Rainer Grell / 16.12.2018 / 14:00 / Foto: achgut.com / 14 / Seite ausdrucken

Anatomie einer Biotonne

Schon als Elfjähriger hatte ich an das Revers meines Jacketts (ja, so etwas trug man damals schon als Elfjähriger und dazu kurze Hosen) das Motto des US-Rangers Flying Jack geheftet: „Treu und tapfer für Recht und Gesetz“. Soweit meine Erinnerung reicht, war ich stets für „Law and Order“ und habe mich immer gewundert, wie man dagegen, also für „Ungesetzlichkeit und Unordnung“ oder gar Chaos und Anarchie („Keine Macht für niemand“) sein konnte.

Ich war also vorbereitet, als ich 1959 aufgrund einer Losentscheidung während der obligatorischen Klassenfahrt nach Berlin statt in Goethes „Faust“ mit Will Quadflieg und Gustav Gründgens (eine Eintrittskarte fehlte) ins Kino ging, mir den Otto-Preminger-Film „Anatomie eines Mordes“ (Musik von und mit Duke Ellington) mit James Stewart als Strafverteidiger Paul Biegler ansah (nach dem Roman „Anatomy of a Murder“ von Robert Traver) und daraufhin beschloss, Jura zu studieren.

Dass ich mein Studium in Berlin begann, hing allerdings nicht mit diesem Erlebnis zusammen, sondern lag daran, dass Berlin mein verhinderter Geburtsort ist. Meine Eltern lebten seit ihrer Hochzeit dort, meine Mutter zog dann aber fünf Wochen vor meiner Geburt wegen der befürchteten Luftangriffe zu ihren Eltern in das Dorf Treblin (heute Trzebielino) in Pommern, wo ich am 8. Mai 1941 im Kreiskrankenhaus von Rummelsburg (heute Miastko) geboren wurde.

Reichlich pathetisch könnte ich also sagen: „Der Kampf ums Recht“ (Rudolf von Jhering) wurde zum Motto meines Berufslebens, wenn nicht meines Lebens überhaupt. Nichts bringt mich mehr in Rage als Ungerechtigkeit. Und wenn doch, dann ist es die Inflationierung des Begriffs der Gerechtigkeit, etwa in Chancengerechtigkeit, soziale Gerechtigkeit, Bildungsgerechtigkeit, Umweltgerechtigkeit und – le dernier cri – „Klimagerechtigkeit“ und, last but not least, „Geschlechtergerechtigkeit“, sprich „Geschlechtervielfalt“.

Vielfalt bei der Abfalltrennung 

Vielfalt gibt es nirgendwo so ausgeprägt wie im Recht und speziell bei der Abfalltrennung. Zwar fehlt hier noch ein „Bündnis Vielfalt für alle“ (gegen die Diskriminierung von LSBTTIQA-Menschen); aber das hieße nun wirklich „Eulen nach Athen“ oder „Kohlen nach Newcastle“ (to carry coals to Newcastle) tragen. Denn am Abfallrecht sind bereits alle betroffenen Ebenen beteiligt, an deren Ende der Abfallverursacher jedweden Geschlechts steht:

  • Europäisches Recht
  • Bundesrecht
  • Landesrecht
  • Kommunales Recht

Demgemäß entsorgen wir seit Jahren unseren Müll auf fünffache Weise:

  • Papier: grüne Tonne (Standplatz am Haus)
  • Bio-Abfälle: braune Tonne (am Haus)
  • „Altglas“: Glascontainer (für Weiß-, Braun- und Grünglas – etwa 200 m entfernt)
  • Verpackungen: gelber Sack (wird alle drei Wochen abgeholt)
  • Restmüll: graue Tonne (Standplatz am Haus).

Während die graue und die grüne Tonne von der Müllabfuhr abgeholt und nach der Leerung wieder an ihren Standplatz zurückgestellt werden, muss die braune Tonne von den Anwohnern zur Leerung an den Straßenrand gestellt werden. Dies ändert sich jetzt ab Januar 2019. „Biotonne wird ab 2019 im Vollservice geleert“:

„Wie bereits beim Restabfall und Altpapier praktiziert, wird ab 1. Januar 2019 auch der Bioabfall im Vollservice geleert. Für die Nutzer der Biotonne bedeutet dies, dass sie bei einem satzungskonformen Standplatz die braunen Tonnen am Tag der Leerung nicht mehr bereitstellen müssen.

