Die Hetzjagden auf Juden in Amsterdam werfen die Frage auf, was man tun kann. Saudi-Arabien geht viel härter gegen palästinensische Aktionen vor als Europa. Das muss man in seiner Rigorosität nicht nachahmen, zeigt aber, dass glaubhafte staatliche Gegenwehr erforderlich ist.
In Amsterdam haben sich in der Nacht zum Freitag Szenen abgespielt, die an Juden-Pogrome des Mittelalters erinnern. Nach einem Fußballspiel wurden Anhänger des israelischen Clubs Maccabi Tel Aviv von Horden „schwarz gekleideter“ junger Männer attackiert und zusammengeschlagen, die Polizei spricht von „Dutzenden“, israelische Augenzeugen von „tausenden“ Beteiligten. Die Judenjagd erstreckte sich offenbar über weite Teile der Stadt, einige Jagdkommandos verfolgten ihre Opfer bis in die Hotels: „In several videos posted on social media, masked were seen trying to break into hotels where Israelis were staying“, schreibt die israelische Zeitung Yediot Acheronot. „Dutch media reported clashes in several locations throughout the city, and the police were trying to control the violence.“
Augenzeugen betonen, die Aktion hätte gewirkt wie „zuvor organisiert“. Wer könnte an solchen organisierten Menschenjagden Interesse haben? Das iranische Mullah-Regime zum Beispiel, Israel militärisch sichtlich unterlegen, verfällt auf vorzeitliche Strategien, um den verhassten jüdischen Staat zu bekämpfen. Da großangelegte Raketenangriffe wenig Wirkung zeigten, sinnt man auf andere Methoden, um jüdisches Blut zu vergießen. Sollte das alt-persische Modell der Assassinen wieder in Gebrauch kommen, das Anheuern bezahlter Killer, um in Einzelaktionen Israelis zu ermorden?
Auf der Suche nach geeigneten Killern, berichteten israelische Medien, verhandle das iranische Regime inzwischen mit Mafia-Familien und dem organisierten Verbrechen in Europa. Doch für den bezahlten Judenmord besonders geeignet – da über den Gelderwerb hinaus durch religiösen Hass und Ideologie motiviert – ist natürlich das Milieu der pro-palästinensischen Protest-Bewegung, die sich überall in Westeuropa in den letzten Jahren, besonders seit dem 7. Oktober 2023, erfolgreich und lautstark etablieren konnte. Die gewalttätigen Palästina-Fans muslimischer oder linker Prägung gehören inzwischen fest zur politischen Kultur West-Europas.
Repressive Maßnahmen
In den arabischen Ländern selbst begegnet man diesem Phänomen vollkommen anders. Am 29. September 2024 verbreitete die in New-Delhi erscheinende indische Tageszeitung The Daily Guardian folgende erstaunliche Nachricht:
„Saudi-Arabien verfolgt neuerdings eine Politik, öffentliche Solidaritätsbekundungen mit Palästina zu verbieten. Berichten zufolge wurde Imamen im gesamten Königreich verboten, Predigten zu halten oder Gebete zur Unterstützung Palästinas zu sprechen, insbesondere in den heiligen Städten Mekka und Medina. Diese Beschränkungen gehen so weit, dass es (saudischen) Staatsbürgern untersagt ist, auf öffentlichen Plätzen pro-palästinensische Slogans zu skandieren. Das harte Durchgreifen gegen pro-palästinensischen Aktivismus wird von vielen Beobachtern als Teil einer umfassenderen Strategie angesehen, um interne Meinungsverschiedenheiten zu minimieren und die Beziehungen des Königreichs zu seinen westlichen und regionalen Partnern inmitten wachsender diplomatischer Beziehungen zu Israel zu regeln.“
Zunächst: Kaum eine große europäische Tageszeitung hat diese Nachricht ihrerseits verbreitet. Schweigen im Blätterwald. Wie so oft, wenn die Nachricht nicht ins Weltbild ihrer Macher passt. Und wenn irgendwo darüber berichtet wird, dann in anklagendem Ton, weil ein schlichtes Verbot pro-palästinensischer Aktionen das Gebot der öffentlichen Meinungsfreiheit verletzt. So berichtete die französische Nachrichtenagentur am 13. Oktober 2024, ihre Korrespondenten hätten miterlebt, „wie Saudische Polizei einen betenden Mann fesselte, der laut gerufen hatte ‚Sprecht über Palästina! Gaza wurde angegriffen.‘“ Nach Berichten anderer Agenturen wären „vor Moscheen überall in der Stadt (Riad, der saudischen Hauptstadt) Polizeifahrzeuge postiert“, um ähnliche Zwischenfälle zu verhindern.
