Chaim Noll / 25.10.2019 / 06:28 / Foto: Freud / 102 / Seite ausdrucken

Anetta, es ist Zeit, in Rente zu gehen

Anetta Kahane hat einen Grad negativer Popularität erreicht, dass man sie nicht mehr vorstellen muss. Vielen gilt sie als Symbol einer Kontinuität im Kampf verschiedener deutscher Staatsmächte gegen Meinungsfreiheit und humane Grundrechte: Wie sie in ihrer Jugend ihre Mitbürger im Auftrag der DDR-Staatssicherheit bespitzelte und denunzierte, tut sie es heute als Vorsitzende einer Stiftung zur Beobachtung unliebsamer Haltungen in einer angeblich demokratischen Bundesrepublik, finanziert von einer inkompetenten, unbeliebten, um ihre Macht bangenden Regierung.

Ich bin, was Anetta betrifft, nicht unvoreingenommen. Ich kenne sie seit 1976, als wir beide Anfang Zwanzig waren. Die Bekanntschaft blieb oberflächlich, im Wortsinn flüchtig, denn ich bin Anetta stets aus dem Weg gegangen. Was nicht immer leicht war, da wir gemeinsame Familie haben. Aber eine Ahnung gab mir schon damals ein, dass sie in ihren Spitzelberichten vor der eigenen Familie nicht Halt machen würde. Man ist nicht immer froh, wenn sich solche Ahnungen bewahrheiten. Seit Veröffentlichung ihrer Stasi-Akte (durch Dirk Maxeiner auf der Achse des Guten) wissen wir, dass sie 1981 zur Hochzeit ihrer Cousine nach West-Berlin reiste, mehrere Tage deren Gastfreundschaft genoss und anschließend ihrem Stasi-Führungsoffizier schriftlich darüber Bericht erstattete, es handle sich bei ihrem Onkel, ihrer Tante, ihrer Cousine und deren Bräutigam um „reaktionäre und spießige, in politischer Hinsicht ordinäre und aggressive Personen“. Ich kenne die in Anettas Bericht Erwähnten persönlich und weiß, wie gehässig und unwahr ihre Beurteilungen sind. Die Spitzelberichte der Stasi enthüllen – unfreiwillig – den Charakter der Denunzianten. Für die West-Berliner Verwandten, eine dort bekannte jüdische Familie, blieb die Nachrede glücklicherweise folgenlos. Hätte sie mir gegolten oder einem anderen damaligen DDR-Bürger, wäre sie möglicherweise katastrophal gewesen.

Durch die Akten belegt ist Anettas Spitzelbericht über die Brüder Klaus und Thomas Brasch, in Ost-Berlin lebende jüdische Intellektuelle, Kinder einer Remigranten-Familie wie Anetta selbst. Klaus war Schauspieler an der Volksbühne, Thomas später im Westen ein bekannter Schriftsteller. Anetta, auf den Ost-Berliner Partys unterwegs, hörte gut zu und traf in ihren Berichten klare, vernichtende Aussagen. In diesem Fall: „Zu den Feinden der DDR gehören in erster Linie Klaus Brasch und Thomas Brasch.“ Dieser 1976 verfasste Bericht hatte fraglos Auswirkungen auf die Karriere von Klaus Brasch als Theaterschauspieler. Akten-Kenner Hubertus Knabe, früherer Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, sieht zwar keinen Beleg dafür, dass der Selbstmord von Klaus Brasch im Jahre 1980 „wegen ihrer (Anettas) Denunziation“ erfolgte, doch die Einstufung als „Feind der DDR“ hat Brasch seine letzten Tage in der DDR – und in seinem jungen Leben – auf jeden Fall verdüstert.

Bewährte Spezialistin für Überwachung und Anzeige

Wozu diese unerfreulichen Erinnerungen? Weil man von offizieller Seite versucht, uns Anetta passabel, sogar respektabel zu machen. Als bewährte Spezialistin für Überwachung und Anzeige soll sie weiterhin Verwendung finden, dazu wird sie zur Dissidentin und Verfolgten stilisiert. Etwa in der Veranstaltung am 14.10. in Berlin, ausgerichtet von der staatlich kontrollierten Deutsch-Israelischen Gesellschaft, auf der Stephan Kramer, Chef des Verfassungsschutzes in Thüringen, die frühere Stasi-Mitarbeiterin, seine „Freundin Anetta“, in einer Grußrede würdigte.

