Während die SPD dienstwagensicher und mit lautem Getöse von einem Wahlkampfunglück ins nächste steuert, hört man von der CDU nichts, gar nichts, nicht einmal sommerliches Zirpen im Unterholz. Bislang verfolgt man bei der Union die Strategie, mucksmäuschenstill die SPD-Selbstdemontage zwischen Haifisch-Plakaten und einem Zierfisch-Kandidaten zu genießen. Nun aber hat die CDU eine Idee, ja sogar einen „Geheimplan“ namens „Projekt Adenauer“.
Man werde – so ist in Berlin flüsterleise zu hören – im September bundesweit Konrad-Adenauer-Festspiele inszenieren. Das Motto: Tradition ist Trumpf. Denn genau vor 60 Jahren habe Adenauer den ersten Wahlkampf der Bundesrepublik für die Union gewonnen, das Wirtschaftswunder ermöglicht und alle Christdemokraten glücklich gemacht. Im nostalgischen „Retro-Trend“ werde man daher Angela Merkel auf Adenauers Spuren schicken. Für den 15. September (an diesem Tag 1949 war die erste Kanzlerwahl) ist sogar der legendäre Rheingold-Express von Adenauer gebucht, und Angela Merkel soll wie weiland der Gründungskanzler im Zug durch Deutschland reisen, und zwar – in Begleitung der Adenauer-Familie – von Rhöndorf über Bonn (da würdigt man Adenauers Republikgründung) und Leipzig (da feiert man Kohls Wiedervereinigung) bis nach Berlin schuckeln – Angela Adenauer soll hochleben.
Merkel macht also buchstäblich wahr, dass sie im Schlafwagen an der Macht bleiben will.
Sie möchte die Magie des doppelten Historienjahres (60 Jahre Bundesrepublik, 20 Jahre Mauerfall) für sich nutzen, indem sie den Mythos CDU als die staatstragende Wohlstand-für-alle-Partei der Bundesrepublik untermalt – „gerade in schweren Zeiten wie diesen“, wie die Unionisten gerne bedeutungsschwanger betonen.
Nun sind die Zeiten gar nicht so schwer und auch die CDU trägt den Staat nicht mehr alleine. Darum hat die Adenauerisierung des Wahlkampfs eine ganz andere Funktion. Das Historisieren der Debatten soll vor allem verhindern, dass allzu heiß über heutige Probleme debattiert wird. Während die SPD verzweifelt versucht, irgendein aktuelles Aufreger-Thema zu finden, aber von der Atomdebatte über die Mindestlöhne bis zur Rentengarantie nichts zündet, weil Angela Merkel die SPD thematisch längst enteignet hat, will die CDU genau das Gegenteil: einen sanften Wellness-Wahlkampf mit historischen Entspannungsübungen. Betäuben statt aufregen, denn die Bundeskanzlerin ist beliebt, ihre Umfragewerte stabil freundlich wie ein Sommerhoch, also gilt es alles zu vermeiden, was Gewitter aufziehen ließe. Die Union setzt „in schweren Zeiten wie diesen“ auf Sicherheit, Mitte, Geschichte. Fast könnte sie neben dem Adenauer-Zug auch den alten Adenauer-Slogan „Keine Experimente“ wieder plakatieren.
Die Wahlkampf-Strategen im Adenauer-Haus begründen ihren Leisetreter-Wahlkampf so: Je entspannter die Stimmung im Lande ist, desto weniger kann das linke Lager seine Wähler mobilisieren. Demoskopen versichern inzwischen, dass die Einlullungsmethode verfangen könnte, weil die SPD und ihr Spitzenkandidat nicht kampagnenfähig seien.
Tatsächlich wirkt Frank-Walter Steinmeier immer noch wie ein Praktikant der Macht. Wo Gerhard Schröder die Dampframme eingesetzt hätte, versucht er es mit Wattebäuschchen. Wo Helmut Schmidt das rhetorische Florett geführt hätte, kommt er mit dem Buttermesser daher. Und wo Willy Brandt das Pathos der Fahne hätte spüren lassen, erinnert er eher an Büroklammern eines Wiedervorlageordners.
Nach den negativen Erfahrungen des Europawahlkampfes wagt die SPD keine direkten Angriffe mehr auf Angela Merkel, man beschränkt sich auf geordnetes Defensivverhalten wie eine gute Zweit-Liga-Mannschaft. Das Motto heißt nicht mehr gewinnen, sondern halten: „Schwarz-Gelb verhindern“ und auf eine knappe Niederlage hoffen.
Wäre da nicht eine CDU, die eine belastbare Tradition im Vermasseln bester Wahlaussichten pflegt. Vielleicht sollte sich Steinmeier einfach mit in Merkels Adenauer-Zug setzen und auf den klassischen CDU-Fehltritt warten. Aus dem Abteilfenster könnte er dann heraus erzählen, wie die Wahl 1949 am Ende noch ausging: Nur 31 Prozent für die Union, aber 29 Prozent für die SPD. Adenauers Kanzlerwahl gelang nur mit einer einzigen Stimme Mehrheit – seiner eigenen nämlich. Auch die Geschichte hat ihre Tücken.