Cora Stephan / 17.08.2015 / 17:07 / 15 / Seite ausdrucken

An die Anständigen in der SPD

Liebe gute alte SPD,

ich weiß, es sind harte Zeiten. Angela Merkel wird als Ewige Kanzlerin in die Geschichte eingehen, während Du, Hort der glorreichen Tradition der Arbeiterbewegung, ebenso ewig im Turm der 25 % dahindarben wirst. Lass Dich in den Arm nehmen und Dir sagen:  das hat auch seine Vorteile. Niemand muss sich mehr als sozialdemokratischer Kanzlerkandidat blamieren. Die Kanzlerin steuert auf die absolute Mehrheit zu, wie die Auguren verheißen, und dann ist auch die Quälerei als Juniorpartner in der Regierung nicht mehr vonnöten. Das erspart viel Ärger und Dir und uns, als Extrabonus, Andrea Nahles. Im übrigen ist alles, was eine_r echten Sozialdemokrat_in am Herzen liegt, bei Angela Merkel wunderbar aufgehoben.

Nun, einigen Männern scheint das nicht zu genügen, wie etwa dem Ralf Stegner, eurem Bundesvize. Der rief jüngst nach einem „Aufstand der Anständigen“, am besten garniert mit viel Prominenz aus Film, Sport, Musik, also irgendetwas wie RockgegenArschhuhGesichtzeigen.  Großartige Idee, könnte er sich gedacht haben. Damit hat man im Handumdrehn die Mehrheit der Gesellschaft hinter sich, sind ja doch alle Til Schweiger-Fans, und Angela Merkel kann sehen, wo sie bleibt.

Ob das die Strategie ist, die zum Erfolg führt? Klar: gegen rechts sein ist hierzulande immer richtig, irgendwie jedenfalls, denn das wechselt ja öfter mal, was darunter jeweils zu verstehen ist. Aber braucht es gegen die paar unerfreulichen Hanseln, die sich vor Asylbewerberunterkünften herumtreiben, wirklich einen „Aufstand“, sollte nicht ein bisschen Polizeipräsenz genügen oder, wenn es daran mal wieder mangelt, lokale Zivilcourage? Auch möchte die große Masse der Bürger womöglich gar keine Belehrung in Sachen Anstand, die ja eine Selbstbelehrung wäre, ja tatsächlich, es gibt Menschen, die so anständig sind, dass sie nicht glauben, das auch noch groß betonen zu müssen. Außerdem sind sie eher keine Schauspieler oder Rockstars und auf Eigenwerbung nicht angewiesen. Manche von ihnen tun Gutes oder auch nur das Vernünftige, ganz ohne damit anzugeben. Nicht, weil sie sonderlich tugendhaft wären, sondern weil es in ihrem eigenen Interesse ist. 

Warum sollten die aufstehen? Haben sie noch nicht genug zu tun?

Und dann gibt es auch noch Menschen mit historischem Bewusstsein, die sich an den letzten „Aufstand der Anständigen“ erinnern, damals unter SPD-Kanzler Gerhard Schröder. Eine traditionsbewusste Partei müsste das doch noch parat haben? Am 4. Oktober 2000 forderte der Kanzler einer rotgrünen Koalition einen „Aufstand der Anständigen“, nachdem kurz zuvor ein Stein und drei Molotow-Cocktails auf die Synagoge in Düsseldorf geflogen waren. Allüberall organisierte man daraufhin Aufmärsche und Lichterketten und finanzierte Initiativen gegen „Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus“. Doch die Düsseldorfer Anschläger entpuppten sich als zwei junge Männer mit arabisch-palästinensischem Hintergrund, ihr Motiv: ein Antisemitismus, den wir hierzulande nicht kennen, weil wir ihn für eine dumpf-deutsche Spezialität halten.
Auch jüngst in Dresden wurde erstmal nach Rechts geschaut, als ein junger Mann
aus Eritrea tot aufgefunden wurde: „’Pegida’ marschiert. Und nur wenig später wird ein Flüchtling zwischen Plattenbauten erstochen.“  Der junge Mann wurde Opfer eines Landmannes, was tragisch ist, aber für einen Aufstand nicht viel hergibt. Entschuldigt hat sich für den Irrtum in beiden Fällen übrigens niemand, bei wem auch? Etwa bei Rechtsradikalen, denen schließlich jede Abscheulichkeit zuzutrauen ist? Eben.

Unterm Strich bleiben da nicht mehr viele zum Mitmarschieren, zumal es Leute geben soll, die staatlich oder parteipolitisch organisierte Großaufmärsche ungesund finden. Was tun?

Vielleicht einfach nur das: zur Lebenswirklichkeit zurückkehren. Die vielen freiwilligen Helfer im Chaos, das der massenhafte Zustrom von Menschen derzeit erzeugt, brauchen keine Nachhilfe in Sachen Anstand – ganz im Gegenteil: sie könnten sich langsam gekränkt fühlen vom ewigen Mahnen und Warnen und dem Einfordern von „Willkommenskultur“. Sie sind es doch, die wissen, dass wir hier niemandem paradiesische Zustände versprechen können – und dass all die Menschen, die das Paradies dennoch hier suchen, ihre eigenen Probleme mitbringen. Auch Probleme untereinander: da prügeln sich Syrer mit Afghanen, stechen junge Männer aus Eritrea oder Somalia Leidensgenossen nieder, sind Sunniten den Schiiten nicht grün usw. Alles Konflikte, die sich nur jemand nicht vorstellen kann, der das Fremde verherrlicht und dem Eigenen gegenüber stets Verdacht übt. Die da kommen, sind keine Heiligen. Wir müssen sie also auch nicht heiligsprechen, sie wären die letzten, die das erwarten.

