Thilo Schneider / 10.10.2022 / 14:00 / Foto: Timo Raab / 24 / Seite ausdrucken

Am nächsten dran. Eine Parabel

Die Polizei hält mich wegen eines theoretisch möglichen Verstoßes gegen §37 StVO an, weil der Typ VOR MIR bei Rot drübergefahren ist und sie seiner mangels Kennzeichen nicht habhaft werden können. Denn einer muss dafür zahlen.

Die Ampel ist bereits drei Sekunden auf Rot, aber der schwarze Audi vor mir rauscht noch drüber. Der Fahrer kann sich das auch leisten, weil seine Nummernschilder fehlen. Sie werden ihn nicht kriegen. Ich hingegen stoppe vorschriftsmäßig, wie es das Gesetz besagt. Als es wieder Grün wird, fahre ich tapfer an, nur, um hinter der Biegung nach etwa 50 Metern in eine Polizeikontrolle zu geraten. Eine Beamtin mit Pferdeschwanz und in schwarzer sexy Lederjacke winkt mich in die Bucht, in der normalerweise die Busse abfahren. 

Brav schwenke ich ein und lasse das Fahrerfenster herunter. Es ist ein sonniger Herbsttag, ich bin auf dem Weg ins Büro, einigermaßen gut gelaunt und grüße einen jungen, drahtigen Polizisten im handlichen Schrankformat mit einem arglosen „Guten Morgen“. „Guten Morgen, Führerschein und Fahrzeugschein bitte“, fordert mich die Staatsmacht auf. Leichte Übung, beides liegt im Handschuhfach. Ich schnalle mich ab, krame die Papiere heraus und reiche sie ihm durch das offene Fenster. Der Polizeiobermeister, erkennbar an seinen drei Sternchen auf den Schulterklappen, schaut sich meine Unterlagen an und fragt dann: „Wissen Sie, warum wir Sie angehalten haben?“ Ich überlege kurz, ob ich als Antwort „Ist das hier ein Quiz?“ als Gegenfrage formuliere, aber ich weiß, er lässt mich dann den Kofferraum ausräumen und sich das Warndreieck zeigen. Also sage ich brav: „Neien. Warum haben Sie mich angehalten?“ „Sie sind soeben über eine rote Ampel gefahren“, erklärt er mir und ich erkläre „WAS BIN ICH?“, vielleicht etwas lauter als beabsichtigt, zurück. 

„Gut, sind Sie nicht. Aber Fakt ist, dass Sie eine rote Ampel hätten überfahren haben können!“, stellt er den Tatbestand erneut fest. „Bin ich aber nicht, habe ich aber nicht! Vor mir ist einer über Rot gebrettert, aber der hatte kein Nummernschild, warum haben Sie den denn nicht angehalten?“, frage ich entrüstet. Der Polizist nickt: „Eben WEIL der kein Nummernschild hatte und zu schnell für uns war und wir folglich nicht wissen, wer das ist. So einfach ist das.“ „Moment, Herr Wachtmeister…“, „Polizeiobermeister…“, „Herr Polizeiwaldobermeister, nur, damit ich das richtig verstehe: Sie halten MICH wegen eines theoretisch möglichen Verstoßes gegen §37 StVO an, weil der Typ VOR MIR drübergefahren ist und sie seiner mangels Kennzeichen nicht habhaft werden können.“, rekapituliere ich mit zitternder Stimme. Er schaut nach links und rechts, dann zu mir und sagt: „Ja.“ 

