Manches an den Auftritten und Berichten zum Thema Affenpocken erinnert zwar an den Beginn der Corona-Zeit, doch so leicht wiederholt sich die Geschichte nicht. Aber es ist ein guter Anlass, sich 35 Jahre zurückzuerinnern.
Dies ist kein Beitrag zur medizinischen Aufklärung über die Affenpocken, der wird später an dieser Stelle sicher noch kommen. Hier geht es um den Auftritt von Politik und Medien, zu dem selbige das Auftreten der Affenpocken außerhalb ihrer traditionellen Verbreitungsgebiete nutzen. Irgendwie erscheint einem doch vieles in der Affenpocken-Berichterstattung wie eine schon einmal gesehene Aufführung, wie der Beginn eines bekannten und ungeliebten Theaterstücks. Zumindest diese ersten Szenen erinnern ein wenig an den Auftakt jenes Corona-Dramas, das sich in Ausnahmezuständen, Lockdowns, Impfnötigung, Ausgrenzung Ungeimpfter, Testpflichten und dem Impfzwang für bestimmte Berufsgruppen fortsetzte. Manche hoffen, dieses Stück wäre bereits am Ende angelangt, manche Protagonisten arbeiten hingegen trotzig an seiner Fortsetzung.
Nun kommen also die Affenpocken. Zwar sind Krankheit und Erreger im Gegensatz zu Covid-19 nicht neu und es gibt auch keine diktatorische Großmacht, die beispielgebend die Bürger in ihre Häuser sperrte und Ausgangssperren verhängte. Die westlichen Staaten mussten Grundrechte einschränken, um ebenfalls Ausgangssperren verhängen und das öffentliche Leben nahezu stilllegen zu können.
Jetzt gibt es aktuell zwar auch in China wieder Städte im Lockdown, aber immer noch wegen Covid-19 und nicht wegen der Affenpocken. Aber das Vorbild eines solchen bis dato in der freien Welt unvorstellbaren Ausnahmezustands braucht der Westen auch gar nicht mehr. Vielen lange Zeit mal mehr oder mal weniger durch ein Vorschriftenregime entrechteten Bürgern sitzt diese Erfahrung aus den letzten zwei Jahren noch in den Knochen.
Fünf von 80 Millionen
Und so ist es wie ein Deja vu, wenn jetzt jede einzelne Affenpocken-Erkrankung in Eilmeldungen durchs Land verbreitet wird, als sei eine Seuche im Anmarsch. Zu hören, zu lesen und zu sehen ist wieder eine Kakophonie von Meldungen, wie im Februar 2020. Jeder Kranke wird gezählt, jeder Kontakt unter großer Medienanteilnahme weiterverfolgt, viele Experten und Politiker beruhigen die Menschen, aber mahnen gleichzeitig zur Vorsicht, die Onlinemedien-Ableger von Zeitungen und TV-Sendern werfen die thematischen Newsticker zu Virus und Krankheit an und einer hört sich an, als wolle er schon wieder mit gängelnden Maßnahmen beginnen: Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach.
So meldet der Affenpocken-Newsticker von merkur.de am 23. Mai um 14.26 Uhr: „Laut Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach werden nach den ersten Affenpocken-Fällen in Deutschland Eindämmungsmaßnahmen vorbereitet. Aktuell würden gemeinsam mit dem RKI Empfehlungen zu Isolation und Quarantäne erarbeitet, sagte der Gesundheitsminister am Montag am Rande der Weltgesundheitsversammlung in Genf. Er gehe davon aus, dass sie bereits an diesem Dienstag (24. Mai) vorgelegt werden könnten.“
Zu diesem Zeitpunkt waren fünf Menschen einer 80-Millionen-Bevölkerung an den Affenpocken erkrankt. Außerdem ließ der Minister verlauten, dass darüber nachgedacht werde „ob wir vielleicht Impfempfehlungen aussprechen müssen für besonders gefährdete Personen“. Dazu würde auch gehören, zu prüfen, ob eventuell Impfstoffe beschafft werden müssten, und wenn ja wo. Er hätte schon Kontakt mit einem Hersteller aufgenommen, der Impfstoffe spezifisch für die Affenpocken herstelle. Lauterbach habe aber betont, dass eine Impfung der allgemeinen Bevölkerung hier nicht im Gespräch sei. Wie beruhigend.
Aber damit die zunächst noch durchweg beruhigenden Stimmen aus der Wissenschaft nicht ungestört wirken können, tat er, was er am besten kann: eindringlich warnen. In der Meldung hieß es weiter:
„Der weltweite Ausbruch sei so ungewöhnlich, dass man sich Sorgen machen müsse, ob er so ablaufe wie frühere Affenpocken-Ausbrüche. Es sei eher damit zu rechnen, dass sich Art und Weise der Verbreitung geändert haben könnten, „so dass wir jetzt schnell und hart reagieren müssen, um einen globalen Ausbruch wieder einzudämmen“, forderte Lauterbach.“
„Für die Allgemeinheit gefährlich“
Allein ist Lauterbach damit nicht. Auch Bayerns Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) hat sich bereits für umfangreiche Präventionsmaßnahmen gegen Affenpocken ausgesprochen.
