Sophie Dannenberg, Gastautorin / 12.02.2014 / 23:25 / 12 / Seite ausdrucken

Amoklauf der Akzeptanz

In Brechts Theaterstück „Leben des Galilei“ gibt es eine Szene, in der Galileo den Gelehrten sein neues Fernrohr vorführen möchte. Ein einziger Blick durch das Fernrohr würde das geozentrische Weltbild widerlegen. Aber die Gelehrten weigern sich. Sie reden und reden, dann ziehen sie ab.

Diese wunderbare und zugleich schwer erträgliche Szene wiederholte sich gestern bei Maischberger. Thema der Sendung: „Homosexualität auf dem Lehrplan: Droht die ‚moralische Umerziehung‘?“ Alles lag auf dem Tisch - ein Medienkoffer, ein Aufklärungsbuch für Grundschüler, der Entwurf für den Bildungsplan aus Baden-Württemberg - und hätte nur gezeigt werden müssen, um den Zuschauern und auch den Diskutanten zu vermitteln, worum es im Unterrichtsmodell „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ geht.

Aber keiner der Gelehrten (zwei Homos, zwei Heteros, eine Tolerante) schaute drauf bzw. bekam überhaupt die Gelegenheit dazu. Alle redeten und redeten, und wie Galileo wollte man ihnen zurufen: „Aber die Herren brauchten wirklich nur durch das Instrument zu schauen!“ Dann hätten alle klar gesehen: Die grün-rote Landesregierung in Baden-Württemberg ist die Eislaufmutti unter den Sexualerziehern, die es sich auf die Fahnen geschrieben hat, Sexualkunde in einen hyperaktiven Amoklauf der Akzeptanz zu verwandeln. Die Kinder sollen, statt Kinder zu sein, Sexualstreber werden, die nicht nur alles über Sex wissen, sondern auch alles gut finden. Gut finden müssen.

Die schon im Vorfeld der Sendung von aufgeregten Zuschauern attackierten Kritiker des neuen Unterrichtsmodells machten schnell klar, dass sie weder irgendetwas gegen Homosexuelle haben noch gegen einen Sexualkundeunterricht, der über alle Formen der menschlichen Sexualität aufklärt. Der Generalsekretär der “Deutschen Evangelischen Allianz“ Hartmut Steeb betonte, er würde seine Söhne genau so lieben, wenn sie homosexuell wären. Für ihn sei halt einfach das heterosexuelle Modell ein gesellschaftlich notwendiges Ideal. Die Journalistin Birgit Kelle wollte die Möglichkeit haben, ihrem Sohn selbst zu erklären, was schwul ist. Und sie fand es nicht angemessen, Viertklässlern was über lesbisches Lecken zu erzählen. Niemand widersprach.

Damit war eigentlich alles geklärt.

Man hätte nun gelassen über die Unterrichtspläne der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg diskutieren können. Aber das war nicht möglich, weil Frau Maischberger versuchte, die von ihr unterstellte und gewollte Frontstellung durchzusetzen: die netten, aber übel diskriminierten Schwulen auf der einen Seite und die strunzreaktionären heterosexuellen Schwulenhasser auf der anderen Seite, dazwischen Hera Lind, die nichts beizutragen hatte und darum nur ab und zu opportunistisch betonte, mit der Zeit würde sich sowieso alles von selbst erledigen.

Die Fakten wurden weitgehend ausgeblendet. Maischberger kramte fahrig einen Styropor-Penis samt Kondom aus dem Medienkoffer - für Grundschüler, zum Üben (http://www.cicero.de/berliner-republik/aufklaerung-zeiten-des-gender-mainstreaming/43249) und hielt ihn ratlos in die Runde. Dann wurde er schnell zurück zu den übrigen, nicht gezeigten Utensilien gelegt, und der Koffer blieb für den Rest der Sendung zu.

Das Bilderbuch „Wo kommst du her. Aufklärung für Kinder ab 5“ (http://www.welt.de/politik/deutschland/article115526137/So-schoen-ist-dass-es-schoener-nicht-werden-kann.htm)l wurde nach einem kurzen Kamerablick auf das Bild von einem erigierten Penis schnell wieder beiseite gelegt. Offenbar sind solche Bilder zwar für Fünfjährige geeignet, aber nicht für die Zuschauer des Öffentlich-Rechtlichen Fernsehens.

Frau Kelle wollte dann noch aus einem Leitfaden für sexuelle Vielfalt der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) zitieren, kam aber kaum zu Wort. Weil laut Statistik Geschlechtskrankheiten bei Lesben am wenigsten vorkämen, wird in diesem Leitfaden die Frage aufgeworfen, ob es daher für Frauen wirklich sinnvoll sei, heterosexuell zu sein. (https://www.gew-bw.de/Binaries/Binary20121/L-S-Lebenswesen.pdf) Frau Kelle wurde gleich unterbrochen, und die Diskussion mäanderte zum Hauptthema zurück.

