Beda M. Stadler, Gastautor / 10.08.2008 / 23:06 / 0 / Seite ausdrucken

Alternativmedizin für Affen

Was würde passieren, wenn Affen Alternativmedizin benutzen würden? In den Augen der Wissenschaft würde das Ansehen der Affen weiter steigen, aber auch das schlechte Gewissen, weil sie zu Tierversuchen eingesetzt wurden. Es kommt allerdings darauf an, welche Alternativmedizin die Affen benutzten. Würden sie Wässerchen und Kügelchen schlucken, in denen gar nichts drin ist, wäre das erstaunlich. Es würde bedeuten, dass Affen an das Irrationale glauben. Nun, mit dem Irrationalen werden uns die Affen wohl nie überraschen…

Es gilt die verschiedenen Formen von «Alternativmedizin» zu unterscheiden, schliesslich gibt es Extrakte und Wässerchen, in denen tatsächlich etwas drin ist. Zum Beispiel stammt Aspirin ursprünglich aus einem Extrakt der Weide. Auch andere Pflanzen, etwa Johanniskraut oder Tollkirsche, haben durchaus Wirkstoffe, die medizinisch wertvoll sein können. Trotzdem erstaunt es, wenn publiziert wird, dass wild lebende Orang-Utans auf Borneo eine medizinische Paste herstellen. Eine Wissenschaftlerin hat nämlich beobachtet, wie ein Orang-Utan-Weibchen eine Hand voll Blätter eines Baumes abriss. Das Affenweibchen kaute diese Blätter und spie sie als Brei aus, den sie sich dann auf ihren Arm schmierte. Das sah in etwa so aus, wie wenn sich ein weniger behaartes Menschenweibchen mit Sonnencreme einreiben würde. Den Rest der Paste hat die Äffin weggeschmissen, was es den Forschern ermöglichte, diese «Alternativmedizin» zu analysieren. Interessant dabei war, dass die Blätter von einem Commelina-Gewächs stammten, das normalerweise von Affen nicht gefressen wird. Die gleiche Pflanze wird aber auf der indonesischen Insel seit je von den Menschen gegen Muskelschmerzen und Schwellungen verwendet. Die Pflanze gilt ebenfalls in Zentralafrika als Heilpflanze und enthält tatsächlich entzündungshemmende Substanzen.
Für Menschen, denen bloss Alternativmedizin zur Verfügung steht, ist eine Medizinalpflanze, auch wenn sie wenig wirkt, bereits ein Segen. Die Frage drängt sich allerdings auf, wie sich die Orang-Utans verhalten würden, falls sie freien Zugang zu unseren Apotheken hätten. Würden sie sich immer noch eine schwach wirksame Paste auf den Arm spucken oder lieber zur Tablette greifen? Ich meine, sogar Affen würden sich rational verhalten. Sie verwechseln auch nicht Bananen mit Äpfeln. Sie würden wahrscheinlich jenes Produkt wählen, das besser wirkt. Schliesslich sind Affen ja unsere Brüder und Schwestern – aber nicht im Glauben.
Unwirksame Alternativmedizin wird meist mit dem Argument propagiert, sie wirke bei Tieren. Im Unterschied zu den Affen tun Pferde aber so etwas nicht freiwillig, und wenn Hunde reines Wasser trinken, dann weil sie Durst haben. Ich hoffe somit, die Alternativmediziner verteilen schon bald einmal ihre Säftchen an Affen, die offensichtlich zwischen Wirkung und keiner Wirkung unterscheiden können. Sollten unsere nächsten Verwandten freiwillig Globuli schlucken, wären sie uns noch mehr verwandt, als ich mir dies je vorstellen könnte.

Zuerst erschienen in der Berner Zeitung

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