Die Polizei hält mich wegen eines theoretisch möglichen Verstoßes gegen §37 StVO an, weil der Typ VOR MIR bei Rot drübergefahren ist und sie seiner mangels Kennzeichen nicht habhaft werden können. Denn einer muss dafür zahlen.
Die Ampel ist bereits drei Sekunden auf Rot, aber der schwarze Audi vor mir rauscht noch drüber. Der Fahrer kann sich das auch leisten, weil seine Nummernschilder fehlen. Sie werden ihn nicht kriegen. Ich hingegen stoppe vorschriftsmäßig, wie es das Gesetz besagt. Als es wieder Grün wird, fahre ich tapfer an, nur, um hinter der Biegung nach etwa 50 Metern in eine Polizeikontrolle zu geraten. Eine Beamtin mit Pferdeschwanz und in schwarzer sexy Lederjacke winkt mich in die Bucht, in der normalerweise die Busse abfahren.
Brav schwenke ich ein und lasse das Fahrerfenster herunter. Es ist ein sonniger Herbsttag, ich bin auf dem Weg ins Büro, einigermaßen gut gelaunt und grüße einen jungen, drahtigen Polizisten im handlichen Schrankformat mit einem arglosen „Guten Morgen“. „Guten Morgen, Führerschein und Fahrzeugschein bitte“, fordert mich die Staatsmacht auf. Leichte Übung, beides liegt im Handschuhfach. Ich schnalle mich ab, krame die Papiere heraus und reiche sie ihm durch das offene Fenster. Der Polizeiobermeister, erkennbar an seinen drei Sternchen auf den Schulterklappen, schaut sich meine Unterlagen an und fragt dann: „Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?“ Ich überlege kurz, ob ich als Antwort „Ist das hier ein Quiz?“ als Gegenfrage formuliere, aber ich weiß, er lässt mich dann den Kofferraum ausräumen und sich das Warndreieck zeigen. Also sage ich brav: „Neien. Warum haben Sie mich angehalten?“ „Sie sind soeben über eine rote Ampel gefahren“, erklärt er mir und ich erkläre „WAS BIN ICH?“, vielleicht etwas lauter als beabsichtigt, zurück.
„Gut, sind Sie nicht. Aber Fakt ist, dass Sie eine rote Ampel hätten überfahren haben können!“, stellt er den Tatbestand erneut fest. „Bin ich aber nicht, habe ich aber nicht! Vor mir ist einer über Rot gebrettert, aber der hatte kein Nummernschild, warum haben Sie den denn nicht angehalten?“, frage ich entrüstet. Der Polizist nickt: „Eben WEIL der kein Nummernschild hatte und zu schnell für uns war und wir folglich nicht wissen, wer das ist. So einfach ist das.“ „Moment, Herr Wachtmeister…“, „Polizeiobermeister…“, „Herr Polizeiwaldobermeister, nur, damit ich das richtig verstehe: Sie halten MICH wegen eines theoretisch möglichen Verstoßes gegen §37 StVO an, weil der Typ VOR MIR drübergefahren ist und sie seiner mangels Kennzeichen nicht habhaft werden können.“, rekapituliere ich mit zitternder Stimme. Er schaut nach links und rechts, dann zu mir und sagt: „Ja.“
„Sind Sie mit einem Bußgeld von 90 Euro einverstanden?“
Ich spüre, wie mir das Blut durch die Adern hämmert und mein Hals langsam anschwillt. „Aber das geht doch nicht!“, beschwere ich mich. „Ich habe doch gar nichts falsch gemacht. Warum soll ich jetzt bezahlen?“ Die sexy Polizistin tritt hinzu. „Gibt’s Probleme?“, will sie wissen und hat die Hand gefährlich nahe an ihrem Colt. „Ihr Kollege da will mir ein Bußgeld aufbrummen, obwohl ich gar nichts gemacht habe!“, erkläre ich empört. Sie schiebt die Schrankwand beiseite: „Hören Sie, IRGENDJEMAND MUSS für den Verstoß bezahlen!“, erklärt sie mir ungerührt, „Und Sie waren nun einmal am nächsten dran. Wir können schließlich den Täter nicht laufen lassen – Hände ans Lenkrad!“, ergänzt sie ihre Ausführungen. „Aber Sie HABEN ihn doch schon laufen lassen!“, brülle ich sie an. „Das wissen Sie, das wissen wir. Aber Sie werden sicher einsehen, dass das für uns sehr blamabel ist“, klärt sie die Situation auf. „Das will ich, verdammt nochmal, auch meinen!“, herrsche ich sie an, „aber das ist doch nicht mein Problem!“ Sie richtet sich auf, stemmt die Hände in die Hüften und schaut über das Autodach in die Ferne. „Jetzt schon“, sagt sie mit fester Stimme.
