutiger Form offenbar seine Zukunft hinter sich haben dürfte. PS: und mit Schuhen warfen die zitierten Herrschaften sicherheitshalber erst, nachdem(!) Hussein gestürzt war…

Frances Johnson / 27.03.2021

In Deutschland ist am ehesten angesichts einer Pfarrerstochter, die eine Art starren Tempelorden installiert hat, an eine Besenrevolution zu denken in Erinnerung an Jesu Aussage,, der Tempel müsse mit dem Besen ausgekehrt werden. Nun ist das Problem, dass eine Revolution in D gar nicht zu erwarten ist angesichts der Vollkaskomentalität vieler Landsleute, die von dem neuen Tempelorden gut bedient wird, scheinbare Sicherheit statt Freiheit. Gestern schrieb ich, man solle, nachdem die Älteren, die bewegungsunfähig sind, also Pflegefälle, wohl geimpft seien, alles öffnen, dem Bürger seine Eigenverantwortung auferlegen und ihn nicht aus dem Urlaub zurückholen. Damit meinte ich staatliche Rückholaktionen auf Kosten des Steuerzahlers, gegen die ich immer schon war, auch in Fällen, wo jemand im Jemen entführt wird. Ich meinte nicht eine abgeschlossene Versicherung, die ich durchaus als Fall von guter Eigenverantwortung empfinde, sondern die fordernde, den Staat einbindende, Vollkaskomentalität. Diese muss dringend gekippt werden, sonst entsteht ein dauerhaft unfreies Land. Leben ohne Risiko ist kein Leben, und manches Risiko kann privat abgesichert werden. Nur bei großen Naturkatastrophen (C19 ist weißgott keine) wie Vulkanausbrüchen oder Tsunami bzw. Erdbeben sollte die Staatengemeinschaft eingreifen. Ansonsten ist dringend geboten, den Bürger zurückzustutzen auf seine Eigenverantwortlichkeit und seine Fähigkeit, eine Risikoeinschätzung für sich vorzunehmen, zu fördern. Solange aber die Michelmehrheit den Staat als Hauptverantwortlichen für die Abgründe ihres Lebens definiert, ist hier an Besen und ähnliche Dinge kaum zu denken.

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