Ein symbolischer Auftritt für die Kontinuität deutscher Überwachungsdienste. Das breit und bürgernah angelegte Spitzel- und Denunziantenwesen der angeblich überwundenen totalitären Systeme erlebt seine Wiederauferstehung. Und Anetta ist wieder dabei. Offen wird die Bevölkerung zur Mitarbeit aufgerufen, wie die Berliner Tageszeitung taz am 17.10. in zustimmendem Ton verhieß:

„Um einer weiteren Radikalisierung von Extremisten frühzeitig entgegenzutreten, brauchen wir die Zivilgesellschaft an unserer Seite“, erläuterte den Appell gestern Dierk Schittkowski, der Chef des Bremer Verfassungsschutzes. BürgerInnen sollen auffällige Signale, Äußerungen oder Verhaltensweisen telefonisch oder per Mail bei der Behörde melden.“

Anetta, Symbol dieser Wiederbelebung, wurde kürzlich in einem ausführlichen Bericht der Neuen Zürcher Zeitung vorgestellt. Ihre Kontinuität als Denunziantin abweichender Meinungen findet auch international Beachtung. Es ist hoffnungslos, sie als Repräsentantin der deutschen Juden auftreten zu lassen, denn sie hat mehrmals, wie belegt, andere deutsche Juden denunziert. Die Juden in Deutschland, erneut bedroht, können gerade jetzt keine Spitzel in den eigenen Reihen brauchen.

Es wäre Zeit, Anetta, dass Du Dich zurückziehst. Wenn Du der Amadeu Antonio Stiftung noch eine Zukunft gönnst, übergib ihre Leitung an jüngere, unbelastete Mitarbeiter. Wir sind gleichaltrig, haben das Rentenalter erreicht. Es ist Zeit zur Umkehr und Einkehr, zur tshuvah, wie wir das hebräisch nennen, zur Gewissenserforschung und Regelung Deiner jüdischen Angelegenheiten. Um die es nicht zum Besten steht. In Deinem Leben gälte es manches zu revidieren und zu reparieren. Die Rabbiner gehen davon aus, dass es dazu nie zu spät ist.

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Cora B. Hermann / 25.10.2019

Sehr geehrter Herr Noll, auch wenn es durchaus etwas für sich hat, Frau Kahane bei ihrer gut gesponnenen Legende zu packen, so fürchte ich, es könnte kontraproduktiv sein. Nur zu gerne hängt sich die Dame das Mäntelchen des “Jüdisch-Seins” als Verstärkung ihrer Moral um - und das nicht selten mit Erfolg in der nichtjüdischen Welt. Fakt ist jedoch, Frau Kahane ist halachisch gesehen keine Jüdin. Ihr Vater war MoT (Member of Tribe), ihre Mutter nicht. Und es geht nunmal immer nach der Mutter. Und meines Wissens nach hat sie auch keinen Giur (Übertritt) vollzogen, jedenfalls keinen, der in Deutschland/Europa anerkannt wäre. Das heißt natürlich nicht, dass ihr eine Umkehr /Tshuvah nicht gut anstände - allerdings fürchte ich, dass sie sich keiner Schuld bewusst ist.

Sheldon Cooper / 25.10.2019

Sehr geehrter Herr Noll Sicher ist es eine gute Idee, daß Frau Kahane zurücktritt, und ihre Rente geniesst, wenn sie genug Rentenpunkte hat. Aber für mich stellt sich die Frage, ob ihr Abgang das Problem wirklich löst, oder ob der Geist der Intoleranz und Denunziation unter dem Motto “Wehret den Anfängen” fortbesteht. Denn wie die Vorgänge in Hamburg um Prof. Bernd Lucke zeigen, gibt es durchaus jüngere Menschen, deren Verhältnis zur “offenen Gesellschaft” fragwürdig ist. Und um ein andere Beispiel zu nennen: Es gab mal bei “Hallo Deutschland” ein Beitrag, in dem man isch über eine Broschüre von der AAS lustig machte. In der Zeit-Online hat man sich dann über diesen Beitrag in “Hallo Deutschland” beklagt. Ich bezweifle daher, daß mit dem Rücktritt Frau Kahane eine Verbessrung eintritt.

