Kolumne von Maxeiner & Miersch, erschienen in DIE WELT am 07.12.2007
Die Moderne und die Aufklärung haben in letzter Zeit eine schlechte Presse. Sie seien Schuld, lesen wir in den Feuilletons, an allen Übeln dieser Welt seit die Monarchie abdankte und die Kirche ihre weltliche Macht verlor (unklar bleibt, ob es zuvor überhaupt Übel gab). Heute können wir Entwarnung geben, die Moderne liegt in den letzten Zügen und die Aufklärung wird gerade abgewickelt. Nein, wir meinen nicht den arabisch-islamischen Kulturraum und auch nicht die viel geschmähten christlichen Gemeinschaften im mittleren Westen der USA. Bei uns in Deutschland und in verschiedenen Nuancen auch im Rest Europas und im liberalen Mainstream-Amerika herrscht ein Zeitgeist, gegen den die Romanik eine Epoche kalter Rationalität war.
Die Frage ob etwas faktisch ist oder nur phantasiert, ob etwas wahr ist oder unwahr, interessiert nur noch ein paar Aufklärungs-Nostalgiker. Und das nicht nur an geisteswissenschaftlichen Fakultäten, seit die Epigonen des Poststrukturalismus den kritischen Verstand zu Grabe trugen. Einst fragten TV-Reporter, „was denken Sie über …?“. Heute lautet die meist gestellt Frage: „Wie haben Sei sich dabei gefühlt?“ Argumente interessieren nicht, alle Aufmerksamkeit bekommt der mit der besten Betroffenheitsmiene. Sogar Gesetzte werden inzwischen damit begründet, dass irgendwer Angst vor irgendwas hat – ob diese Angst berechtigt ist, stellt kein Kriterium mehr dar.
„Auch gefühlte Risiken erfordern staatliches Handeln,“ überschrieb das Bundesinstitut für Risikobewertung vor einigen Wochen eine Presseerklärung, mit der es sein fünfjähriges Bestehen würdigte. Diese amtliche Mitteilung konzentriert den Zeitgeist in wenigen Zeilen, besser kann man nicht demonstrieren, wie weit sich die westlichen Gesellschaften von der Aufklärung entfernt haben. „Auch wenn aus wissenschaftlicher Sicht,“ heißt es darin, „ein gesundheitliches Risiko bei Lebensmitteln oder Produkten klein ist, kann der Staat zum Handeln gezwungen sein, wenn das Risiko in der Öffentlichkeit als groß empfunden wird.“ Als Beispiel führt das Bundesinstitut die Furcht vor Pestiziden auf: „So ist beispielsweise das gefühlte Risiko bei Rückständen von Pestiziden in Lebensmitteln bei deutschen Verbrauchern groß. Selbst wenn gesetzliche Rückstandshöchstmengen eingehalten werden, befürchten viele Menschen gesundheitliche Schäden, wenn sie solche Lebensmittel verzehren. Aus wissenschaftlicher Sicht ist hingegen selbst bei sporadischen Überschreitungen der Höchstmenge kein gesundheitliches Risiko erkennbar. Wird dagegen auf bestimmte Pflanzenschutzmittel wie zum Beispiel Fungizide beim Anbau von Getreide verzichtet, können durch Pilzbefall Schimmelpilzgifte ins Korn gelangen. Von diesen Pilzgiften ist bekannt, dass sie Krebs auslösen. Aus wissenschaftlicher Sicht sind daher Getreideprodukte aus pestizidfreiem Anbau wegen der möglichen Belastung mit diesen Giften keineswegs frei von gesundheitlichen Risiken. Viele Verbraucher empfinden sie aber dennoch als sicher.“ Im Klartext: Gespritztes Getreide ist sicherer als ungespritztes – aber die Menschen fühlen andersrum, und das muss man eben hinnehmen und sich dran anpassen. Anstatt sich anzustrengen und besser aufzuklären, stellt sich das Bundesinstitut für Risikobewertung auf den Standpunkt, diffuse Ängste müssten genauso ernst genommen werden wie reale Gefahren. Dass man durch solchen amtlichen Segen die Angstgefühle immer weiter verstärkt, kommt den Autoren nicht in den Sinn. Moderne war mal, willkommen im Wassermannzeitalter.