Entwarnung! Die Kanzlerin hat das Flüchtlingsproblem zur Chefsache erklärt, endlich, endlich. Kaum ein Betroffenheitsjournalist, der darüber nicht ins Schwärmen geriete. Jetzt, weiß jedermann, müssen wir uns keine Sorgen mehr machen. Das Elend liegt in guten Händen; alles wird gut: Der alte Fake und ein großer Blödsinn dazu, freilich auch ein Blödsinn, von dem sich die Deutschen besonders gern einlullen lassen.
Wann immer es schwierig wird, sehnen sie sich nach einer Autorität, der sie blindlings folgen können, weil sie den Eindruck vermittelt, Ordnung zu schaffen. Was dabei am Ende herauskommt, ob der Verheißung überhaupt Taten folgen, spielt dann keine Rolle mehr. Hauptsache eine Führung, deren Versprechen von der Sorge erlösen. Sobald der erste Schock überwunden ist und „die Menschen“ sich an das Problem gewöhnt haben, fragt ohnehin niemand weiter nach der Lösung. Dass man das Problem irgendwann nicht mehr wahrnimmt, genügt als Beweis dafür, dass es die Chefin wieder einmal gerichtet hat.
So haben wir die Energiewende zelebriert, ohne dass sie mehr als steigende Kosten für den Verbraucher verursacht hätte. So wurde das Elektroauto in die Garage geschoben. So hat sich die Eurokrise zusehends verschärft. So ist das Nettovermögen der privaten Haushalte in Deutschland nach Einführung der Gemeinschaftswährung um fast 15 Prozent gesunken, von 137.000 auf 117.000 Euro im Jahr 2013. So ist der Abhörskandal in Vergessenheit geraten, ohne dass die NSA ihre Horchposten verlassen musste. So folgte dem zur „Chefsache“ erklärten zweiten Minsker Abkommen vom 12. Februar diesen Jahres der Sturm der russischen Separatisten auf das ukrainische Debalzewe - drei Tage nach der verkündeten Waffenruhe.
Die „Chefsache“ ist längst zu einer Methode des Regierens geworden, bei der allein der Glaube an die Obrigkeit noch zählt. Das entlastet erstens die Untertanen. Sie müssen sich weiter „keinen Kopf machen“. Und zweitens bestärkt es die FührerInnen im Gefühl ihrer Berufung. Wie dabei die kritische Vernunft, Grundlage jeder halbwegs funktionierenden Demokratie, auf der Strecke bleibt, wird kaum noch bemerkt. Die infantile Konsumgesellschaft regrediert zu einem matriarchalisch beherrschten Gemeinwesen, in dem die Bürger am liebsten unter Muttis Rock kriechen.
Sie verkörpert eine autoritäre Herrschaft, nach der das greinende Volk ruft, wenn es sich ängstigt. Sie sagt uns, wem wir besser nicht „folgen“ und zu wem wir „Abstand“ halten sollten, weil er „Kälte, ja sogar Hass im Herzen“ trägt. Von ihr bekommen wir unsere Spielkameraden zugewiesen. Für die nächste Zeit sollen das die Flüchtlinge sein. Sie sind jetzt die Chefsache Nummer 1.
Kein gutes Omen, bedenkt man, was bei all den anderen Chefsachen bisher herausgekommen ist. Doch wer mag schon daran denken, da wir gerade angefangen haben, ein Sommermärchen der Humanität zu feiern, das die ganze Welt in den Schatten stellt: Deutschland, Deutschland und Angie über alles.