Während sich diese Minister Sorgen machen, würzen die Medien ihre Affenpocken-Berichterstattung zwar gern mit gehörig Aufregung, aber lassen dennoch vor allem beruhigende Stimmen aus Wissenschaft und Politik zu Wort kommen. Aber das war am Beginn von Corona, vor dem Ausnahmezustand, auch nicht anders. „Dass das Affenpockenvirus eine neue Pandemie verursacht, wird von Fachleuten nicht befürchtet. Das gehäufte Auftreten von Infektionen außerhalb Afrikas hat die Wissenschaft dennoch in erhöhte Aufmerksamkeit versetzt“, heißt es beispielsweise bei tagesspiegel.de. Und welt.de schreibt: „Für den Virologen Klaus Stöhr ist es „überraschend“, dass immer mehr Affenpocken-Fälle gemeldet werden. Dennoch hält er die Ausbreitung für „nicht besorgniserregend“. Die Wahrscheinlichkeit, sich zu infizieren, sei sehr gering: ‚Es erfordert einen intensiven Schleimhaut-Kontakt’.“
Aber manche politischen Verantwortungsträger wollen das nicht so stehenlassen und irgendwie handeln. Ob auch die Schritte anderer Länder wieder beispielgebend sein werden wie am Beginn der ersten Corona-Maßnahmen, wird sich bald zeigen. Belgien hat am Wochenende vorgelegt: „Affenpocken: Belgien führt als erstes Land der Welt Quarantäne ein – für 21 Tage“ titelte bild.de. Der Deutschlandfunk meldete:
„In den Niederlanden erließ der staatliche Gesundheitsdienst RIVM eine Meldepflicht für die Krankheit. Wie das Gesundheitsministerium in Den Haag mitteilte, müssen Ärzte müssen die Behörde bereits beim Verdacht auf eine Infektion mit dem Affenpockenvirus unterrichten. In Schweden stufte die Regierung die Krankheit als für die Allgemeinheit gefährlich ein. Dies ermögliche, Maßnahmen zum Infektionsschutz zu ergreifen, um die weitere Ausbreitung zu verhindern, erklärte Sozialministerin Hallengren in Stockholm.“
Die oben zitierten Äußerungen von Karl Lauterbach lassen vermuten, dass er gern mit ähnlichen Maßnahmen kommen würde. Zwar sehen die meisten Experten keine akute Gefahr, aber das Vorhandensein realer Gefahren war für viele Maßnahmen-Freunde unter den Poltikern weder damals noch heute ein entscheidendes Kriterium.
„Männer, die mit anderen Männern Geschlechtsverkehr hatten“
Trotz aller Deja vus: Es gibt einen Umstand, der den Polit-Dramaturgen die Möglichkeit zur einfachen Wiederholung verbaut. Wie heißt es im öffentlich-rechtlichen Deutsch im Deutschlandfunk: „Ein großer Teil der bislang bestätigten Fälle betrifft Männer, die mit anderen Männern Geschlechtsverkehr hatten.“ Damit keiner auf die Idee kommt, nun gegen diese Risikogruppe Maßnahmen ergreifen zu wollen, warnen etliche Organisationen lieber rechtzeitig vor Homophobie in der Affenpocken-Diskussion.
Da kommen einem Erinnerungen an einen Mann, der in den Achtzigern die Verbreitung von AIDS mit Maßnahmen stoppen wollte, die in der westdeutschen Öffentlichkeit damals Erschrecken auslösten, aber einem nach zwei Jahren Corona-Regime beinahe vertraut vorkommen. Der umstrittene Politiker war Peter Gauweiler, 1987 Innenstaatssekretär in Bayern, als er maßgeblich daran beteiligt war, ein paar Maßnahmen im Freistaat durchzusetzen und weitere – damals nicht realisierbare – zu planen. Vor 35 Jahren, im Mai 1987, beschloss die Staatsregierung in München ein Maßnahmenpaket, an das der WDR sich so erinnerte: „’Ab sofort werden in Bayern’, verkündet Landesinnenminister August Lang (CSU), ‘Ansteckungsverdächtige zur Durchführung des HIV-Tests vorgeladen.’ Als ansteckungsverdächtig gelten Prostituierte, Junkies und Schwule. "Kommen die Betroffenen der Vorladung nicht nach, veranlasst die Gesundheitsbehörde die Aufenthaltsermittlung und Vorführung durch die Polizei."
Diese Maßnahmen sorgten für empörte Reaktionen, über die der Spiegel seinerzeit berichtete:
„Ein »gesundheitspolitisches Verbrechen«, urteilte die Deutsche Aids-Hilfe, habe das Münchner CSU-Kabinett begangen, als es am Dienstag seinen sogenannten Aids-Maßnahmenkatalog verabschiedete. Die Deutsche Gesellschaft für Sexualforschung sah sogar die Grenze überschritten, »welche die Zivilisation von der Barbarei trennt«.
