Chaim Noll / 03.08.2019 / 06:11 / Foto: Freud / 142 / Seite ausdrucken

Amadeu Antonio und der tote Junge vom Frankfurter Hauptbahnhof

Amadeu Antonio, ein Gastarbeiter aus Angola, wurde im November 1990 von einer Gruppe junger Deutscher im brandenburgischen Eberswalde totgeschlagen. Ich erinnere mich, welchen Eindruck diese brutale und sinnlose Tat auf uns machte. Sie schien symbolisch für das Aufkommen rechtsextremer Stimmungen in Ostdeutschland. Im Jahre 2002 gründeten die ehemalige Stasi-Mitarbeiterin Anetta Kahane und hinter ihr stehende Interessengruppen die Amadeu Antonio Stiftung – heute nichts anderes als eine dürftig verschleierte, staatlich subventionierte Einrichtung zur Überwachung unerwünschter Gesinnungen und Gedanken.

Der Name Amadeu Antonio wurde dadurch nicht nur für dubiose Zwecke ausgenutzt, sondern auch – dies der positive Aspekt – vor dem Vergessen bewahrt. Und so die Untat, die zum Tod des jungen Afrikaners führte. Sie ist ins kollektive Gedächtnis Deutschlands eingegangen: Amadeu Antonio hat einen Wikipedia-Eintrag, anlässlich seines Todestages gibt es Zeitungsartikel und Rundfunksendungen, in Schulbüchern und zeithistorischen Werken wird sein Fall erwähnt, ein gutes Dutzend hauptamtlicher Mitarbeiter der Amadeu Antonio Stiftung lebt von ihm, von der Erinnerung an ihn. Das alles bewirkt sein Name. Ein Name kann zum Symbol werden. Was aber geschieht, wenn das Opfer anonym bleibt?

Der Name des „achtjährigen Jungen“, den ein anderer Afrikaner am 29. Juli 2019 auf Gleis sieben des Frankfurter Hauptbahnhofs vor einen einfahrenden Zug gestoßen, also vorsätzlich ermordet hat, wird nicht bekannt gegeben. (Ich vermeide das fast zärtliche Wort „schubsen“, auf dessen missbräuchliche Verwendung in einem Mordfall Dirk Maxeiner vor einigen Tagen an dieser Stelle hingewiesen hat.) Die deutschen Behörden – und mit ihnen die staatstreuen Medien – verschweigen die Identität des Opfers. Dafür mag es plausible Gründe geben: Rücksicht auf die Familie, vor allem auf die Mutter, die selbst knapp mit dem Leben davon kam und der man begreiflicherweise öffentliche Aufmerksamkeit ersparen möchte. Dieses Argument ist so schwerwiegend, dass kein einigermaßen rücksichtsvoller Mensch die Maßnahme kritisieren wird. Sie hat indessen einen verborgenen Aspekt. Eine heimliche Nebenwirkung, von der ich annehme, dass die Verantwortlichen sehr wohl um sie wissen.

Erinnerung ist an Namen und Fakten gebunden

Die Anonymisierung des Opfers ist die Garantie dafür, dass es vergessen wird. Und damit das Verbrechen, das zu seinem Tod führte. Darin wird mir jeder Historiker zustimmen: Erinnerung ist an Indices, an Namen und Fakten gebunden. Über den ermordeten Jungen haben uns Behörden und Medien bisher nur wissen lassen, wie alt er war, dass er „aus dem Hochtaunauskreis“ stammt, sich mit seiner Mutter auf dem Weg in die Ferien in Österreich befand und dass er eine zwölfjährige Schwester hat, die gleich nach der Tat von der Polizei informiert wurde. Dagegen ist der Täter längst namhaft gemacht, wenigstens mit dem Vornamen und der Initiale des Nachnamens, Habte A., wodurch zwar ein Name genannt, doch seine Identität weiterhin geschützt ist. Wir werden mit Details über ihn versorgt, vor allem über seine psychologische Befindlichkeit, seine Probleme, seine Verfolgungs-Ängste. Wieder schwebt Symbolisches in der Luft. Er ist damit erinnerbar. Das Opfer nicht.