Auch in Bahrein hätte die Regierung „repressive Maßnahmen ergriffen“, berichtet die europäische Menschenrechtsorganisation Euro-Med auf ihrer Website (Euro-Med Human Rights Monitor), „um gegen Gaza-Protester und Teilnehmer populärer Versammlungen zur Solidarität mit dem Palästinensischen Volk“ vorzugehen. Proteste zur Verhinderung der arabisch-israelischen Annäherung seien gleichfalls verboten. „In den Vereinigten Arabischen Emiraten verhafteten die Sicherheitsbehörden den pro-palästinensischen Aktivisten Mansour Al-Ahmadi, der das Al-Quds-Jugend-Kommitee des Landes anführt.“ Al-Ahmadi wurde offenbar schon am 19. November 2023 verhaftet, damit in den Emiraten erst gar keine Pro-Palästina-Demos wie in Europa organisiert werden konnten. „UAE security authorities did not comment on his arrest, detention condition, or charges. However, reports confirm that he was denied legal representation.“
Nach Europa verlagert
Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman erklärte diese Politik kürzlich in einem Interview mit der Notwendigkeit, sich eher um die Zukunft des eigenen Landes zu sorgen als um die der Palästinenser. Jahrzehntelang hätten die arabischen Nachbarn Milliarden in die „Sache der Palästinenser“ investiert, ohne dass dort etwas Nennenswertes oder Zukunftsweisendes entstanden wäre, währenddessen hätte sich Israel zu einer wirtschaftlichen Macht entwickelt, mit der zu kooperieren für die arabischen Staaten lebensnotwendig wäre, um sich aus der Erdöl-Monokultur zu befreien, in der sie bisher wirtschaftlich gefangen waren. „Der Kronprinz selbst hat seine Haltung Berichten zufolge damit begründet,“ schrieb The Daily Guardian, „dass sich die jüngere Generation von der palästinensischen Frage distanziert habe, was darauf schließen lässt, dass für die meisten Saudis innenpolitische Belange Vorrang hätten.“
Offenbar wurde der „arabisch-israelische Konflikt“ aus Arabien nach Europa verlagert. Die arabischen Staaten überlassen die Palästinenser sich selbst und schwenken um auf eine wirtschaftliche Kooperation mit der High-Tech-Macht Israel. Dabei versuchen ihre Regierungen, sich des „Drucks der Straße“ zu erwehren, durch Verbote oder Export der Protagonisten. Der Transfer des – unter dem Namen „Arab Street“ bekannten – aggressiven arabischen Mobs nach Europa scheint zu gelingen. Dieser operiert dort, um sich den Anstrich einer verfolgten Minderheit, eines gerechten Kampfes „für Freiheit und Selbstbestimmung“ zu geben, als Pro-Palästina-Bewegung, unterstützt von europäischen Sympathisanten bis in die höchsten Ränge der Politik. Zunehmend von auswärtigen Geldgebern finanziert, wie vom persischen Mullah-Regime in Teheran. Und während man in den arabischen Ländern versucht, den religiös verhetzten, anti-westlichen Mob einzudämmen und an weiteren gewalttätigen Aktivitäten zu hindern, darf er sich in Europa weiter frei entfalten. Weitgehend ungehindert erobert er die Schulhöfe, Universitäten und den öffentlichen Raum europäischer Großstädte.
Kann Europa von den arabischen Staaten lernen? Man muss nicht gleich die freie Meinungsäußerung in Sachen Judenhass unterbinden, aber Polizeipräsenz in Moscheen, um salafistische Hassprediger zu überwachen, möglichst auch strafrechtliche Maßnahmen gegen diese, wären ein guter Anfang. Sonst versinkt Europa in einem Judenhass, den es nicht mal selbst hervorgebracht hat, der weitgehend importiert ist. Und den zu verhindern schon aus Gründen der Selbstachtung und Selbsterhaltung für Europas Zukunft notwendig wäre.
Eine gekürzte, leicht veränderte Fassung dieses Textes erschien zuerst in der Neuen Zürcher Zeitung vom 9.11.2024
Chaim Noll wurde 1954 unter dem Namen Hans Noll in Ostberlin geboren. Seit 1995 lebt er in Israel, in der Wüste Negev. Chaim Noll unterrichtet neben seiner schriftstellerischen Tätigkeit an der Universität Be’er Sheva und reist regelmäßig zu Lesungen und Vorträgen nach Deutschland. In der Achgut-Edition ist von ihm erschienen „Der Rufer aus der Wüste – Wie 16 Merkel-Jahre Deutschland ramponiert haben. Eine Ansage aus dem Exil in Israel“.
In den nächsten Tagen erscheint das Buch von Chaim Noll und Heinz Theisen „Verteidigung der Zivilisation. Israel und Europa in der islamistischen Bedrohung“ im Lau Verlag, Reinbek, 248 S., Euro 20