Ilona G. Grimm / 25.10.2019

Nicht nur die Juden können keine Spitzel in ihren Reihen brauchen! Ich möchte auch nicht, dass meine Äußerungen, die Anetta Kahane oder Claudia Roth (oder sonst einem Gewächs aus dem links-grünen Biotop) missfallen, festgehalten und bösartig entstellt an irgendwelche “Verfassungsschützer” oder selbsternannte Blockwarte weitergegeben werden. Anetta Kahane muss nicht nur abdanken, sondern auch ohne goldenen Fallschirm im Gazastreifen oder sonst wo verschwinden. Dank Frau Lengsfeld habe ich schon einiges über Frau Kahane erfahren, nun haben Sie noch ein paar Lücken gefüllt. Dafür danke ich Ihnen. Dass Sie der Amadeu-Antonio-“Stiftung” den Fortbestand wünschen, gefällt mir jedoch ganz und gar nicht. // Übrigens sind nicht nur Juden durch die Umwälzungen in unserer Gesellschaft stärker bedroht als vor 2015. Auch ich als nichtjüdische Frau fühle täglich eine Bedrohung durch dunkle oder schwarze oder süd-osteuropäische fitte junge Männer. Auch ich wünsche mir mehr Schutz und Sicherheit für mein in Polit-Eliten-Augen kleines, unbedeutendes Leben. Auch insofern bin ich vollkommen solidarisch mit den Juden in Deutschland.

Perry Eschwege / 25.10.2019

Werter Herr Noll, was Sie da von dieser Person, mutmaßlich weiblichen Geschlechts, verlangen, scheint schier unmöglich. Die Friedhöfe dieser Welt sind voll von Menschen, die sich für unentbehrlich hielten, dachten dass ohne sie die Welt aufhören würde sich zu drehen. Die Einsicht, dass diese Person ihr Leben nur so führen konnte und kann weil sie andere Leben nachhaltig und massiv behindert und zerstört, wird ihr auch kein noch so rücksichtsvoller Rabbiner näher bringen, dazu bedürfte es der Reinkarnation eines Sigmund Freud´s.

P.Gross / 25.10.2019

Frau Kahane ist für mich die perfekte Blaupause der mittlerweile völlig verkommenen, linksgrün-affinen Polit- und Kulturnomenklatura in diesem ungebremst abrutschenden Land. Jeder der sich ein Bild von der gespaltenen Persönlichkeit des ex-IM Victoria und SED Cohabitatio, aktuell unterwegs als Amadeus, machen will, braucht hier nur Ihren präzisen Bericht über diese edle Frau lesen, Herr Noll. Meine ganz persönliche Einladung dazu geht aber speziell an die wohlbekannte, praktizierende Fachfrau für Grüne Verlogenheit, grelle XXL Basarklamotten und Schlimmeres: natürlich wird die es lesen, ganz sicher, wie alles was die ACHSE täglich anbietet - allerdings unter der Bettdecke, im Schein ihrer Taschenlampe. Wohl bekomm´s, Wahrheit schmerzt, da musst Du durch Mädel…morgen darfst Du dann wieder was von “NAZI” geifern…

Matthias Braun / 25.10.2019

” Die Mentalität der Menge: das ist ihr schlechtes Gewissen, das sind ihre Fälscher und Wortverdreher, ihre „jahraus jahrein galoppierenden Federn“ und Denunzianten, ihre Spitzel und Rabulisten, ihre Großmäuler, Demagogen und Faselhänse. Ein heilloses Konzert! Eine Orgie seltsamer Verzerrung! Wehe dem Land, wo solche Mentalität den Geist überschreit, aber dreimal wehe dem Land, wo sie allein nur herrscht und sich selbst für den Geist hält.” ( Hugo Ball )

Stefan Zorn / 25.10.2019

“Zu spät” ist es hoffentlich nicht für mein Vaterland. Die Denunziantin gehört vor Gericht und anschließend ins Gefängnis! - Aber nein: Was ich hier schreibe ist “hate speach” und die Denunziantin ist hoch angesehen. Diese Regierung ist das Schlimmste, was uns je passieren konnte!

Volker Wache / 25.10.2019

Wann formiert sich die Zivilgesellschaft vor der AA-Stiftung und skandiert „Stasischweine raus?“ Müßte man mal den Restle fragen, wo da das Problem liegt. Ich sag mal ein Stichwort „Haltung!“

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