Und das lässt mich ratlos zurück. Ist dieses vollkommen unschuldige Kind, das von einem wie auch immer motivierten erwachsenen Mann auf grausame Weise ermordet wurde, kein Symbol? Kein Gedenken wert? Keine erinnernden Zeitungsartikel? Keine Stiftung in seinem Namen? Warum nicht? Weil es, aller Vermutung nach, ein weißes Kind war, ein genuin europäisches, ein deutsches? Ich bekenne, dass ich damit nur schwer leben kann. Irgendetwas an Information müssen wir den Behörden noch abtrotzen, seine Initialen, ein paar Details über sein kurzes Leben, ein – und sei es gepixeltes – Bild, damit dieses sinnlos geopferte Kind nicht im Nebel der Namenlosigkeit verschwindet und in wenigen Wochen vergessen ist.

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Christel krah / 03.08.2019

Ein wunderbarer Artikel! Ich selbst stelle mir seit einer Woche die Frage, wieso der kleine Junge keine Beachtung findet; und ganz besonders auch die Mutter, die damit irgendwie weiterleben muss. Dass beide geschützt werden sollen, erschliesst sich auch mir. Aber so treffend wie sie es beschreiben, dass das Kind zum Vergessen “abgehakt”  wird, erschliesst sich mir nicht.  Dieses grausame Verbrechen, was sich stellvertretend für unsere skrupel- und rücksichtslose Gesellschaft ereignet hat, sollte doch viele wachrütteln und in Erinnerung bleiben. Danke für ihre Zeilen!

Gertraude Wenz / 03.08.2019

Unfassbar, todtraurig! Kein Mord, kein Vorfall hat mich bis jetzt so erschüttert wie diese grauenhafte, ruchlose Tat! Mir dreht sich bei dem Gedanken daran der Magen um. Der arme, süße Junge! Acht Jahre! Ich habe einen bald 4jährigen Enkel, und wenn ich mir vorstelle, ihm wäre ein solches Leid geschehen, könnte ich keinen glücklichen Tag mehr erleben. Die Mutter, die ganze Familie tun mir unendlich leid! Den Täter kann nichts, gar nichts entschuldigen, egal, was er erlebt hat!!! In Analogie zu Jacqueline Kennedy, die gesagt haben soll: “In Amerika töten sie Kennedys!”, möchte ich sagen: “In Deutschland/Europa töten sie Weiße!” (Und machen auch vor Kindern nicht Halt!)

Thomas Schmied / 03.08.2019

Es taucht im Netz manchmal der Name “Oskar” auf. Das wird anderswo aber schon wieder als Fake und als “Instrumentalisierung” bezeichnet. Der Autor kritisiert völlig zurecht, dass Gewaltopfern jeder Art die Wertschätzung zuteil werden muß, dass wenigstens ihr Vorname bekannt wird - um im Gedächtnis zu bleiben, um unterscheidbar zu sein. Das soll bei einigen Opfern offenbar verhindert werden. Wenigstens bei Kindern sollte das Vergessen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht so schnell einsetzen. Machen wir es ihnen nicht so einfach: Wie ist denn nun der wirkliche Name des ermordeten Jungen?

Wolfram Schmidt / 03.08.2019

Da “Alan Kurdi” genannt wird, stellvertretend für viele ertrunkene Kinder. Uns Mitteleuropäer wird ja versucht einzureden, wir wären mitschuldig. Ich finde nicht, da es ja kein schuldhaftes Verhalten ist, wenn wir unsere Wirtschaft und Gesellschaft derartig attraktiv gestaltet haben, dass alle Welt zu uns kommen möchte. Die Familie von Alan Kurdi war schuldig, weil sie Schlepper bezahlten und sich auf dieses Himmelfahrtskommando einließen. Einerseits will man uns Schuld einreden, aber andererseits lehnt die Politik Verantwortung ab, für die Verbrechen, die nun durch “Flüchtlinge”  wie den “Gleisschubsern”, Messer- und Axtschwingern, bis hin zu Anis Amri begangen wurden. Stattdessen sehen sich schon liberal-konservative Menschen mit Nazi- und Rechtspopulismusvorwürfen konfrontiert. Ein Kollege von mir ist auch schon so verblendet, und meint,  Henryk M. Broder sei fast schon ein Nazi. Ich mache keine Witze.