„Sind Sie mit einem Bußgeld von 90 Euro einverstanden?“

Ich spüre, wie mir das Blut durch die Adern hämmert und mein Hals langsam anschwillt. „Aber das geht doch nicht!“, beschwere ich mich. „Ich habe doch gar nichts falsch gemacht. Warum soll ich jetzt bezahlen?“ Die sexy Polizistin tritt hinzu. „Gibt’s Probleme?“, will sie wissen und hat die Hand gefährlich nahe an ihrem Colt. „Ihr Kollege da will mir ein Bußgeld aufbrummen, obwohl ich gar nichts gemacht habe!“, erkläre ich empört. Sie schiebt die Schrankwand beiseite: „Hören Sie, IRGENDJEMAND MUSS für den Verstoß bezahlen!“, erklärt sie mir ungerührt, „Und Sie waren nun einmal am nächsten dran. Wir können schließlich den Täter nicht laufen lassen – Hände ans Lenkrad!“, ergänzt sie ihre Ausführungen. „Aber Sie HABEN ihn doch schon laufen lassen!“, brülle ich sie an. „Das wissen Sie, das wissen wir. Aber Sie werden sicher einsehen, dass das für uns sehr blamabel ist“, klärt sie die Situation auf. „Das will ich, verdammt nochmal, auch meinen!“, herrsche ich sie an, „aber das ist doch nicht mein Problem!“ Sie richtet sich auf, stemmt die Hände in die Hüften und schaut über das Autodach in die Ferne. „Jetzt schon“, sagt sie mit fester Stimme. 

Obwohl ich stehe und den Motor abgeschaltet habe, bin ich auf 220. „Das ist ja wohl ein grausamer Scherz! Ich hetze Ihnen meinen Anwalt, ach was, ALLE VERDAMMTEN ANWÄLTE DER VERDAMMTEN STADT auf den Hals, ich mache Sie fertig, ich gehe an die Presse und an die BILD, ich verpetze Sie auf Twitter und Facebook, wenn ich Sie durch habe, laufen Sie nicht einmal mehr Streife, bei Gott, ich schwöre es“, lasse ich eine Schimpftirade über sie in Höhe ihres Schritts ergehen, weil sie ja vor dem Fahrerfenster steht. Sie beugt sich wieder zu mir nach unten, völlig ungerührt und als sei sie taub: „Sind Sie mit einem Bußgeld von 90 Euro einverstanden?“, will sie wissen. „WAS? NATÜRLICH NICHT! WOFÜR DENN AUCH?“, tobe ich auf dem Sitz herum. „Das kann ich Ihnen sagen“, erklärt sie so trocken wie eine deutsch-russische Gaspipeline, „Sie stehen in einer Bushaltebucht und sind nicht angeschnallt – LASSEN SIE DIE HÄNDE AM LENKRAD! Sonst prüfen wir gleich noch Ihr Warndreieck und Ihren Verbandskasten!“ Ich habe Schnappatmung. Nicht nur wegen dieser Unverschämtheit, sondern auch, weil mein Verbandskasten mit Sicherheit abgelaufen ist, keine Gummihandschuhe und keine Maske intus hat und weil er sich neben dem Ersatzreifen befindet, was bedeutet, dass ich den ganzen verdammten Kofferraum ausräumen, ja, regelrecht ausräuchern müsste.

„Geben Sie mir das Höllen-Bußgeld“, keuche ich unter Herzschmerzen, und werden nicht soeben meine Arme taub? „Gut so, warum nicht gleich so? Ist es okay, wenn wir ,Überfahren einer Lichtsignalanlage bei Rot‘ reinschreiben?“ „Schreiben Sie meinetwegen „für erotische Massagen“ und geben Sie mir den verdammten Höllenwisch!“, fordere ich sie auf. „Nun werden Sie mal nicht frech“, sagt sie beschwingt und druckt mir aus einem frisch gezückten Handgerät eine Art Kassenbon aus, den sie mir durch das Fenster reicht. „Kann ich mit Kreditarte bezahlen?“, will ich noch wissen und sie sagt „Nein“ und wünscht „Gute Fahrt“ und damit ist der Fall für uns erledigt und ich fahre unter dem höhnischen Grinsen der Beamten davon. Da kann man nichts machen – ich war als Nächster dran. 

(Und falls Sie glauben, das sei alles nur ein verdammter Witz – dann lesen Sie mal, was sich die Ampelkoalitionäre angesichts der Schießereien und Morde mit illegalen Waffen in StadeHamburg und anderswo so ausdenken.)

(Weitere Parabeln des Autors unter www.politticker.de)  

 

Von Thilo Schneider ist in der Achgut-Edition erschienen: The Dark Side of the Mittelschicht, Achgut-Edition, 224 Seiten, 22 Euro.