Und so, liebe SPD, habe ich da einen Verdacht. Derzeit wird ja an allen Ecken und Enden der rechte Gottseibeiuns gejagt. Wer den Genderquatsch nicht will, den Islam nicht mag und unsere Asylpolitik sowohl den hierhin Kommenden als auch den hier bereits Lebenden gegenüber für fahrlässig hält, muss sich warm anziehen. Beim Verdacht auf „Rechts“ gibt’s keine Gnade, da hören die Argumente auf, was natürlich ziemlich praktisch ist, wenn man keine guten hat. Soll der Kampf gegen angebliche Rechtstendenzen im Volk also womöglich von politischen Versäumnissen ablenken?

Ich fürchte, was ihren Wirklichkeitssinn betrifft, sind die Bürger weiter als ihre Politiker. Da, liebe SPD, wäre glatt eine Marktlücke zu entdecken: wie wäre es, wenn wir eine Partei hätten, die sich dem Großmut ihres Wahlvolks gewachsen zeigte?

(Und, ganz zum Schluss, auch wenn das jetzt weh tut: Frau Merkel hat rechts von der CDU soviel Platz gelassen, dass da eine ganze SPD hinpassen würde, die sich auf ihre alten Tugenden beruft statt dem Zeitgeist hinterherzulaufen.)

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heide herrmann / 17.08.2015

selten einen so treffenden beitrag gelesen, hut ab, wenn es doch VIELE - ALLE - lesen könnten, würden - DANKE heide

Horst Jungsbluth / 17.08.2015

Als die unfähige SED-Diktatur nach über 40 Jahren “implodierte” und die begangenen Verbrechen im Inland und auch in der Bundesrepublik insbesondere auch durch die Öffnung der Stasi-Akten publik wurden, da “entdeckten” unsere Medien plötzlich die “rechte” Gefahr, was sicherlich auch damit zu n tun hatte, dass in kaum einen anderen Bereich sich die “Einflussagenten” aus der Normannenstraße sich so breit machen konnten. Gysi, der eben noch zerknirscht davon faselte, dass sich diese Partei angesichts der schweren Untaten eigentlich auflösen müsse, es aber nicht könne, weil das riesige ergaunerte Vermögen auf dem Spiel stünde, war sofort zur Stelle, als eine Demonstration gegen “rechte ” Verbrechen angesagt war, die seine eigenen Leute im Treptower Park ausgeführt hatten und die sich in Kneipen in Friedrichsfelde und Lichtenberg dicke taten. Bereits 1959!!! kam die Bundesrepublik unter internationalem Druck, als in NRW Drohungen gegen Ausländer bekannt wurden, die wie sich nach der Öffnung der Stasi-Akten herausstellte, von dieser selbst zwecks Destabilisierung des demokratischen Rechtsstaates verübt wurden. Die beiden Allzweckwaffen der SED, die Dichter Heym und Hermlin gaben ihrer Empörung als “Erste” im ND ihren Ausdruck. Auffällig ist immer wieder das hysterische Gezeter von angeblich “rechten” Verbrechen und das beredte Schweigen danach, wenn sich etwas ganz anderes herausstellt. So wie nach dieser Lübecker Brandkatastrophe, als sich Medien und Politiker geradezu in Empörung wegen dieser “rechten Untat” überschlugen, aber dann, als ein Asylbewerber in Verdacht geriet, der auch zweimal diese Tat gestand, alles getan wurde, damit dieser nicht verurteilt wurde. Die “FAZ” titelte: Landgericht des Lächelns und die 10 verbrannten Menschen spielten plötzlich keine Rolle mehr, alles freute sich. Zur gleichen Zeit waren übrigens zwei weitere ausländischen Täter auf freiem Fuß, die 2 bzw. 7 Opfer auf dem Gewissen hatten. Von dem nach “Anständigen” suchenden Stegner würde ich gerne einmal wissen, was er darunter versteht, da es rechte oder auch linke Verbrechen gar nicht gibt und auch gar nicht geben kann.

Karsten Schramm / 17.08.2015

An die Anständigen in der SPD? Frau Stephan, finden Sie nicht, dass Sie es übertreiben? Ich meine, dazu ist die Achse nicht da. Die drei hätten Sie auch persönlich anschreiben können.

Francesco Salatino / 17.08.2015

Wie soll man sich das erklären, daß  SPD, GRÜNEN, LINKEN und FEMMINISTEN von Flüchtlingen,  von mohammedanischen Eroberern und afrikanischen Invasoren,  von Leuten begeistert sind,  die ihre ärgsten Feinde sind? Vielleicht nur tiefenpsychologisch: sie identifizieren sich mit dem Agressor.

Dr. Klaus Jürgen Bremm / 17.08.2015

Erst hatte die Linke den “Arbeiter” zum Fetisch erhoben. Er galt ihr als Vorschein und Protagonist einer neuen klassenlosen Gesellschaft. Inzwischen hat sie schmerzvoll lernen müssen, dass der Arbeiter lieber ein Auto oder ein Häuschen am Stadtrand anstrebte als den politischen Systemwechsel. Die Linke hörte also irgendwann mit ihren verzweifelten Versuchen auf, ein totes Pferd reiten zu wollen. Der neue Fetisch der Linken wurde daher der Migrant. Er erscheint ihr inzwischen als Protagonist einer neuen grenzenlosen, globalisierten Welt, auf die hin sich nun alles gemäß ihrem teleologischen Geschichtsverständnis entwickelt. Doch damit sitzt die Linke nicht mehr auf einem toten Pferd, sondern auf einem Tiger. Ein totes Pferd reiten zu wollen, schadet eigentlich niemandem, es sorgt höchstens für ein paar Lacher, aber der Versuch, einen Tiger zu reiten, dürfte uns alle in den Abgrund reißen.

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