Sabine Heinrich / 03.08.2019

@ Frank Dom: Ich schließe mich Ihren Fragen an!!! Und noch etwas, was bereits ein anderer Kommentator sinngemäß geäußert hat: Warum gibt es kein Benefizkonzert, kein Konzert für Opfer und deren Angehörige? Warum schweigen alle namhaften Künstler, die nicht links sind? Es ist wohl die (berechtigte) Angst davor, von den Medien ins Bodenlose fallengelassen zu werden. Aber wo bleiben die Alten mit ihrer Reputation und dem gesicherten Einkommen? Die gibt es doch auch? Ich denke da zuvörderst z.B. an Reinhard M., aber es gibt doch sicher viele andere Künstler, welche die deutschlandfeindliche und Opfer ignorierende Politik einer IM Erika und ihrer Vasallen verachten. Ich appeliere an diese Leute: Machen Sie den Mund auf! Singen Sie gegen das an, was in unserem Land passiert! Die Mehrheit der betroffen Schweigenden braucht jemanden wie Sie - z.B. Herr Mey - der uns eine laute Stimme gibt! Es kann nicht sein, dass - außer den üblichen linken altbekannten Sängern nun auch noch eine - für mich bislang als seriös empfundene -  Gruppe namens “Revolverheld” das Schleppergeschäft unterstützt (Googlen bringt Klarheit) - und sich nicht EINE Stimme eines berühmten Künstlers für den ermordeten Jungen und die UNZÄHLIGEN weiteren Opfer von sogenannten “Schutzsuchenden” erhebt.

Dirk Jürgens / 03.08.2019

Kennt jemand auch nur den Namen eines jungen Mannes oder einer jungen Frau, die im November 2015 im Bataclan gefoltert, zerstückelt und ermordet wurden? Es waren insgesamt mehr als 100 Menschen, mitten in Paris, mitten in Europa. Ķennt jemand ein Opfer vom Breitscheidtplatz 2016? Gibt es eine Stiftung?

Sabine Schönfelder / 03.08.2019

Liebe Rita @Handt, Ihr Kommentar hat mich sehr berührt. Es ist glaube ich die Art,wie Sie die zufällige Verkettung von Schicksalen so unverblümt und authentisch beschreiben. Fahrlässige Entscheidungen auf politischer Ebene, mit der sich Menschen als besonders moralisch brüsten und fühlen, führen in der Realität zu sinnlosen Verbrechen. Ein kleiner Mensch starb, sein Leben und Körper ist zerstört, und zur gleichen Zeit sitzt eine selbstgefällige, kalte Intrigantin an ihrem Ferienort und glaubt sich im wohlverdienten Urlaub. Es ist so grausam und es geschieht in Deutschland, jetzt. Statt diesen Wahnsinn zu beenden, erpressen Medien und Linke mittels gefakter Rettungsmanöver vor Lampedusa die Öffentlichkeit mit geschleppten Wirtschaftsmigranten, deren unkontrollierten Einlaß Sie erzwingen wollen! Sie hören nicht auf!!  Es ist so unfaßbar, der Wahnsinn liegt wie ein altes dreckiges Handtuch auf dem Land, und niemand tut etwas dagegen, schreit: Schluß mit diesem Irrsinn! Ist es nicht schlimm, daß Sie selbst Ihre sterblichen Überreste nicht mehr in diesem Lande zurücklassen möchten? Bin schon weiter, mein Exodus ist bereits im vollen Gange.

Gerd Heinzelmann / 03.08.2019

Sehr geehrter Herr Noll, manchmal frage ich mich, was ich antworten würde, wenn mich eine echte Autorität fragen würde:“Wie viele Stationen haben Sie durchgemacht?” Vielen Dank für Ihre Beiträge. MfG

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