Ein satzungskonformer Standplatz hat folgende Kriterien zu erfüllen: 

  • der Standplatz ist in möglichst kurzer Entfernung zum Fahrbahnrand einer vom Müllfahrzeug befahrbaren öffentlichen Straße einzurichten 
  • der befestigte Standplatz muss für die Mitarbeiter des Eigenbetriebs AWS frei zugänglich sein 
  • der Transportweg darf 15 Meter nicht überschreiten, nicht über Stufen und Treppen führen und darf keine Steigung von mehr als 2 Prozent aufweisen.“

Wessen Standplatz nicht „satzungskonform“ ist, also etwa eine Steigung von 2,1 Prozent aufweist, muss die (braune) Biotonne, wie bisher, zur Leerung eigenhändig an den Straßenrand stellen. Es ist anzunehmen, dass dieser Tatbestand genauso akribisch überprüft werden wird, wie die Beachtung des Fahrverbots am Neckartor.

An sich müsste eine solche fein ziselierte Regelung das Herz eines jeden Juristen höher schlagen lassen. Bei mir verursacht sie dagegen einen moderaten Anfall von Niedergeschlagenheit. Irgend­etwas scheint mit mir nicht zu stimmen. 

Foto: achgut.com

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Roland Stolla-Besta / 16.12.2018

Wie zum Teufel (arabisch: Schaitan) soll da die Integration muselmanischer „Flüchtlinge“ funktionieren, wenn schon für die autochthonen Germanen die Mülltrennung ohne juristischen Beistand kaum noch zu bewältigen ist?

Hubert Bauer / 16.12.2018

In Ljubljana haben Sie in einigen Straßen unterirdische Abfallbehältnisse. Diese befinden sich zwischen dem Haus und der Straße. Dazu muss man wissen, dass in Slowenien der Müll gründlicher getrennt (aber schlechter vermieden) wird als in Deutschland. Mit einer Karte können die Anwohner die Behältnisse von oben öffnen und Papier, Glas, Plastik, Bio und Restmüll getrennt entsorgen ohne zu einem Wertstoffhof fahren (!) zu müssen. Am Tag an dem die Müllabfuhr kommt, stehen dann weder Säcke noch Tonnen in der Stadt. Für die Müllabfuhr hat es den Vorteil, dass sie keine schweren Tonnen bewegen muss, sondern dass der Müll abgesaugt werden kann. Wenn die autonom fahrenden LKW einsatzbereit sind, kann man die Müllabfuhr voll automatisieren. P. S.: Eine Grüne Partei spielt in ganz Slowenien keine Rolle. Dort löst man die Probleme einfach pragmatisch und nicht ideologisch.

Michael Lorenz / 16.12.2018

Ich ahne, woher Ihr Unmut kommt: verletzt ein Bürger die Müllabholverordnung, raucht es, aber heftig! Scheixxt Frau Merkel hingegen aufs GG (insbesondere Art. 16) - passiert GAR NICHTS, trotz über 1000 Strafanzeigen; trotz eindeutiger Gutachten u. a. eines ehemaligen BVerfG-Präsidenten. Im Grunde genommen hat Frau Merkel so all unsere Gesetzbücher komplett zu reinen Witzblättern verkommen lassen! Das führt dann schon mal zu Verstimmungen aller, die einmal an den Rechtsstaat geglaubt haben (wie ich) oder dessen Pflege zu ihrem Beruf gemacht haben (wie Sie). Was wir dagegen tun können? Fürs Erste: mithelfen, die Menschen zu überzeugen, was hier läuft und das grausame Spiel 2021 ganz einfach durch ein Kreuzchen zu beenden. Chancen: zugegeben, nicht riesig, aber wie schon Luther sein Apfelbäumchen gepflanzt hätte …

armin wacker / 16.12.2018

Also ich frage mich langsam schon wie der Plastikmuell aus meiner Tonne ins Meer kommt.

U. Langer / 16.12.2018

Tja Herr Grell - schauen sie mal hinter Ihren Ohren nach - Sie sind nicht grün genug! MfG und frohes Fest

Matthias Braun / 16.12.2018

Herr Grell mit Ihnen ist alles ok. Wenn die deutschen Grenzen so klar wie die Biotonnen behandelt würden,wäre mir auch wieder wohler.

Karl Hofmann / 16.12.2018

Lieber Herr Grell, fahren Se halt mal ne Tour mit den Müllmännern mit, dann wissen Se Bescheid.

Emmanuel Precht / 16.12.2018

Da keine brennbaren Stoffe wie Papier oder Kunststoff in der Mülltonne landen, müssen diese Stoffe dem Müll zur Verbrennung zugestzt und eben dafür erworben werden. Lässt die Müllgebühren hübsch steigen. Aber, der Michel ist dusslig genug, das Spiel derer die damit ihr Geld verdienen, mülltrennend mitzuspielen. Und er spart auch Wasser wo es nur geht. Die Abflussleitungen werden nicht mehr ausreichend gespült. Wozu führt das? Richtig, die Kosten steigen. Wohlan…

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