Von Markus Somm.
Ob das im Rückblick ein guter Tag für Amerika sein wird, ist offen: Zu launenhaft, zu schwer fassbar ist Donald J. Trump, dieser erstaunliche und abstossende Mann zugleich, der am Dienstag zum neuen Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt wurde. Was aber feststeht: Es ist eine Revolution, die vor unseren Augen stattgefunden hat – und mit Goethe, dem grossen Dichter, können wir sagen: Wir sind dabei gewesen.
2016 ist das Jahr der Wende. Nach der ersten Revolution, die im Sommer in Grossbritannien vorgefallen war, als ein eigenwilliges, mutiges Volk den Brexit beschloss, ist das nun die zweite Rebellion der einfachen, normalen Leute, die noch grösser, noch bedeutender, noch schmerzhafter ist für jene Kreise, die so felsenfest davon überzeugt sind, besser zu wissen, wie man ein modernes Land zu führen hat, als jene, die ihnen jetzt die Gefolgschaft verweigert haben: nämlich die Coiffeusen, die Stahlarbeiter, die Lastwagenfahrer und die Hausfrauen, die Buchhalter und Metzger, der Malermeister und die Unternehmerin, die Arbeitslosen und die Sparkassenverwalter, die Kellner und die Kindergärtnerinnen, mit einem Wort, die Mehrheit der Leute – und allen Umfragen zum Trotz leben wir nach wie vor in einer Demokratie.
Auch in Amerika, gerade in Amerika. Das Volk entscheidet, nicht die Elite. Es ist die grösste Ohrfeige aller Zeiten. Man muss weit zurückgehen, bis man einen ähnlichen demokratischen Aufbruch erlebt hat. 1989? Vielleicht.
Elite der Dekadenz
Ich wiederhole mich, doch man kann es nicht oft genug sagen: In den vergangenen Jahren hat sich überall im Westen eine abgehobene, sektiererische Elite festgesetzt, die sich Tag für Tag um sich selber dreht: Man hat merkwürdige Rituale erfunden, die niemand versteht, der nicht ein paar Semester an einer Universität verbracht hat, wie etwa die gefürchtete Inquisition der Worte, die man politische Korrektheit nennt, wo Leute ohne Prozess zum sozialen Tod verurteilt werden, weil sie angeblich das Falsche sagen – es ist eine Elite aufgekommen, ob in der Wirtschaft oder in der Politik, die immer mehr ihr Heil im Internationalen sucht, wo undurchsichtige Gremien Schwerwiegendes beschliessen, ohne dass die betroffenen Völker etwas dazu zu sagen hätten, man ist verliebt in diesen gut ausgebildeten Milieus in das Völkerrecht und die «Weltgemeinschaft», man hasst das eigene Land oder rümpft immerhin die Nase und verachtet die eigenen Leute, die etwas weniger elegant Englisch sprechen, wenn überhaupt –, oder auf Amerika gemünzt: Man belächelt jene Leute, die nicht einmal einen Pass haben, weil sie nie ins Ausland reisen. Dass die einfachen Amerikaner das nicht tun, weil sie etwa borniert wären, wie ihnen die College-Absolventen insgeheim vorhalten, sondern weil sie sich die Reise nach Europa nicht leisten können: Wen interessiert das?
Die Schocktherapie
Es ist last, but not least eine Elite an die Macht gelangt, die zwar so tut, als ob sie intern streitet, es werden theatralische Stellungskämpfe geboten zwischen links und rechts, zwischen Republikanern und Demokraten, zwischen Sozialdemokraten und Bürgerlichen – doch in den wesentlichen Fragen, die das Volk unten beschäftigen, ist man sich oben gespenstisch einig: Grenzenlose Immigration gilt als gut, der Nationalstaat ist schlecht, Freihandel hilft allen, der Westen ist schuld und die Saläre in der Elite müssen so hoch liegen, schliesslich herrscht hier oben angeblich internationaler Wettbewerb. Man ist gefangen in einer Ideologie des Privilegs. Wer es anders sieht – oder darunter leidet, wird beschimpft oder ignoriert.
In Demokratien kann es sich eine Elite ein paar Jahre leisten, sich nicht um die Mehrheitsmeinung ihrer Völker zu kümmern, aber nicht endlos. Was in den USA geschehen ist, wo ein völlig ungeprüfter Aussenseiter das höchste Amt im Sturm erringt: Es dürfte nur der Anfang sein. Viele Länder im Westen werden bald Ähnliches erfahren. Es herrscht eine revolutionäre Stimmung. Friede den Hütten, Krieg den Palästen, hat Georg Büchner, der grosse deutsche Dramatiker, geschrieben. Das gilt noch heute. Wenn man das Vorgefallene analysiert, fällt auch auf, in welchen Ländern die Rebellion begonnen hat. Ohne allzu unbescheiden zu wirken: Die Schweiz ging voran. Hier waren die ersten Anzeichen des Unbehagens zu beobachten, schon vor Jahren – was bei näherer Betrachtung nicht überrascht, denn dank der direkten Demokratie verfügen wir über eines der sensibelsten politischen Systeme der Welt. Seismografisch muss die Politik auf jede kleinste Unruhe in der Bevölkerung reagieren.
Welches Land hat wiederholt über internationale Organisationen abgestimmt – und tat sich schwer mit ihnen? (UNO und EWR.) In welchem Land konnten sich die Bürger frei dazu äussern, ob sie es in Ordnung finden, dass Manager astronomisch verdienen, und wo wurde diesen eine Grenze gesetzt? (Minder-Initiative.) Wo schliesslich hat das Volk die entfesselte Migration erlitten und zum ersten Mal mit demokratischen Mitteln zurückgewiesen? (Masseneinwanderungs-Initiative.) Nur in der Schweiz wurde darüber entschieden, nur in der Schweiz war aufgrund ihrer einzigartigen Demokratie früh zu erkennen, was die Mehrheit der Leute von diesen Fetischen der Elite hält. Nichts.
Kein Zufall
Dass Jahre später Grossbritannien den Austritt aus der EU beschliesst, dass die Niederlande der EU mit dem Ukraine-Referendum in diesem Frühjahr einen Denkzettel verpassen, dass schliesslich die Amerikaner Donald Trump, den Schrecken aller Internationalisten, zum Präsidenten machen: Es ist kaum ein Zufall. Die Schweiz, Grossbritannien, die Niederlande, die USA: Diese Länder zählen zu den ältesten Demokratien des Westens. Je reifer und etablierter die demokratische Tradition eines Landes, desto eher regt sich Widerstand im Volk, desto mehr muss die Elite zittern. So gesehen ist es durchaus denkbar, dass die nächste Revolution schon im kommenden Frühjahr anlässlich der Präsidentschaftswahlen in Frankreich vor sich geht. Marine Le Pen, die ich mit grosser Skepsis betrachte, hat Donald Trump fast als erste französische Politikerin gratuliert.
Wird Donald Trump ein guter Präsident oder ein katastrophaler?
Wir wissen es nicht. Was wir aber wissen: Die Welt wird nie mehr so sein, wie sie vor ihm war.
Markus Somm ist Chefredakteur der Basler Zeitung. Dort erschien dieser Beitrag zuerst.