Obwohl ich stehe und den Motor abgeschaltet habe, bin ich auf 220. „Das ist ja wohl ein grausamer Scherz! Ich hetze Ihnen meinen Anwalt, ach was, ALLE VERDAMMTEN ANWÄLTE DER VERDAMMTEN STADT auf den Hals, ich mache Sie fertig, ich gehe an die Presse und an die BILD, ich verpetze Sie auf Twitter und Facebook, wenn ich Sie durch habe, laufen Sie nicht einmal mehr Streife, bei Gott, ich schwöre es“, lasse ich eine Schimpftirade über sie in Höhe ihres Schritts ergehen, weil sie ja vor dem Fahrerfenster steht. Sie beugt sich wieder zu mir nach unten, völlig ungerührt und als sei sie taub: „Sind Sie mit einem Bußgeld von 90 Euro einverstanden?“, will sie wissen. „WAS? NATÜRLICH NICHT! WOFÜR DENN AUCH?“, tobe ich auf dem Sitz herum. „Das kann ich Ihnen sagen“, erklärt sie so trocken wie eine deutsch-russische Gaspipeline, „Sie stehen in einer Bushaltebucht und sind nicht angeschnallt – LASSEN SIE DIE HÄNDE AM LENKRAD! Sonst prüfen wir gleich noch Ihr Warndreieck und Ihren Verbandskasten!“ Ich habe Schnappatmung. Nicht nur wegen dieser Unverschämtheit, sondern auch, weil mein Verbandskasten mit Sicherheit abgelaufen ist, keine Gummihandschuhe und keine Maske intus hat und weil er sich neben dem Ersatzreifen befindet, was bedeutet, dass ich den ganzen verdammten Kofferraum ausräumen, ja, regelrecht ausräuchern müsste.
„Geben Sie mir das Höllen-Bußgeld“, keuche ich unter Herzschmerzen, und werden nicht soeben meine Arme taub? „Gut so, warum nicht gleich so? Ist es okay, wenn wir ,Überfahren einer Lichtsignalanlage bei Rot‘ reinschreiben?“ „Schreiben Sie meinetwegen „für erotische Massagen“ und geben Sie mir den verdammten Höllenwisch!“, fordere ich sie auf. „Nun werden Sie mal nicht frech“, sagt sie beschwingt und druckt mir aus einem frisch gezückten Handgerät eine Art Kassenbon aus, den sie mir durch das Fenster reicht. „Kann ich mit Kreditarte bezahlen?“, will ich noch wissen und sie sagt „Nein“ und wünscht „Gute Fahrt“ und damit ist der Fall für uns erledigt und ich fahre unter dem höhnischen Grinsen der Beamten davon. Da kann man nichts machen – ich war als Nächster dran.
(Und falls Sie glauben, das sei alles nur ein verdammter Witz – dann lesen Sie mal, was sich die Ampelkoalitionäre angesichts der Schießereien und Morde mit illegalen Waffen in Stade, Hamburg und anderswo so ausdenken.)
(Weitere Parabeln des Autors unter www.politticker.de)
Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.