Zwangsuntersuchungen für Fixer und Prostituierte beiderlei Geschlechts, Testpflicht für einwanderungswillige Nichteuropäer, Einstellungsstopp für infizierte Beamtenbewerber, Kondomzwang im Bordell - »erbarmungslos und rigoros«, rügte auch die bayrische SPD, wolle der Freistaat gegen die Seuche vorgehen.
Außerhalb der weißblauen Grenzen lief es Kommentatoren jeglicher Couleur angesichts des christsozialen Anti-Aids-Kreuzzuges »kalt den Rücken hinunter": Ob es im Lande des Franz Josef Strauß »künftig ein 'Aids-KZ' geben« werde oder gar einen »Stacheldrahtzaun rund um Bayern«, fragte der Leitartikler des liberalen Bremer"Weser-Kurier«. Der Kollege vom unionsnahen »Hamburger Abendblatt« fühlte sich an die »Pestbekämpfung des Mittelalters« erinnert.“
„Nicht zögern, neue Wege zu beschreiten“
Es gab 1987 noch weit verbreitete heftige Reaktionen auf solche Art Zwangsmaßnahmen, die 33 Jahre später ausgeblieben sind. Abgesehen davon, dass der damals von der SPD noch beklagte Kondomzwang im Bordell inzwischen längst bundesweit gilt, blieb eine Wiederholung des Versuchs, eine Krankheit mit solchen oder einschneidenderen Maßnahmen einzudämmen, bis zum ersten Corona-Lockdown hierzulande kaum vorstellbar.
Jetzt klingt der Grundton damaliger Gauweiler-Unterstützer, wie beispielsweise des Hamburger Rechtsprofessor Eike von Hippel, irgendwie vertraut. Blicken wir noch einmal in den Spiegel von 1987:
„In der »Zeitschrift für Rechtspolitik« kam Hippel zu dem Schluß, mit Aufklärungsaktionen allein sei der Seuche nicht mehr beizukommen; Meldepflichten und Routineuntersuchungen nach ausländischem Vorbild müßten her: »Da die bisherige Aids-Politik, die auf Aufklärung und freiwillige Aids-Tests setzt, weder in den USA noch in der Bundesrepublik die jährliche Verdoppelung der Aids-Fälle verhindert hat, sollte man nun nicht länger zögern, neue Wege zu beschreiten.« Denn, so von Hippel: »Wenn es tragischerweise auch nicht mehr möglich ist, die (vermutlich 100000 bis 200000) Menschen zu retten, die in der Bundesrepublik bereits vom Aids-Virus befallen sind, so muß nun doch alles getan werden, um zu verhindern, daß die Aids-Seuche in der bisherigen Weise weiterwuchert.« Sonst werde sich die Zahl der Aids-Infizierten »binnen eines Jahres um mindestens 100000 Menschen erhöhen«. (...)
Ebenso wie die CSU-Politiker Tandler und Gauweiler argumentiert Wissenschaftler Hippel, eine radikale Reform der Seuchenbekämpfung läge durchaus auch im Interesse der bereits Infizierten: »Deren angemessene Versorgung und Betreuung ist nur möglich, solange die Zahl der Aids-Fälle nicht ins Unermeßliche steigt.«
Zudem würde ein ungebremstes »Weiterwuchern der Aids-Epidemie« die »Gefahr verstärken, daß immer radikalere Maßnahmen der Aids-Bekämpfung ergriffen oder doch gefordert werden und daß sich die Diskriminierungen verstärken, die den Aids-Betroffenen schon heute drohen«.“
Prophylaktisch protestieren
Außerhalb Bayerns war Gauweiler in den folgenden Jahren wegen solcher Zwangsmaßnahmen eher unpopulär. Und nachhaltig durchgesetzt hat er sich nicht, auch wenn sein Maßnahmenpaket in Bayern ein paar Jahre in Kraft blieb. Der Versuch, ein solches Maßnahmenpaket auch bundesweit in Kraft zu setzen, scheiterte damals im Bundesrat.
Zurück in die Gegenwart, in der es in den Parlamenten lange Zeit wenig Aufbegehren gegen grundrechtseinschränkende Zumutungen gab. Bei Corona ist erst nach zwei Jahren Ausnahmezustand mit der allgemeinen Impfpflicht ein entscheidendes Gesetzesvorhaben der Corona-Politiker im Bundestag gescheitert.
Zuvor hatten die Grundrechtseinschränkungen immer parlamentarische Mehrheiten bekommen, wenn das Parlament mitentscheiden durfte. Erst war es bei vielen Unterstützern vielleicht wirklich die Angst vor dem unbekannten Virus, später wollte man vom eingeschlagenen Weg nicht abweichen. Aber langsam kippt die Stimmung vielleicht auch im politischen Raum. Und angesichts der Affenpocken und der Äußerungen des Bundesgesundheitsministers ist es gut und richtig, wenn gleich prophylaktisch von Anfang an dagegen protestiert wird, dass es Grundrechtseinschränkungen gibt, egal ob gegen sogenannte Risikogruppen oder gegen alle Bürger. Jeder Protest gegen die Einschränkung von Grundrechten auf dem Verordnungs- und Verwaltungsweg ist in einem freiheitlichen Land essenziell, wenn es eines bleiben will.