Foto: Timo Raab

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Leserpost

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Christian Feider / 10.10.2022

Nein,diese Nummer glaube ich Ihnen nicht,Herr Schneider was ich Ihnen aber ohne Probleme abnehme,ist,das die Sheriffs im anschluss Ihnen das mit der Haltebucht und dem Gurt unterschieben wollten…da sind die kreativ und IMMER zu zweit :)

Otto Hold / 10.10.2022

Endlich kann wer nachempfinden, wie es uns Waffenbesitzern geht. Ich habe ein paar Wochen nach meiner Einwanderung nach Deutschland mit Brief und Siegel das Recht erhalten eine Waffe zu tragen. Wobei sich das nur auf das Führen der Waffe bezog. Das allerdings in einer diplomatischen Vertretung, in unmittelbarer Nähe von Diplomaten und mehrfach auch in jener deutscher Regierungsmitglieder. Bis ich jedoch meine schlichten grünen und gelben Pappen als Sportschütze bekam, mit denen ich, falls mir der Verband wohlgesonnen ist und ich die ministeriellen Auflagen erfülle, alle Jubeljahre mal ein “Sportgerät” (Waffe dazu zu sagen ist hundepfui) kaufen 19% des Kaufpreises an den Fiskus weiterreichen kann. Der Fiskus bekäme öfter was von mir, aber ich muß immer erst ein Bedürfnis erwerben. Im Gegensatz zu einem Politiker kann ich mir auch keine Trunkenheitsfahrten leisten. Bürgermeisterinnen können sogar Rollstuhlfahrer ummangeln und bleiben im Amt. Mir mißtraut man, obwohl ich, meines Jobs wegen, die letzten 10 Jahre fünfmal vom VS durchleuchtet wurde. Auch obwohl ich zuvor in einem anderen Land über 20 Jahre unbescholtener Waffenbesitzer war. Danke, daß einmal wer für uns eine Lanze bricht. Die meisten Journalisten wie Politiker üben sich da eher in Verleumdung, wie kürzlich wieder ein ÖRR-Sender.

Paul Siemons / 10.10.2022

Sind illegale Waffen in Deutschland nicht verboten? Und wenn ja - wissen Menschen, die noch nicht so lange hier leben, das?

Gudrun Meyer / 10.10.2022

Die Politik ginge wahrscheinlich viel realistischer an Probleme heran, wenn die Politiker den praktischen Verstand und die zynische Art von Ehrlichkeit Ihrer erfundenen Polizisten hätte. In diesem Sinne war die Außenministernde bis jetzt in dem Moment am erträglichsten, in dem sie fallen ließ, dass ihr egal ist, was ihre Wähler von ihren Entscheidungen halten. Und dass Obrigkeiten jemals mehr als gerade noch erträglich sein könnten, ist Science-fiction.

S. Andersson / 10.10.2022

Jep so ist es…. kenne ich aus dem dicken B. Wurde als Unschuldiger Verfolgt weil ich angeblich im vorübergehendem Halteverbot gestanden hätte, ein Rotzlöffeliger Beamte klingelte Sturm und meinte ich sollte doch SOFORT in die Schuhe springen und runter kommen - aus dem 4 Stock ohne Aufzug! Unten angekommen stellte sich heraus das mein Auto schon vor dem aufstellen jener Schilder dort registriert wurde. Trotzdem - Bussgeldbescheid kam, Anwalt eingeschaltet, Gerichtsverhandlung (zum glück hab ich GPS Ortung/ Überwachung im Auto) , Freispruch .... ABER die Richterin (Stadtbekannt für solche Sachen) meinte obwohl die Kollegen von den Schergen mir das schriftlich gegeben haben das das Auto schon vorher da stand, also Ordnungsgemäß, ich hätte gar keinen Anwalt gebraucht und deswegen müsste ich selbigen selber zahlen….. Ich freue mich schon wenn ich diese Tante mal erwische, also bei noch so einer Rechtsbeugung. Man trifft sich ja immer 2 x im Leben ....

A.Schröder / 10.10.2022

Das wundert mich nicht, Revolvergesicht und Überfallhosen, da sind neunzig Euro ein Freundschaftspreis.

Patrick Meiser / 10.10.2022

Thilo Schneider, selbst schuld, wer sowas akzeptiert.

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