Statt um Kindererziehung ging es nämlich endlos um die Frage, wie das ist, schwul zu sein. Vom Selbstdarsteller Oliver Knöbel alias Olivia Jones, bekannt aus Dschungelcamp und DSDS, war zwar nichts anderes zu erwarten außer einem farbenprächtigen Auftritt als Drag Queen. Aber dem erfahrenen CDU-Politiker Jens Spahn hätte man durchaus abverlangen können, zum Thema wenigstens ein paar Gedanken zu präsentieren, anstatt den ganzen Abend lang nur um sich und seine Homosexualität zu kreisen. Die Kinder in Baden-Württemberg waren ihm offensichtlich egal.

Damit zeigte die Talkshow exemplarisch, dass die Debatte über die „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ vor allem Missverständnisse generiert.

Die Homosexuellen glauben, sie müssten angesichts der Debatte ihre Sexualität gegen homophobe Heteros verteidigen und sich von morgens bis abends erklären.

Die Heteros glauben, die Homosexuellen wollten ihnen die Kinder bereits im Grundschulalter versauen.

Und so bekriegen sie sich, anstatt gemeinsam jene Vollpfosten von Politikern abzusägen, die eine komplett unsensible, distanzlose und überfordernde Sexualerziehung propagieren. Diese Erziehung zur „Akzeptanz sexueller Vielfalt“ hat mit Akzeptanz aber nichts zu tun und ist verlogen, solange die Akzeptanz der solcherart erzogenen Kinder - die Akzeptanz ihrer Grenzen, ihrer Intimsphäre, ihrer seelischen Verletzlichkeit - mit Füßen getreten wird.

Die Talkshow hätte ganz anders laufen können.

Jens Spahn hätte, ohne sich irgendeinen Zacken aus der Krone brechen zu müssen, sagen können: „Frau Maischberger, es geht doch hier gar nicht um mich oder mein Schwulsein, sondern darum, wie wir unseren Kindern einen vernünftigen Sexualkundeunterricht bieten können, der sie informiert, aber nicht frühzeitig sexualisiert. Wenn wir einem schwulen Jugendlichen in der Schule heterosexuelle Rollenspiele aufzwingen würden, um ihm Akzeptanz zu vermitteln, wäre das ein Skandal. Umgekehrt soll das aber mit heterosexuellen Kindern gemacht werden. Und ist angeblich persönlichkeitsfördernd.“

Oliver Knöbel hätte, anstatt die übliche Travestie-Show abzuziehen, sagen können: „Sie kennen mich als Rampensau, aber diesmal komme ich ungeschminkt, um ein Zeichen zu setzen. Mir ist das Kindeswohl heute wichtiger als mein Ego. Ich finde auch, dass man Erstklässlern keine Bilder von erigierten Penissen zeigen muss. Pornographie ist toll, aber doch nicht für die Kleinen. Viel wichtiger wäre es, ihnen beizubringen, wie man sich vor sexuellen Übergriffen schützt. Wie man die eigene Intimsphäre hegt und die von anderen respektiert. Dann klappt’s auch mit der Toleranz.“

Hera Lind hätte sagen können: „Es geht hier auch um den Schutz der pubertierenden Schwulen. Die werden ja regelrecht unter Outingzwang gestellt und bekommen schablonenhafte Vorgaben, wie sie ihre Sexualität vorzuführen haben. Warum soll der schwule Jugendliche nicht, wie andere Jugendliche auch, eine Zeit des Fantasierens und Träumens und heimlichen Schwärmens in Anspruch nehmen dürfen? Das hat doch mit glücklicher und freier Sexualität nichts zu tun, wenn die von Politikern klischeehaft diktiert wird!“

Und Sandra Maischberger hätte alle Anwesenden fragen können: „Was hätten Sie sich gewünscht, damals, als Sie klein waren? Was für ein Unterricht hätte Ihnen geholfen, was wäre Ihnen zu weit gegangen? Lassen Sie uns doch aus Kinderperspektive über die Sache nachdenken, nicht aus der Perspektive politisierter Erwachsener!“

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Peter Schaefer / 13.02.2014

[facebook] Like! [/facebook] Danke, ich hatte schon die Befürchtung es merkt keiner mehr was.

Ludwig Kamberlein / 12.02.2014

“Wenn wir einem schwulen Jugendlichen in der Schule heterosexuelle Rollenspiele aufzwingen würden, um ihm Akzeptanz zu vermitteln, wäre das ein Skandal.” Wieso hier bitte der Konjunktiv ? Nichts anderes geschieht seit Jahrzehnten in bundesdeutschen Bildungsanstalten und die Schwulen haben es stillschweigend ertragen. Die Perspektive der Anderen einzunehmen, scheint nicht unbedingt die Stärke der Autorin.

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